Nach den Enthüllungen über die Ausforschung von Beschäftigten bei der Telekom und der Deutschen Bahn wurde im April 2009 bekannt, dass auch der Airbus-Konzern die Bankverbindungen seiner 22.000 Angestellten in Deutschland von 2005 bis 2007 flächendeckend ausgeforscht hat. Auch von dem skandalträchtigen Unternehmen Lidl wurden weitere arbeitnehmerfeindliche Praktiken auf dem Gebiet der Überwachung bekannt.
„Nach unserer bisherigen Erfahrung gibt es leider eine zunehmende Tendenz, die Mitarbeiter zu überprüfen“, erklärte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, gegenüber der WAZ im Hinblick auf heimliche Kontrollen bei Airbus. Der Grund: die technischen Möglichkeiten für die Ausforschung der Beschäftigten haben sich durch die Computerisierung enorm erhöht, ein Abgleich von Dateien mit digitalisierten Kontonummern ist schnell gemacht.
Das Prinzip Lidl
Schaars Vorhersage, dass weitere Überprüfungen von Beschäftigten „stückweise hochkommen“ werden, bestätigte sich recht schnell: Der Spiegel enthüllte in seiner ersten Aprilausgabe, dass der Lebensmitteldiscounter Lidl über seine 50.000 Angestellten systematisch Krankendatenlisten geführt hat: In einem Formular wurden die Gründe der Krankschreibungen aufgelistet, neben einer Rubrik für Maßnahmen. Ein Vorgesetzter bei Lidl hat entsprechende Listen im März in einem Mülleimer an einer Tankstelle in Bochum so dilettantisch entsorgt, dass sie dort eine Kundin fand, die sie dem Spiegel übergab. Was der Spiegel zitierte, legt eine systematische, gnadenlose Ausforschung der Beschäftigten nahe, um diese bei Krankheit unter Druck zu setzen – oder eben rauszuschmeißen.
Diese Enthüllung wird wenig ändern am Druck auf die Kassiererinnen und Packer bei Lidl: „Diejenigen, die zugeben, Probleme zu haben, werden zuerst rausgekickt“, so Agnes Schreieder von der Gewerkschaft ver.di. So steht bei einer Frau aus Bochum als Grund für die Krankschreibung nur ein Wort: „Psychologe“. In der Rubrik „Maßnahmen“ daneben heißt es: „Mehrmals telef. versucht. Freund mitgeteilt, sie solle sich dringend melden. Kündigung! Zum 31.7.08.“ Zwei Tage nachdem der Spiegel am Kiosk lag, gab es bei Lidl ein Bauernopfer: Deutschland-Chef Frank-Michael Mros wurde durch einen anderen Lidl-Manager ersetzt.
Der Lebensmitteldiscounter hoffte, so sein arg ramponiertes Image aufzupolieren, um keine KundInnen zu verlieren. Denn bereits im März 2008 gab es eine Enthüllung über Lidl – damals war es der Stern, der berichtete, dass Lidl systematisch Detektive und Videoüberwachung in Filialen eingesetzt hatte, um heimlich die Angestellten zu observieren. Datenschützer erreichten, dass Lidl wegen Datenschutzverstößen eine Geldbuße von über einer Mio. Euro zahlen musste. Das sind bei einem Umsatz von 15 Mrd. Euro im Jahr zwar Peanuts, der Imageschaden jedoch war immens: In der Öffentlichkeit wurde Lidl mit Angestelltenüberwachung gleichgesetzt. Dass allerdings auch bei den Lebensmittelketten Edeka und Plus Angestellte heimlich per Video observiert wurden, fand kaum Beachtung.
„Vorsorge-Untersuchung“ bei Airbus
Nicht nur im Niedriglohnsektor und bei geringqualifizierten Arbeitskräften wie bei Lidl wird ein für Außenstehende kaum vorstellbarer Druck aufgebaut. Selbst im Tariflohnsektor der Besserqualifizierten in der Auto- oder Luftfahrtindustrie wird die sozialpartnerschaftliche Einbindung früherer Jahre zunehmend mit Druck durch Kontrollen kombiniert. Zum Beispiel mahnten im Januar Datenschützer in Baden-Württemberg den Autokonzern Daimler, weil dort im Werk Stuttgart-Untertürkheim mit Krankendaten von Beschäftigten zu lax umgegangen worden sei. Betriebsräte von Daimler rieten „aus gegebenem Anlass“, vorsichtig zu sein, etwa in Mitarbeitergesprächen nach längerer Krankheit.
Beim Luftfahrtkonzern Airbus kam die Buchhaltung auf die Idee, doch mal alle Kontonummern von Beschäftigten mit denen von Zulieferern abzugleichen, um mögliche Korruptionsfälle zu entdecken. Anscheinend nach dem Motto: Alle sind erstmal verdächtig. So wurden im Jahr 2005 einmal und von 2006 bis Mitte 2007 vierteljährlich die Kontodaten aller MitarbeiterInnen gescreent, ohne dass ein Fehlverhalten festgestellt wurde, wie eine Unternehmenssprecherin erklärte. Dabei gab es noch nicht einmal einen konkreten Anlass – es sei eine Art „Vorsorge-Untersuchung“ gewesen.
Das Datenscreening sei „zum damaligen Zeitpunkt als rechtlich zulässig angesehen“ worden, teilte Airbus mit. Noch unter dem früheren Management sei die Praxis 2007 beendet worden. „Im Rahmen der öffentlichen Diskussion um Datenvergleiche“ habe die neue Geschäftsführung von Airbus Deutschland im Dezember 2008 eine Untersuchung eingeleitet, um festzustellen, „ob in der Vergangenheit Mitarbeiterdaten mit externen Daten verglichen worden sind“. Der Konzernbetriebsrat sei umgehend über das Ergebnis unterrichtet worden, am 23. März auch die Belegschaft in Hamburg, so die Firmensprecherin Nina Pretzlick. Auch ein entsprechendes internes Rundschreiben an alle Airbus-Mitarbeiter unter dem Titel „Interner Datenvergleich durch Audit aufgeklärt“, das dem Autor vorliegt, legt nahe, dass alles einvernehmlich geklärt sei: „Umgehend nach Abschluss des Audits wurde der Airbus Deutschland Gesamtbetriebsrat über die Aufklärung dieses internen Datenvergleichs informiert. Kurz danach wurden die Mitarbeiter in einer ordentlichen Betriebsversammlung über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. Freundliche Grüße, interne Kommunikation“.
Informationskanäle
Ganz so sozialpartnerschaftlich ist es in Wirklichkeit nicht gelaufen: „Wenn so der Eindruck erweckt werden soll, dass wir seit Dezember mit im Boot sind, ist das falsch“, sagt Rüdiger Lütjen, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Airbus Deutschland, sichtlich enttäuscht darüber, dass der Betriebsrat hier übergangen worden ist. Erst am 6. Februar sei er auf eigenes Nachfragen von einem Personalmanager über den Vorgang aufgeklärt worden – und musste dann noch mal sechs Wochen auf genauere Informationen warten. Am 23. März wurden dann die Beschäftigten auf Betriebsversammlungen informiert. Gerald Weber, seit Anfang 2008 Chef von Airbus Deutschland, habe dort erklärt, dass er das Vorgehen – die Einleitung eines Kontenabgleichs ohne Einbeziehung des Betriebsrats – nicht gut heißt. Am 2. April titelte das Hamburger Abendblatt: „22.000 Beschäftigte bei Airbus überprüft“.
Seitdem ist der heimliche Kontenabgleich öffentlich und rief Hamburgs Datenschützer auf den Plan. Hans-Joachim Menzel, stellvertretender Hamburger Datenschutzbeauftragter, erklärte: „Wir halten den Vorgang nach bisherigen Erkenntnissen nicht für einwandfrei“, denn „alle Mitarbeiter wurden überprüft, es gab keine Beschränkung auf mögliche Verdächtige.“ Der Datenschützer kritisierte, die Aktion bei Airbus sei „nicht dem Betriebsrat oder dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten abgestimmt“ gewesen.
Gar nicht informiert wurden die im Rahmen des konzernweiten Sanierungsprogramms „Power 8“ ausgegliederten Beschäftigten in den Werken Laupheim und Nordenham: „Keiner von uns wusste davon“, sagt Betriebsrat Stefan Hammer aus Laupheim. „Auch wenn wir inzwischen nicht mehr zu Airbus gehören, hätte man uns auf jeden Fall unverzüglich über den Sachverhalt informieren müssen. Wir waren ja offensichtlich alle von der Aktion betroffen.“ Aber, so Airbus-Sprecherin Nina Pretzlick: „Eine zusätzliche Information an Laupheim gab es aufgrund der Ausgliederung nicht.“
Auch die Kontonummern der Mitarbeiter des Nordenhamer Flugzeugwerks, das seit Anfang 2009 zur neu gegründeten Premium Aerotec GmbH gehört, wurden gescreent. Betriebsratsvorsitzender Michael Eilers hält das für einen „Skandal“; das hätte sich im illegalen Raum abgespielt. Der Betriebsratschef betrachtet die heimliche Kontrollaktion der Geschäftsführung als einen Verstoß gegen die Daten- und Personenschutzrechte der Mitarbeiter. In der Belegschaft habe der Vorfall „Entsetzen ausgelöst“.
Spitze des Eisbergs?
Michael Eilers verlangt Aufklärung. Er begrüßt es, dass der Airbus-Gesamtbetriebsrat Fachanwälte mit einer Überprüfung der juristischen Konsequenzen beauftragen will. Außerdem müsse transparent gemacht werden, wie der Datenabgleich technisch vonstatten ging und ob es wirklich nur um die Kontonummern ging. Michael Eilers will, dass „geeignete Maßnahmen“ ergriffen werden: „So etwas darf nicht noch einmal vorkommen“.
Dass die seit 1997 bei Airbus bestehenden Vereinbarungen zum Datenschutz von der Geschäftsführung gebrochen wurden, hat laut Michael Eilers bei den Beschäftigten großes Misstrauen geschürt – und Verunsicherung: Wann wird einem, ohne es selbst zu wissen, bei der Arbeit am Computer elektronisch über die Schulter geschaut? Keinesfalls habe es bei Airbus eine Überprüfung des E-Mail-Verkehrs oder andere Formen von Bespitzelung gegeben, betonte ein Konzernsprecher gegenüber dem Hamburger Abendblatt. Er musste aber zugeben, dass er nicht wisse, ob bei der vom Airbus-Chef Weber im Dezember 2008 in Auftrag gegebenen internen Untersuchung überhaupt nachgeprüft wurde, ob E-Mail-Verkehr überwacht worden sei.
Das wäre vor dem Hintergrund eines anderen, in den Medien kaum beachteten Vorfalles aufschlussreich gewesen: Drei Mitarbeitern war fristlos gekündigt worden, weil sie ein internes Dokument an Adressaten außerhalb von Airbus gemailt haben sollen. Die drei hätten Unterlagen zu Mängeln beim Flugzeug A 380 „nach außen gegeben“ wie es hieß. Dabei ging es um die Mängelliste des A 380-Großkunden Emirates Airlines, in der laut Spiegel detailliert und ungeschönt u.a. von verschmorten Kabeln und verbogenen Verkleidungsblechen die Rede ist. Die Firma hat über die interne „Fire Wall“ für den E-Mail-Verkehr von der Weitergabe der internen Datei erfahren.
Die Pressestelle von Airbus erklärte dazu, dies sei ein Notfall und eine Kündigung wegen Verrates von Betriebsgeheimnissen sei in Betrieben allgemein üblich. Auch der Airbus-Betriebsrat hätte gegen die Entlassung der drei keine Einwände erhoben. Das ist aus dessen Warte auch logisch – versteht sich der Betriebsrat doch als Verfechter der Sozialpartnerschaft mit dem Management. Wer der Konkurrenz Vorteile verschafft durch die Weitergabe von Betriebsgeheimnissen, ist offensichtlich selbst schuld, wenn er oder sie entlassen wird.