Kolumne Durruti

da195-bug-kolumne-bild.jpg

Erinnert sich eigentlich noch jemand an den Job-Floater? Die Hartz-Kommission nannte so ein Kreditprogramm, das Arbeitsplätze schaffen sollte, aber partout nicht wollte. Wobei der Begriff Floater (engl.) laut Lexikon ein erfolgreiches Wertpapier bezeichnet, oder auch einen Köder – und eine Wasserleiche …. Egal, Hauptsache englisch und irgendwie dynamisch floatend. Unter Gerhard Schröder sollte alles anders werden – modern, flexibel, immer in Bewegung. Und so nannte man das, was früher vielleicht Bundesarbeitsvermittlungsmodernisierungsgesetz oder so ähnlich geheißen hätte, Job-AQTIV-Gesetz. Klingt superdynamisch, und ist sogar beinahe unverwechselbar. Bloß dank des Q! Ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Das Gesetz bescherte uns im Übrigen die Eingliederungsvereinbarung. Nicht nur sprachlich also ein rot-grüner Meilenstein. Also merke: Etwas denglisch und etwas verfremden, und schon macht es was her. Das hat zugwendend auch die bis dato etwas beamtenträge Bahn AG erkannt. Die Auskunft von damals heißt seitdem ServicePoint, und statt einer einfachen Fahrt mit dem Bus zum Flughafen Münster-Osnabrück bucht man nun ein EinzelTicket für den City-Express nach Münster Airport. Da fliegt einem der urbane Fahrtwind gleich wohlriechend um die Ohren.

Beste KundInnen der Werbeagenturen, die originelle Anglizismen in Serienproduktion aus ihren kreativen Hirnen schrauben, wurden fortan übrigens die Friseursalons: So gibt es beispielsweise, bleiben wir bei Münster, statt Salon Müller, Meier oder Schulze nunmehr CutGo, Cut&Go (2x), Cut’n’Tech, Cut-Studio (2x), Headsmiths, Hair affair, Hair discount, Hair dreams, Hair power und ein paar mehr von der Sorte. Aber es ist Krise, und die trifft auch das in der Not ziemlich verzichtbare Friseur-Handwerk mit voller Wucht. Allzu dynamisches Neusprech weckt in Krisenzeiten zudem beänstigende Konnotationen. Die neue Marktlücke heißt daher Wohlfühlkapitalismus. Das hat man im Hair Business sofort erkannt und setzte fortan auf lustige Wortspiele: Haarsträubend, Haareszeiten, Haargenau, Kopfsalat, Querkopf, und – huiuiui – Die Schnittstelle. Halbwegs zahlungskräftige Krisenüberlebende wollen aber auch mal was fürs Gewissen. So wird fair gehandelte Kleidung (dengl.: fairwear) immer beliebter. Und fair ist sowieso immer gut – wer will sich im Fairsicherungsladen schon über den Tisch gezogen fühlen? Das wissen die FriseurInnen längst. Fairschnitt und Fairhair gibt es entsprechend auch schon mehrfach. Wird also Zeit für die nächste Innovationswelle. Vielleicht lässt sich mit makabrem Humor noch jemand fürs Haareschneiden gewinnen? Wie wärs mit „Um Haaresbreite“ oder „Die Schere im Kopf“? Na ja, noch nicht ganz so überzeugend ….

Und an wem geht das Ganze ohnehin völlig vorbei? Richtig, an den Gewerkschaften. Seit ver.di bringt der DGB kein einziges lustiges Wortspiel zu Stande! Nix dynamisch, nicht mal fair. Und können die überhaupt englisch außer „shareholder value“? Vielleicht sind die auch einfach zu humorlos? Zu fairkopft? Natürlich, Klassenkampf ist eine sehr sehr ernste Angelegenheit, aber wenn man sich als Customer Care Agent (dt.: KundenpflegevermittlerIn) bei ver.di in „Fachbereich 13 – Besondere Dienstleistungen“ organisieren soll, schafft allein der Name schon ein fairhairendes Maß an Zugehörigkeitsgefühl. Symbolisch ambivalent ist allerdings in diesem Zusammenhang auch das selbstorganisierte münstersche Pendant namens Telefonzelle. An solidarischer Nähe scheint es hier nicht zu mangeln, aber an proletarischer Masse? Wir üben ja noch …. BabyloHn ist schon mal ein Anfang.

Theo Tolstoi

Schreibe einen Kommentar