Call for a Union

callcenter.pngIn Münster haben sich CallCenter-AgentInnen unter dem Namen ‚Telefonzelle’ zusammengeschlossen, um sich gemeinsam gegen die Ausbeutungsverhältnisse in der Branche zu wehren. Die Direkte Aktion sprach mit einem von ihnen.

Warum habt ihr angefangen, euch als CallCenter-AgentInnen zu organisieren?

Die Wirtschaftskrise hat ja zuerst die LeiharbeiterInnen getroffen – und ArbeiterInnen in CallCentern sind meist outgesourct und arbeiten dort, wo man schnell und einfach kürzen oder aber den Leistungsdruck erhöhen kann. Deshalb hatten einige, die im CallCenter arbeiten, das dringende Bedürfnis, auf so eine Situation vorbereitet zu sein. Wir sind nicht den Weg einer öffentlichen Veranstaltung gegangen. Es ist aus viel zu vielen Organisationsprojekten klar geworden, dass das nicht klappt, wegen einer verständlichen Angst davor, im Betrieb denunziert zu werden. Stattdessen lief die Organisierung über eine persönliche Ansprache.

Wo liegen denn momentan die Hauptprobleme in den CallCentern?

Das hängt von der Form des CallCenters ab. Zum Einen gibt es sog. ‚Inhouse’-CallCenter. Die Leute, die da arbeiten, sind eben nicht outgesourct und fallen unter einen betreffenden Tarifvertrag. Und es gibt die outgesourcten Callcenter. Bekanntestes Beispiel dafür sind die Telekom-eigenen CallCenter, die erst vor kurzem ausgegliedert wurden. Die Bertelsmann-Tochter arvato, Deutschlands größter CallCenter-Konzern, hat sich neun CallCenter der Telekom eingefahren. Für die KollegInnen heißt das: Absenkung des Lohns, vier Tage weniger Urlaub und 3,5 Stunden mehr Arbeit in der Woche.

Außerdem muss man klar zwischen den Inbound- und Outbound-Jobs trennen. Inbound heißt, du wirst angerufen. Du hast dann kaum Einfluss auf deinen Arbeitstakt. Denn nach einem Anruf kommt der nächste rein. Oft ist der Kunde dann einfach in der Leitung.

Outbounder, die meistens was verkaufen sollen oder Umfragen machen, werden dagegen oft nach Erfolgsquote bezahlt.

Das führt auch direkt zur nächsten Unterscheidung, nämlich der zwischen den Konzernen und den Scheinselbständigkeitsklitschen. Letztere zahlen keinen festen Stundenlohn, sondern nur nach Quote. Die Klitschen nehmen oft Studierende oder MigrantInnen – wegen fremdsprachlicher Telefonie – und die Leute haben überhaupt keine soziale Absicherung. Da werden banalste Rechte nicht gewährt. Die Leute machen meist nicht mal Pausen, weil sie dann einen Anruf und damit reales Geld verlieren. Und natürlich ist es auch von Konzern zu Konzern unterschiedlich, selbst wenn dieselben Projekte telefoniert werden.

Es gibt auch ein paar gemeinsame Probleme: zum Beispiel Datenschutz – nicht den der Kunden, sondern den der ArbeiterInnen. Das betrifft den Mitschnitt von Gesprächen sowie Krankenrückkehrgespräche. Die Durchsetzung der Regelungen für Bildschirmarbeit ist auch ein Problem. Die komplette Kontrolle und Erfassung, die technisch in CallCentern möglich ist, ist äußerst relevant. M.E. ist das deutlichste gemeinsame Manko aber immer noch der Lohn.

Wie wollt ihr gegen diese Missstände vorgehen?

Das A und O in dieser Phase ist der Austausch. In den Scheinselbständigkeitsklitschen kann man m.E. gerne mal den juristischen Weg wählen und seine Selbständigkeit in ein festes Arbeitsverhältnis umdefinieren. Dass die Leute aus den Konzernen dann den Scheinselbständigen die normalen Arbeitsbedingungen erklären, ist auch wichtig.

Der Austausch unter den ArbeiterInnen in den Konzernen ist genauso relevant: Die Arbeitgeber kommen ja immer mit dem Argument, dieses oder jenes sei nicht wirtschaftlich. Wenn ich dann aber hingehe und sagen kann: ‚Warum geht denn das in dem anderen Betrieb?’ habe ich zumindest schon mal ein gutes Argument. Und nicht zu vergessen die Tipps und Tricks für den Alltag: Bei uns treffen ja auch alte Hasen auf Neulinge. Es wird sich also auch über Dinge ausgetauscht wie ‚Wie tickt ein bestimmter Vorgesetzter?’ oder über Kleinstformen der direkten Aktion: Wie manipuliere ich die Quote? Wie trickse ich die automatische Zeiterfassung aus? Und für einige dieser Aktionen, die man sich alleine nicht traut, hilft es, durch die Treffen zu wissen: Andere machen das auch. Sowas muss auch über die Gruppe hinaus getragen werden, denn viele trauen sich vielleicht nicht zur Telefonzelle, würden aber an einem kollektiven Dienst nach Vorschrift teilnehmen.

Fünf Leute in einem CallCenter entfalten noch keine Arbeitermacht. Sie sind ersetzbar, die Leute auf den ARGEn stehen zwangsweise Schlange. Aber von den CallCentern geschulte Leute mit Erfahrung werden nicht so einfach ausgetauscht. Mit 20 Leuten stellst du in jedem CallCenter schon eine ziemlich konkrete Macht dar. Da sind wir noch nicht, aber uns sprechen monatlich neue Leute an. Eigentlich sind CallCenter-AgentInnen als KommunikationsarbeiterInnen durchaus TrägerInnen einer ganz passablen Arbeitermacht. Aber eben erst kollektiv.

Mit wem arbeitet ihr zusammen, um gegen die Ausbeutungsbedingungen zu kämpfen?

Zum Einen gibt es da soziale Organisationen, die als Bündnispartner in Frage kommen und zum Anderen die Statusgruppen, um die es geht. Natürlich arbeiten wir mit Leuten von chefduzen.de und vom CallCenter-Forum 1Oglinks aus Köln, die sich gegen Tectum stark gemacht haben, zusammen. Für unser Gründungstreffen hatten wir GenossInnen von kolinko eingeladen, da diese ja vor einigen Jahren eine Untersuchung zu CallCentern gemacht haben. Wir treten auch sowohl an die FAU wie auch an ver.di heran, wobei letztere sehr zurückhaltend sind, während die FAU zu allen Schandtaten bereit ist.

Zu den Statusgruppen: Das sind einmal die KundInnen am Telefon, die kann man m.E. nur per Öffentlichkeit erreichen. Die andere Statusgruppe sind die Auftraggeber. Ich denke, wir können in CallCentern viel erreichen, wenn wir die auftraggebenden Konzerne unter Druck setzen. In dem Sinne würde ich auch gerne mit den ArbeiterInnen dieser Konzerne in Kontakt treten. Da sind wir als outgesourcte CallCenter-AgentInnen wieder vergleichbar mit den LeiharbeiterInnen. Wir sind KollegInnen, die zu schlechteren Bedingungen arbeiten. Da müssen wir, genau wie die LeiharbeiterInnen, auch die Solidarität der ArbeiterInnen aus den Mutterkonzernen einfordern.

Kontakt zur Telefonzelle bekommt ihr über die FAU Münsterland. Infos der ‚Telefonzelle’ sind auch unter www.netzwerkit.de/ccms zusammengestellt.

Weitere Links zum Thema:

Veraltete Homepage der CallCenter Offensive Berlin, leider nicht mehr aktiv, aber mit vielen nach wie vor wichtigen Infos: http://userpage.fu-berlin.de/~hagen66/

Die CallCenter-Untersuchung der Gruppe kolinko online: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/kolinko/lebuk/d_lebuk.htm

Portal der ver.di Betriebsgruppe im Premiere-CC Schwerin: http://www.eavi.info/hmportal.php

Die News- und Info-Seite für CallCenter-AgentInnen in NRW: http://1oglinks.de/

Infos für Ausgebeutete: http://www.chefduzen.de

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