„Die Lage in Afghanistan“, so Stanley McChrystal, seit dem 15. Juni Oberbefehlshaber der ISAF-Truppen, „ist ernst, doch ein Erfolg ist zu schaffen“. Ein Ausspruch, der fatal an die Durchhalteparole der deutschen OHL gegen Ende des Ersten Weltkrieges erinnert: „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos“. Der Eindruck liegt nahe, dass sich hier das Eingeständnis vollkommener Ratlosigkeit unfreiwillig offenbart. In seiner Rede im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Afghanistan forderte der NATO-General einen Strategiewechsel und „mehr Entschlossenheit“. Das wirft Fragen auf.
Auf in den Kampf
So hat ein Strategiewechsel längst stattgefunden. Die neue US-Regierung forciert ausdrücklich die militärische Intervention in Afghanistan. Das US-Kontingent wird um 21.000 auf 68.000 Mann aufgestockt, die ISAF-Verbände sollen gegenüber den Taliban spürbar in die Offensive gehen. Dahinter steht nicht zuletzt die Absicht, das fortschreitende Übergreifen islamistischer Kräfte auf die Atommacht Pakistan aufzuhalten.
Teil der neuen strategischen Stoßrichtung ist eine Neuausrichtung des Engagements der weiteren ISAF-Kontingente, einschließlich Deutschlands. Der Eindruck, die Bundesregierung ziere sich hier noch, trügt: Zwar wurde das Bundeswehr-Kontingent bislang nicht erhöht (mit knapp 3.200 Mann ist das Mandat von 4.500 noch nicht ausgeschöpft), doch ist sie längst taktisch in militärische Aktionen eingebunden.
Deutsche Panzer am Hindukusch
Bekannt ist der Einsatz von sechs Tornado-Kampfjets seit 2007, die offiziell zur Aufklärung eingesetzt werden; weniger thematisiert wird jedoch die neue offensive Ausrichtung der Bundeswehr im Norden Afghanistans seit dem Juli letzten Jahres. Die „schnelle Eingreiftruppe“ als Teil der „Quick Reaction Force“ macht schon aufgrund ihrer Ausrüstung und Verbände keinen Hehl daraus, dass sie sich zivilen Aufbauzwecken eher weniger widmet. Dieser Elite-Verband umfasst Kampfeinheiten, die nicht nur mit Radarfahrzeugen und Minenräumkommandos ausgestattet sind, sondern ebenso über Hubschrauber, Schützenpanzer und Kampfflugzeuge verfügen. Kern der QRF in der Nordregion war bis Ende 2008 das Panzergrenadierbataillon 212, verstärkt durch Luftlandeeinheiten und Fallschirmjäger – Einheiten, die speziell für Kampfhandlungen ausgebildet und konzipiert sind, und die eher offensiv denn defensiv eingesetzt werden.
Auch wenn genaue Informationen über die tatsächlichen Aktivitäten der Bundeswehr dank der restriktiven deutschen Informationspolitik, die eine unabhängige Berichterstattung nicht zulässt, rar sind, ergibt sich doch das klare Bild, dass deutsche Verbände längst in die neue aggressive Afghanistanpolitik eingebettet sind. Deutsche Soldaten kämpfen, sterben und töten am Hindukusch.
Das sonderbare Zieren des Verteidigungsministers Jung, in Bezug auf den Auslandseinsatz in Afghanistan von „Krieg“ zu sprechen, muss dazu nicht unbedingt im Widerspruch stehen. Sicher kommt hier auch der für Politiker im Allgemeinen und für militärische Operationen im Besonderen übliche Euphemismus zum Tragen, der das Blutige am Kriegshandwerk verschleiern soll. Doch geht es dabei auch um juristische und völkerrechtliche Aspekte einerseits und wirtschaftliche andererseits.
Kein Opiumbürgerkrieg
Das Völkerrecht versteht unter einem Krieg eigentlich einen bewaffneten Konflikt zwischen Staaten, um den herum mannigfaltige Regularien existieren, was im Krieg erlaubt ist und wer wann über welche Rechte verfügt. Doch der Krieg gegen Afghanistan ist längst beendet. Richtigerweise müsste man wohl von einem Krieg in Afghanistan sprechen; anders formuliert: von einem Bürgerkrieg. Dies käme aber einer politischen Bankrotterklärung gleich und verbietet sich von selbst. Im juristischen Zustand des Friedens jedoch muss jede Kampfhandlung deutscher Soldaten im Ausland Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nach sich ziehen, eine Konsequenz, die nicht nur den Verteidigungsminister ins Schwitzen bringt.
Dass der Einsatz der Bundeswehr auch mit wirtschaftlichen Motiven zusammenfällt, mag auf den ersten Blick nicht unbedingt einleuchten. Afghanistan hat nie zu den herausragenden Handelspartnern deutscher Unternehmer gezählt, und solange der Opiumhandel nicht legalisiert wird – wovon nicht auszugehen ist – dürfte sich hier auch keine Perspektive abzeichnen. Übersehen wird jedoch häufig, dass das Militär selbst – direkt und indirekt – ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist.
Das blutige Geschäft
Zuerst muss hierbei natürlich an die Rüstungsindustrie gedacht werden. Die Bundeswehr bzw. der deutsche Staat sind zahlungskräftige und darum viel umworbene Auftraggeber. Desweiteren hängen an der Rüstungswirtschaft nicht wenige Arbeitsplätze, die die deutsche Politik um des „sozialen Friedens“ willen im Auge behält. In diesem Zusammenhang kommt Auslandseinsätzen besondere Bedeutung zu, da sie die seltene Gelegenheit bieten, Waffentechnologien in der Praxis auf ihre Tauglichkeit zu testen. Das wiederum ist für die Rüstungsbranche in Hinblick auf Exporte von zentralem Stellenwert.
Der Rüstungsexport zählte in den letzten 15 Jahren zu den internationalen Boombranchen. Laut Bericht des Wirtschaftsministeriums hat sich der Export von Waffen zwischen 1997 und 2005 knapp verdoppelt. Gefragt sind dabei vor allem leichtere Waffensysteme, wie sie im Rahmen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr eher eingesetzt werden als bei denen der USA, die mehr auf schwereres Gerät zurückgreifen.
Darüber hinaus wirkt sich die Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer kämpfenden Eingreiftruppe auch für solche Industrien einträglich aus, die nicht direkt zum militärischen Bereich gehören. So beziffert sich der 2006 an Siemens und IBM erteilte Auftrag zur Modernisierung der Kommunikationsstruktur der Bundeswehr auf 7,2 Mrd. Euro.
Warten auf Soldat Godot
Aber worin besteht nun der von McChrystal angemahnte Strategiewechsel? Und welche Ziele verfolgt dabei die deutsche Politik? Abgesehen von dem bereits angesprochenen pakistanischen Problem scheint sich für Afghanistan selbst keine neue Strategie zu ergeben, mit der die Lage auf irgendeine Weise stabilisiert und befriedet werden könnte. Dass die deutsche Politik die Bundeswehr zu einem Werkzeug eigenständiger aggressiver Außenpolitik umfunktionieren wolle, muss dagegen eher im Fabelreich verortet werden. Derartige Absichten sind kaum bei den führenden Eliten erkennbar. Vielmehr schließt sich die deutsche Militärpolitik der der Bündnispartner an. Und dabei wirkt sie letztendlich konzept- und kopflos. Selbst der Münchner Bundeswehr-Professor Michael Wolffsohn kommt zu dem Schluss, dass die Bundeswehr in Afghanistan weder eine zivile noch militärische Strategie verfolge, sondern überhaupt keine: „Tatsache ist, sie hat keine“.
Und Stanley McChrystal? Worin sollte der Erfolg bestehen, den er in Afghanistan für möglich hält? Ginge es hier nicht um Opfer, ums Töten und Sterben, gerne würde ich an die Antwort erinnern, die der österreichische Verbündete der OHL auf die von ihr ausgegebene Durchhalteparole erteilte: „Die Lage ist zwar hoffnungslos, aber nicht ernst“. Leider trifft dies hier nicht ganz zu.