Mit der Lanze von Don Quijote

Abstimmung über den U-Bahn-Streik

Nach dem Sparpaket die Arbeitsmarktreform. Bereits Anfang des Jahres hatte die spanische Regierung ein umfassendes Sparpaket von insgesamt 50 Mrd. Euro angekündigt, das eine fünfprozentige Gehaltskürzung im Öffentlichen Dienst und die massive Kürzung von Subventionen vorsieht. Im Juni reichten die Sozialdemokraten eine umfangreiche Reform des Arbeitsmarktes nach. Die Regierung argumentiert mit der Notwendigkeit, Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung zurückzufahren. In der Presse wird das Maßnahmenbündel als endgültige Kapitulation der sozialistischen Regierung vor dem transnationalen Kapital und den Vorgaben der EU interpretiert.

Mit der Reform wird der Arbeitsmarkt noch weiter prekarisiert und privatisiert. Die Kündigung wird erleichtert und verbilligt, indem die Entschädigung für regulär gefeuerte ArbeiterInnen um rund ein Viertel gesenkt wird. Macht ein Unternehmen eine negative wirtschaftliche Lage geltend, kostet eine Kündigung nur noch 20 Tagesgehälter pro Jahr Betriebszugehörigkeit. Jeweils acht dieser Tage werden zudem aus einem mit Sozialversicherungsbeiträgen finanzierten Fonds, also von den ArbeiterInnen selbst finanziert. Weiterhin sollen sensible Branchen wie Bau, Gesundheit und Öffentlicher Dienst für Leiharbeitsfirmen geöffnet werden, zu denen sie vorher keinen Zugang hatten – dies geht auf eine EU-Richtlinie zurück. Außerdem werden bislang verbotene private Arbeitsvermittlungen legalisiert und Unternehmen sollen leichter als bisher Tarifverträge unterschreiten können.

Während die Gewerkschaften gerade erst an einer angemessenen Replik auf diesen Angriff arbeiten, denkt die Regierung bereits laut über den nächsten Schritt des neoliberalen Umbaus der Arbeitswelt nach, nämlich die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und die Verlängerung des Berechnungszeitraums für die Rente von 15 auf 20 Jahre, was – wie in der Bundesrepublik – eine faktische Rentenkürzung bedeutet.

Zwei verschiedene Strategien

Gegen diese Politik mobilisieren die beiden großen Gewerkschaftsverbände CC.OO und UGT zu einem Generalstreik am 29. September. CGT und CNT kritisieren allerdings, dass der Termin – rund vier Monate nach Verkündung der Reform – viel zu spät gewählt ist. Stattdessen hatten die beiden Gewerkschaften einen Generalstreik für Ende Juni gefordert und sich an dem baskischen Generalstreik am 29. Juni beteiligt, der von den dortigen Gewerkschaften organisiert worden war. Laut Salce Elvira vom linken Flügel der CC.OO würden „Generalstreiks eine umfassende Vorbereitung, Erklärungen und viel Überzeugungsarbeit erfordern“, die in kürzerer Zeit nicht zu leisten gewesen wäre.

Die allgemeine Arbeitsniederlegung soll vor allem ein Zeichen gegen die neoliberale Politik der letzten Jahre und Monate setzen. Eine Rücknahme der Reform ist von einem eintägigen Ausstand aber nicht zu erwarten. Stattdessen betont insbesondere die CNT die Notwendigkeit der Organisierung im Betrieb.

Was diese leisten kann, hat der Arbeitskampf der Madrider U-Bahner aufgezeigt, die großteils in der kämpferischen Gewerkschaft Solidaridad Obera organisiert sind: Mit der Umsetzung des ersten Sparpaketes sollte den U-Bahnern der Lohn um 5% gekürzt werden, obwohl erst Mitte 2009 ein neuer Tarifvertrag ausgehandelt worden war. In der Folge wurde die U-Bahn im Juni und Juli mehrere Tage lang bestreikt. Dabei unterliefen die Streikenden die von der Verwaltung festgelegten Mindestdienste, die in Spanien de facto ein partielles Streikverbot darstellen und zu diesem Zweck immer willkürlicher verordnet werden. Trotz der Drohungen seitens der rechten Regionalregierung und einer medialen Hetzkampagne gegen die wilden Streiks, konnten die U-Bahner die Kürzung letztlich auf 1% minimieren. Zudem berichten Streikende zwar von verbalen Angriffen, aber auch von Gesten der Solidarität bei ihren Streikposten.

Der U-Bahn-Streik steht in scharfem Kontrast zu dem offiziellen Streik im Öffentlichen Dienst – dieser Ausstand direkt nach Bekanntgabe der Lohnkürzungen Anfang Juni war, von Demonstrationen abgesehen, kaum zu bemerken und wurde wegen seiner vorhersehbaren Wirkungslosigkeit von einigen CNT-Syndikaten boykottiert.

Der Boom wirkt nach

Die Arbeitslosigkeit, offiziell bei rund 20%, der Einbruch des volkswirtschaftlich wichtigen Bausektors und der zunehmende Druck auf die Erwerbstätigen haben allerdings auch zahlreiche, weniger öffentlichkeitswirksame Kämpfe hervorgebracht. Vor allem in der Industrie wehren sich ArbeiterInnen gegen Werksschließungen und Angriffe auf die Arbeitsbedingungen. So kämpft die Belegschaft des Kältetechnik-Unternehmens Saunier Duval, Teil der deutschen Vaillant-Gruppe, im baskischen Gasteiz gegen die Verlagerung des Unternehmens in die Slowakei und bei GM Spanien wird Widerstand gegen den Sanierungsplan laut. Im ganzen Land organisieren Erwerbslosen-Initiativen Demonstrationen und fordern die Verbesserung ihrer Situation. Da die Arbeitslosenhilfe in Spanien maximal zwei Jahre lang gezahlt wird, von der Höhe und Dauer der geleisteten Zahlungen abhängt und einige Erwerbslose ganz davon ausgeschlossen bleiben, bedeutet Erwerbslosigkeit in Spanien vor allem eines: Schwarzarbeit. Und Schwarzarbeit bedeutet Rechtlosigkeit und die ständige Gefahr, wieder gefeuert zu werden und das Abwälzen aller Risiken auf die ArbeiterInnen – modernes Tagelöhnertum.

Die wenigen neuen und legalen Jobs kommen durch das millionenschwere staatliche Konjunkturprogramm Plan E zustande und werden üblicherweise an ArbeiterInnen vergeben, die der jeweils im Rathaus sitzenden Partei nahestehen, wogegen die Ausgeschlossenen vielerorts protestieren. Den Anfang markierte dabei die CNT bereits im Jahr 2009 mit der Organisierung eines Generalstreiks in der andalusischen Kleinstadt Lebrija, der aus Protest gegen die lokale Vetternwirtschaft den gesamten wirtschaftlichen Betrieb lahmlegte (siehe Direkte Aktion Nr. 192). Diesem Beispiel folgend, bestreikte die Landarbeitergewerkschaft SAT-SOC im Frühling 2010 mehrere Orte im Gebirge von Cádiz – einer Region mit rund 40% Arbeitslosigkeit – und organisierte dort einen „Marsch für Würde und Arbeit“ mit mehreren hundert Teilnehmern. Zählbare Ergebnisse haben die Mobilisierungen zwar nicht hervorgebracht, allerdings sind kollektive Aktionen für die Betroffenen eine wichtige Erfahrung. Insbesondere in einem Land, in dem ein Reihenhaus und ein Auto – meistens auf Kredit – noch immer als erstrebenswertes Ideal des Individualismus gelten. Hatte sich dieser Lebenstraum in den 1990ern mit Wirtschaftswachstum und Bauboom verfestigt, hat er für viele mit der Krise ein jähes Ende gefunden. Die katalanische CC.OO-Baugewerkschaft prophezeit als Folge des Sparpakets den Verlust von weiteren 20.000 Arbeitsplätzen allein in dieser Autonomieregion.

Es bleibt abzuwarten, ob der Generalstreik dazu beitragen kann, die punktuellen Abwehrkämpfe zu vernetzen und die Vereinzelung zu überwinden. Entgegenstehen dieser Hoffnung eine weit verbreitete, mit Ohnmachtsgefühlen gepaarte passive Mentalität, die das Sparprogramm als unausweichlich ansieht, und jener Individualismus, der sich in der Boomphase festgesetzt hat. Diejenigen, für die der Boom vorbei ist, werden zwar immer mehr, aber zumindest im Moment sitzt die individualistische Mentalität noch tief, die sich in der verhältnismäßig kurzen Phase des Reichtums auf Pump entwickelt hat.

Schreibe einen Kommentar