Keine
zehn Jahre ist es her, dass mit der Formulierung des Prekariats
versucht wurde, die Auswirkungen eines Deregulierten Arbeitsmarktes
zu beschreiben. Gruppen, die aufgrund ihrer Tätigkeiten und Bildung
nicht dem Proletariat zugerechnet wurden, waren nun von klassischen
Proletariatsproblemen konfrontiert: Unsichere Arbeitsverhältnisse,
Unterbezahlung, mangelnde soziale Absicherung, keinerlei
Einflussmöglichkeiten auf die Arbeitsplatzgestaltung,
gesellschaftliche Exklusion – unnötig, hier noch einmal alles
aufzuführen. Die Mehrheit der heute Erwerbstätigen war selbst schon
in irgendeiner Form prekär beschäftigt: Minijobs,
Werkstudentenverträge, Leiharbeit etc. Oftmals werden diese
Beschäftigungen von den Betroffenen selbst nicht als prekär
wahrgenommen, sichern sie für den Moment doch das Auskommen. Wenn
man aber den Begriff eng fasst und berücksichtigt, dass die Hälfte
aller Erwerbstätigen im Alter keine existenzsichernde Rente erhalten
werden, müssen mehr Arbeitsverhältnisse als prekär bezeichnet
werden als bisher. Daran ändert auch die Tatsache, dass seit 1.
Januar 2013 Mini-Jobs rentenversicherungspflichtig geworden sind,
nichts. Mit dem Erwerb von jährlich 4 Euro Rentenanwartschaften
entkommt man dem Gang zum Amt nicht, hat aber jeden Monat weniger im
Portemonnaie. Der Kampf gegen prekäre Verhältnisse kommt dem Kampf
gegen die Hydra gleich: Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei neue
nach.
Das
Prekariat scheint allgegenwärtig, und mit dem Begriff „prekär“
lassen sich nicht nur Arbeitsverhältnisse klassifizieren, sondern
nahezu alle Lebensbereiche beschreiben. Anstatt schichtübergreifende
Solidarität zu befördern, wie es in Feuilletondebatten romantisch
herbei gesehnt wurde, verhält es sich mit dem Prekariat wie mit
jedem Begriff, der vielseitig anwendbar wurde: „Prekär“ wirkt
ermüdend und dient nur noch dazu, eine Wirklichkeit zu beschreiben,
die, um ein Lieblingswort von Frau Merkel zu zitieren, als
„alternativlos“ wahrgenommen wird.
Damit
wird schon in der Wortverwendung erkennbar, was die zunehmende
Prekarisierung der Gesellschaft tatsächlich ist: Ein gewolltes
Herrschaftsinstrument. Ausgedehnt auf alle Erwerbsformen ist es nur
noch der Elite möglich, nicht dazugerechnet zu werden und sich den
Auswirkungen zu entziehen. Der zunehmenden Anzahl von Betroffenen
hingegen ist es aufgrund der immer geringer werdenden Ressourcen und
Nischen immer schwerer möglich, dagegen anzugehen.
Aber
die Hoffnung stirbt zuletzt, und vielleicht weilt der Herakles, der
der Hydra das lebenswichtige Haupt abschlagen wird, bereits unter
uns.