„Es tut so gut, sich endlich einmal zu wehren!“, sagt Michael R., FAU Mitglied in Berlin, auf einer Kundgebung gegen die prekären Beschäftigungsverhältnisse in der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung (HBS). Viel Frust hatte sich im Laufe der Jahre angestaut, in denen er über eine externe Dienstleistungsfirma im Konferenzzentrum der HBS für einen Niedriglohn gearbeitet hatte. Ende 2012 jedoch begann er, unter den KollegInnen in der Stiftung und der Dienstleistungsfirma UnterstützerInnen zu suchen und Informationen zur Beschäftigungspraxis in der HBS zu sammeln. Bald wurde klar, dass nicht nur die Löhne niedrig, Mitsprachemöglichkeiten mäßig und die geforderte Flexibilität hoch war, sondern dass die HBS auch gegen arbeitsrechtliche Vorgaben verstoßen haben könnte: Bei der praktizierten Beschäftigungskonstruktion handelte es sich möglicherweise um unerlaubte Leiharbeit. Um die Sache ans Laufen zu bringen, reichte Michael R. Klage auf eine Festanstellung ein.
Doch dabei blieb es nicht: Die FAU Berlin informierte MitarbeiterInnen und Veranstaltungsgäste der Böll-Stiftung über die prekäre Beschäftigung im Technik- und Servicebereich. Die Geschäftsführung weigert sich jedoch bis heute, die gewerkschaftliche Komponente des Konfliktes anzuerkennen und mit der FAU zu verhandeln: Für sie handelt es sich um die Klage einer Einzelperson. Sie bot zudem einige hundert Euro an, wenn die Klage zurückgezogen und die gewerkschaftliche Arbeit eingestellt würde. Offene Debatten, die die HBS laut ihrem Leitbild eigentlich fördern will, behinderte die Geschäftsführung zusätzlich, indem sie den über externe Firmen beschäftigten KollegInnen die Teilnahme an einer Betriebsversammlung verwehrte. Sie wies sogar den Betriebsrat an, eine Einladung an die FAU zurückzuziehen, und dieser fügte sich. Schließlich plante die Geschäftsführung scheinbar, die gewerkschaftlich aktive Belegschaft des Konferenzzentrums aus dem Betrieb zu verdrängen. Kurz vor Beginn der Sommerpause führte die FAU Berlin darum eine erste Kundgebung vor dem Stiftungssitz durch, um deren Gäste und die Öffentlichkeit auf die prekäre Arbeit in der Böll-Stiftung aufmerksam zu machen.
Tarifflucht und Lohndumping: Leider alternativlos?
Die FAU-Mitglieder waren von der Unnachgiebigkeit der Geschäftsführung schon ein wenig überrascht: Prekäre Arbeit und Einschränkung von Mitsprache stünden einer Stiftung schlecht zu Gesicht, die die sozialen Folgen der Prekarisierung kritisiert und sich weltweit für Partizipation und Menschenrechte einsetzt. Noch pikanter sei dies angesichts der Kritik der Grünen an Lohndumping und Tarifflucht und ihrer Forderung nach einem Mindestlohn im aktuellen Wahlkampf. Denn obwohl die HBS formal kein Teil der Partei ist, sind die Verflechtungen zwischen beiden sehr eng: Nicht nur berufen sich beide auf eine gemeinsame politische Richtung, sondern Parteimitglieder sind auch in den Stiftungsgremien mit großer Mehrheit vertreten und selbst die Höhe der staatlichen Finanzierung der Stiftung hängt vom Wahlergebnis der Grünen ab.
Die Geschäftsführung der „grünen Ideenagentur“ stellt das Outsourcing der Konferenzassistenz jedoch immer wieder als alternativlos dar: Laut Vergaberecht dürfe die Stiftung keine bestimmten Tarife verlangen, müsse zugleich aber das wirtschaftlichste Angebot wählen. Ein entscheidendes Detail jedoch verschweigt sie: Niemand zwingt die Stiftung, überhaupt eine externe Firma zu beauftragen.
Obwohl die Stiftung damit argumentiert, dass sie keinen Einfluss auf die Löhne bei den beauftragten Dienstleistungsfirmen nehmen kann, behauptet sie zugleich, auf tarifliche Entlohnung zu achten. Bei der Firma, die den Betrieb des Konferenzzentrums bisher abgewickelt hat, gibt es jedoch überhaupt keinen Tarifvertrag. Die HBS verweist auf den Tarifvertrag zwischen dem DGB und dem Leiharbeitgeberverband BAP. Verglichen mit dem dort festgelegten Tarif von 7,50 Euro seien die gezahlten 8 Euro sogar übertariflich. Merkwürdig ist jedoch, dass die Stiftung einerseits bestreitet, dass es sich bei den KollegInnen um LeiharbeiterInnen gehandelt habe, andererseits jedoch einen willkürlich ausgewählten Dumpinglohntarif für LeiharbeiterInnen zitiert.
Der Stundenlohn sei ohnehin nur um 97 Cent niedriger gewesen, als das, was nach dem in der Stiftung üblichen Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) zu zahlen gewesen wäre, rechtfertigt sich die Geschäftsführung weiter. Berücksichtigt man jedoch Einarbeitung und Erfahrung, steht den meisten KollegInnen ein Stundenlohn von über 11 Euro zu. Immerhin hieße aber selbst ein Plus von 97 Cent für die KollegInnen eine Lohnsteigerung von über 12 Prozent.
Die Entlohnung der KollegInnen nach TVöD stellte die Stiftung kürzlich zudem als unangemessene Verwendung öffentlicher Mittel dar, die zu Lasten der politischen Bildung gehe. Das Lohndumping stellt für die Geschäftsführung demnach keineswegs eine bedauerliche Nebenwirkung des Vergaberechtes dar, vielmehr rechnet sie mit den Ersparnissen durch Outsourcing und Leiharbeit. Das Argument jedoch scheint schief, läuft es doch darauf hinaus, Dumpinglöhne zu zahlen und Gewerkschaften aus dem Betrieb fernzuhalten, um die eingesparten Mittel für politische Bildung über Menschenrechte und Gerechtigkeitsfragen einzusetzen.
Leiharbeit statt Tariflohn
Einen Monat nach der Kundgebung vor der Stiftung demonstriert die FAU Berlin erneut – diesmal wenden sich die Proteste im Rahmen einer Aktionswoche nicht nur an die Böll-Stiftung, sondern auch direkt an die Grünen. Inzwischen hat die Stiftung die gewerkschaftlich aktiven KollegInnen kalt gekündigt. Um sie zu ersetzen, sucht sie nun auch offiziell nach LeiharbeiterInnen. „Zum Abschied gab‘s ein Stück Kuchen.“, meint Michael R. „Damit lassen wir uns bestimmt nicht abspeisen!“