Campino, Herbert Grönemeyer und Bob Geldof scheinen ihren politischen Zielen so nahe zu sein wie nie: Auf der Konferenz der Welthandelsorganisation WTO Anfang Dezember in Bali einigten sich die Regierungen von 159 Staaten im Groben auf den Abbau aller Handelsbeschränkungen und „wettbewerbsgefährdender“ Subventionen, vor allem im Agrarsektor. Genau so etwas hatten die drei genannten in die Jahre gekommenen Sängerknaben in ihren Statements entlang von Großdemonstrationen anlässlich der G8-Gipfel immer gefordert. Globale Ungleichheit werde durch die Abwehrhaltung der Industrienationen gegenüber den ProduzentInnen in den so genannten Entwicklungsländern maßgeblich verursacht, wohingegen die Subventionierung von Agrarerzeugnissen in den reicheren Regionen den Markt in den ärmeren zerstöre. Auch Oxfam oder Attac hatten jahrelang ähnlich argumentiert; Attac scheint – zusammen mit der Finanztransaktionssteuer, die im Koalitionsvertrag der neuen Regierungsmehrheit im Deutschen Bundestag vorgesehen ist – nun tatsächlich die Realisierung ihrer jahrelangen Kernforderungen miterleben zu dürfen. Der überwiegende mediale Tenor verkündete nach dem WTO-Abkommen von Bali das Erreichen eines Meilensteins auf dem Weg zur Beseitigung von Ungleichheit in den internationalen Handelsbeziehungen, und die von Amts her beteiligten (Noch-)Minister Rösler, Niebel und Westerwelle betonten einhellig, wie sehr hier sowohl deutsche Interessen gewahrt wie auch gönnerhafte Hilfen für „die Entwicklungsländer“ (Westerwelle) geleistet worden wären. Nachdem der erste Beifall abgeebbt war, begann eine etwas nüchternere Diskussion in den verschiedenen Formaten des Wirtschaftsjournalismus, und von beiden dominanten Denkrichtungen – neoliberal und keynesianisch – wurde die Halbherzigkeit des Abkommens bemängelt; die einen bejammerten Ausnahmeregelungen wie etwa die Absegnung des indischen Subventionsprogramms für nicht für den Export bestimmte Nahrungsmittel, die anderen bemängelten, es seien nicht ausreichend Anschubprogramme zur Steigerung des Wirtschaftswachstums in den ärmsten Ländern beschlossen worden. Attac formulierte die eigene Pressemitteilung so, dass vor allem das Unkonkrete in der Vereinbarung zum Abbau der Importbeschränkungen von Waren aus so genannten Entwicklungsländern als wesentlicher Kritikpunkt dieser Organisation von den Zeitungen aufgegriffen wurde. Dass aber die Forcierung dessen, was die WTO „Welthandel“ nennt, zu einer Verschärfung des globalen Wettbewerbs und somit zwingend sowohl zu noch stärkerer ökologischer Verwüstung wie auch hemmungsloserer Ausbeutung führt, war für die meisten journalistischen und politischen KommentatorInnen kein Thema.
Verscherbeln oder Handeln?
Bis in die Attac-Ausführungen hinein scheint die publizistische Öffentlichkeit von einer Weltbevölkerung auszugehen, die komplett aus miteinander Handel treibenden MarkteilnehmerInnen besteht, und folgerichtig gelte es, im Geiste Ludwig Erhards eine globale soziale Marktwirtschaft zu etablieren. Dass die WTO von ihrer Funktion her höchstens gleiche Bedingungen für die Besitzenden dieser Welt herstellen kann, scheint niemanden grundsätzlich zu stören, hängt doch vor dem geistigen Horizont der wirtschaftspolitischen Publizistik das Wohl der entmündigten Massen eben von den Profitraten der Unternehmen ab. Für eine bessere Organisation des Welthandels müsste es aber gelten, diesen Begriff deutlich von dessen Verständnis gemäß der WTO abzugrenzen. Denn dieser Organisation bzw. den durch sie repräsentierten Staaten und ihren Industrien geht es ja nicht primär um einen Austausch von Gütern, sondern ist dies vielmehr Mittel zum Zweck der Umsatzsteigerung. Der Gegenentwurf einer demokratischen Entscheidungsfindung über das, was benötigt wird, und darüber, wie die gewünschten Produkte beschafft werden sollen, formuliert sich leicht als utopische Schnapsidee, ist aber weniger weit hergeholt als zunächst gedacht. Längst gibt es Kollektivbetriebe, die auf dem „Weltmarkt“ tätig sind, indem sie politische Beziehungen zu anderen Kollektiven knüpfen und so ein Vertriebsnetz aufbauen. Für den direkten Kontakt zwischen kollektivierten Betrieben sind erleichterte technische und administrative Bedingungen, wie sie die WTO befördert, natürlich auch vorteilhaft. Doch die Staaten, die die WTO tragen, vertreten die Interessen der großen Konzerne und schreiben damit die Abhängigkeit der LohnarbeiterInnen von den Unternehmen fort.