Nach dem ungebrochenen Hype um Fair-Trade- und Bio-Siegel in der Lebensmittelindustrie hat auch das Textil verarbeitende und produzierende Gewerbe längst das Labeling für sich entdeckt. Mit Gütesiegeln im Shirt suchen Firmen die Demonstration des Guten. Was „gut“ ist, hat sich dabei im Laufe der Jahre geändert. Stand Anfang der 1990er Jahre zunächst, dem Ökotrend folgend, eher die Gesundheit der KonsumentInnen im Vordergrund, ging es in einer zweiten Welle unter dem Stichwort der Nachhaltigkeit zusätzlich um eine umweltfreundliche Produktion und Agrarwirtschaft: Blauer Engel, Öko-Tex, EU-Ecolabel usw. zeugen hiervon. Vor dem Hintergrund der Brandkatastrophen in der Textilindustrie Bangladeschs und Pakistans gerät nun zunehmend auch die Frage der sozialen Standards, unter denen produziert wird, in den Blick. Plötzlich werben Frauenzeitschriften für die Beteiligung an der von NGOs und Gewerkschaften ins Leben gerufenen europäischen Clean Clothes Kampagne1. Das seit 14 Jahren bestehende Siegel der Fair Wear Foundation (FWF), welches Arbeitsbedingungen unter die Lupe nimmt, findet im Mainstream Verbreitung und die Presse fragt nach dem Sinn einer durch die Modeindustrie saisonal inszenierten Wegwerfkultur. Willkommen im Kapitalismus der Absatzmärkte!
Für stramme AnarchosyndikalistInnen mag diese Entwicklung unter dem Gesichtspunkt generell unerwünschter Lohnarbeit vielleicht zu belächeln sein. Angesichts einer uns vermutlich nicht aus heiterem Himmel ereilenden Revolution lohnt jedoch ein zweiter Blick.
Insgesamt ist eine inhaltliche Bewertung der bunten Schildchen für VerbraucherInnen schwierig. Von über 100 Nachhaltigkeitssiegeln und Gütestandards spricht die Arbeiterkammer Oberösterreich. Sie ließ die Siegel unter ökologischen und sozialen Kriterien begutachten2 und kommt zu dem Schluss, dass kein Standard beide Kriterien durch alle Stufen der Lieferkette zufriedenstellend abdeckt. So bewertet der verbreitete Standard Öko Tex 100 zum Beispiel lediglich die Schadstoffbelastung der Endprodukte. In Bezug auf die Ernsthaftigkeit der Bemühungen um soziale Standards schneidet das FWF-Siegel am besten ab. Vor allem das Bemühen um die Umsetzung existenzsichernder Löhne sei hier hervorzuheben. Auch in Bezug auf Glaubwürdigkeit und Effektivität machte das Siegel vor dem Hintergrund von sieben bewerteten Kriterien, darunter Transparenz, Rückverfolgbarkeit, Kontrolle und Verifizierung sowie Existenz eines Beschwerdesystems den ersten Platz. Ein Blick auf die Webseite der FWF erinnert zunächst an die alte, aus den USA stammende Idee des Union Labeling (siehe Interview auf Seite 4): Das Siegel bewertet ausschließlich die Erfüllung von Gewerkschaftsstandards in der Textilindustrie. Angelehnt an die Konventionen der ILO (International Labour Organisation) und an die UN-Menschenrechtskonvention, sind der Verzicht auf ausbeutende Kinderarbeit, Diskriminierung, Zwangsarbeit und unbegrenzte Arbeitszeiten sowie ein rechtsverbindlicher Arbeitsvertrag, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, Versammlungsfreiheit, das Recht auf Tarifverhandlungen und die Zahlung eines existenzsichernden Lohnes Bedingungen für den Erhalt des Siegels.
Verdrehte Welt
Angesichts der proklamierten Kriterien ist es umso erstaunlicher, dass unter den angebotenen Mitgliedschaftstypen in der FWF der Typus der Gewerkschaft vergeblich zu suchen ist, obwohl die FWF unter anderem von der christlichen Dienstleistungsgewerkschaft der Niederlande geleitet wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach einer breiten Durchsetzbarkeit der Standards ohne gewerkschaftliche Organisierung. Eine ausschließlich auf der Freiwilligkeit von Firmen basierende Strategie lässt eine „soziale Nachhaltigkeit“ im Hinblick auf die Verbesserung von Arbeitsbedingungen wohl kaum erwarten. Die Aktivitäten der FWF sind daher eher als Meta-Engagement zur Schaffung von Bedingungen für eine dringend notwendige gewerkschaftliche Organisierung zu verstehen. Auf der anderen Seite zeigt die mediale Prominenz des Siegels und der damit verbundenen Themen im vergangenen Jahr durchaus eine Nachfrage nach nunmehr auch unter sozialethisch vertretbaren Bedingungen hergestellter Ware – zumindest was die „Ferne“ der Herkunftsländer betrifft. Im Bestehenden ist das keine allzu schlechte Entwicklung, die eigentlich den Rückgriff auf das Union Labeling nahelegt, bei dem die Arbeitsbedingungen von gewerkschaftlich Organisierten und den die Waren Produzierenden bewertet werden. Hier beißt sich die Katze allerdings in den Schwanz: Ohne eine starke internationale Gewerkschaftsbewegung muss das Pferd wohl zunächst von oben à la FWF aufgezäumt werden. Es bleibt zu hoffen, dass jenen, die es wollen, ihre gewerkschaftliche Organisierung dadurch erleichtert wird.
Eine weitere Frage drängt sich angesichts der offensichtlichen KonsumentInnennachfrage auf: Warum in die Ferne schweifen, wenn die von der FWF eingeforderten ArbeiterInnenrechte nicht einmal vor der eigenen Haustür selbstverständlich sind? Nicht nur der Brand in der italienischen Textilfabrik in Prato mit sieben Toten, zeigte erst Anfang Dezember, wie nah die Indiens, Bangladeschs und Chinas sind. Seit Jahren ist in Deutschland branchenübergreifend die Zunahme von so genannten Hartz-IV-AufstockerInnen, die Zunahme von psychischen Erkrankungen durch Arbeitsverdichtung, die Zunahme von Arbeitsstunden und nicht zuletzt ein Klima der Gewerkschaftsfeindlichkeit festzustellen. Vielleicht wäre eine auf die Krise der Gewerkschaften in Deutschland angepasste Art der Bewertung produktgebundener Arbeitsbedingungen ein bescheidener, aber der Situation angemessener Weg, die allzu berechtigten Forderungen nach Einhaltung von sozialen Standards, ergänzend zu den üblichen gewerkschaftlichen Betätigungen, konsumentInnenkonform zu proklamieren und gleichzeitig dem Klima der Gewerkschaftsfeindlichkeit entgegenzutreten.
[2] ↑ www.getchanged.net/webautor-data/47/Standardbewertung-130925-Text-2-Seiten.pdf