„Drum will ich Mensch sein, um zu dichten…“

Erich Mühsam war eine schillernde Persönlichkeit des deutschsprachigen Anarchismus. Als Autor von politischen und unpolitischen Texten sowie Gedichten, als eloquenter Redner sowie als Aktivist in der bayerischen Räterepublik hat er sich einen Namen gemacht. In diesem zweiten und letzten Teil beleuchtet die DA das Leben und Werk von ihm und seiner Frau Zenzl.1

Nachdem die Räterepublik am 2. Mai 1919 mit der Einnahme Münchens zerschlagen wurde, wurde Mühsam verhaftet. Ihm wird der Prozess gemacht und er wird als„treibendes Element“ zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt. Vor Gericht verteidigt sich Mühsam wie folgt:

„Ich fühle mich nicht verantwortlich vor Ihnen, meine Herren. Verantwortlich bin ich nur dem Volk gegenüber, für das ich lebe und arbeite und das allein mich zu richten hat. Ich steh für alles ein, was ich getan habe und würde bei einer neuerlichen Ausrufung der Räterepublik genau wieder so handeln wie damals … Ich bitte nicht um mildernde Umstände. Ich habe nicht zu bitten, ich habe zu verlangen und zwar den Freispruch!“

Zenzl wird in der Gefangenenhilfe aktiv und organisiert sich in der Frauenhilfe für politische Gefangene, die später einmal in der Roten Hilfe münden wird. Erich und zahlreiche andere gefangengenommene AktivistInnen der Revolution erhalten auf diesem Weg Hilfe in Form von Essenspaketen und Geld, sowohl für die anwaltliche Unterstützung als auch für Besorgungen innerhalb der Haft um den Gefängnisalltag etwas erträglicher zu machen. Zwar war die Festungshaft als „ehrenhafte Strafe“ konzipiert, für Leute, denen eine ehrenhafte Gesinnung unterstellt wurde. Im Gegensatz zum Zuchthaus gab es keinen Arbeitszwang, und so fanden sich in der Festungshaft Menschen höherer Stände sowie wegen politischer Straftaten Verurteilte und Duellanten. Die Festungshaft für Linke unterschied sich aber grundlegend von der für rechte politische StraftäterInnen. Diese war für Linke von Terror und Schikane bestimmt, während Karikaturen und Schmähartikel Mühsam das höchste Leben im Knast und zudem Unterschlagung von Hilfsgeldern unterstellen. Ganz im Gegensatz dazu Häftlinge aus dem rechten Lager. So musste auch der Mörder Kurt Eisners, Anton Graf von Arco auf Valley, eine Festungshaft absitzen, hatte dabei aber freien Ausgang, durfte Besuche empfangen und außerhalb der Anstalt arbeiten. Auch Hitler, der 1924 zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt wurde, erlebte grundlegend mildere Haftbedingungen, sie unterschieden sich wesentlich von denen der RäterepublikanerInnen. Hitler hatte die Erlaubnis, jederzeit und solange er wollte, Besuche zu empfangen. Er nutzte die Gelegenheit und funktionierte Teile des Landsberger Gefängnisses, unter den Augen des Direktors Leybold, zu einer Schaltzentrale der braunen Bewegung um. Allein in der Zeit vom 3. April 1924 bis zum 20. Oktober 1924 empfing „der Führer“ 489 Verehrerinnen und Verehrer aus ganz Deutschland. „Stöße von Post“, Konfekt, Naschereien und „Liebespakete“ stellten die Anstaltsleitung vor eine schwierige organisatorische Aufgabe. Eilig wurden für die Hofhaltung Hitlers weitere Zellen bereitgestellt.

Im Dezember 1924 kommt Mühsam schließlich frei und reist mit Zenzl nach Berlin, wo selbige bereits seit einem Jahr wohnt. Es folgen Massenveranstaltungen der Roten Hilfe überall in Deutschland, auf denen Mühsam als Redner sich für die Befreiung der rund 7.000 politischen Gefangenen einsetzt. Die Wohnung der Mühsams ist wie in Münchner Zeiten ein lebendiger Treffpunkt für politische Diskussion, aber auch ein Unterschlupf. Buenaventura Durruti und Francisco Ascaso verweilten 1928 während ihres Exils bei den Mühsams, sowie bei Augustin Souchy und Milly und Rudolf Rocker, bis die beiden Spanier schließlich aus Deutschland ausgewiesen wurden.

Auch die Extreme, die sich um Erich aufbauen, erinnern an die Münchner Zeit. Entweder wird Mühsam bei Massenveranstaltungen zugejubelt oder er wird mit Schmähungen bedacht und angegriffen. Auch vor Gericht landet er natürlich immer wieder, unter anderem wegen seiner publizistischen Tätigkeit. So ist er beispielsweise Herausgeber des Fanal, einer anarchistischen Monatsschrift und Nachfolgeblatt des ebenfalls von Erich herausgebrachten Blattes Kain. Der Fanal wurde nahezu ausschließlich von Mühsam mit Artikeln gefüllt; Mitarbeiter war gelegentlich sein Untermieter, der junge Herbert Wehner, der – ganz davon abgesehen, dass er bald nach der Zeit in Mühsams Umfeld gegen selbigen agitiert – noch eine unrühmliche Rolle spielen wird…

Im Berlin der letzten Jahre der Weimarer Republik herrscht eine politisch angespannte Situation. Die Faschisten skandieren Parolen und Nazilieder, begleitet von antifaschistischen Pfeifkonzerten und gewaltsamen Konfrontationen, politische Versammlungen ohne bewaffneten Saalschutz waren kaum denkbar und antifaschistische Schutztruppen versuchten Arbeiterviertel vor Naziübergriffen zu verteidigen.

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Als Hitler Reichskanzler wird, fliehen viele Aktive ins Ausland, am 27. Februar 1933 brennt der Reichstag, noch in der Nacht, am 28. Februar, werden Erich und rund 20.000 weitere AntifaschistInnen verhaftet. Die Aktion konnte nur so schnell über die Bühne gehen, da in den Aktenschränken der Polizei bereits fein säuberlich aufgelistet war, wer antifaschistisch gesinnt war.Erich blieb eineinhalb Jahre in Berliner Gefängnissen und KZs, in Sonnenburg, Brandenburg und landete schließlich in Oranienburg. Hier wurde er am 10. Juli 1934 ermordet. Zenzl wird 1935 über Erichs Leidensweg eine Broschüre herausbringen. Zudem berichten zahlreiche anarchistische Zeitungen überall auf der Welt über die Folter und die Ermordung Erichs. Auch Zenzl, die öffentlich die Mörder ihres Mannes anprangert, befindet sich in Gefahr. Sie soll direkt nach der Beerdigung Erichs von der Gestapo verhaftet werden. Eine Journalistin warnt Zenzl, diese flieht nach Prag, nicht ohne vorher den Nachlass ihres Mannes heimlich auf den Weg gebracht zu haben. Der Schwager von Rudolf Rocker, Ernst Simmerling, nimmt das schriftliche Werk des Toten in Obhut. Sie bekommt mehrfach das Angebot, in die Sowjetunion einzureisen, lehnt jedoch zunächst ab. Nicht zuletzt Erich hatte sie eindringlich vor diesem Schritt gewarnt. Sie kommt also nach Moskau und hält Vorträge über die Gräueltaten der Nazis und über ihren Mann. Sie schreibt darüber in einem Brief an die befreundeten Rockers, die sich vor den Nazis nach Amerika gerettet haben:

„Die letzte Versammlung war vor ungefähr 1.500 Russen, die hier in Moskau in einer Schule sind, von ganz Russland zusammengewürfelt, von Tartaren bis Kirgisen und was man sonst in Russland an Provinzen kennt. Alles Betriebsarbeiter, die in diese Schulen geschickt werden, um sich in verschiedenen Sprachen zu bilden. Und da der Kurs jetzt gerade auf Deutsch ist, wurde diese Versammlung in deutscher Sprache veranstaltet. Dann musste ich über die Konzentrationslager in Deutschland sprechen, und ich kann Euch das eine sagen, diese Genossen waren nicht nur erschüttert, diese Menschen sind auch noch zur Empörung fähig. Alexander Granach sprach dann ein Paar revolutionäre Gedichte. Carola Neher, die Frau des Dichters Klabund, trug ein paar Soldatenlieder von Erich vor, Lyrik und Balladen. Die Russen waren am begeistertsten von Erichs Lyrik und seiner Satire. Carola hätte stundenlang weitermachen können, und sie wäre nicht müde geworden. Am Schluss sang Ernst Busch ein paar Lieder. Und da stand irgend so ein tartarischer Genosse auf, ohne irgendeine Tischrede halten zu wollen in dem Deutsch, so gut er es konnte.Er sagte zu mir: Towaritsch Mühsam, wir trauern mit Dir, aber ich sage Dir, Du musst weiterleben.Dazu brauchst Du zu essen. Und wenn es Dir fehlt, dann sage uns das. Wir sind viele, und wir geben Dir zu essen.“

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Weiterhin versucht Zenzl Erichs Werk, welches im Februar 1936 Moskau erreicht, zu veröffentlichen. Doch schon wird sie wieder Opfer von Repression. Dieses Mal wird ihr eine Bekanntschaft mit einem „Trotzkisten“ zum Verhängnis. Oft wird in dieser Zeit aus fadenscheinigen „Beweisen“ eine trotzkistische Verschwörung konstruiert, Zenzl landet für ein halbes Jahr im Gefängnis. Als sie schließlich aufgrund öffentlichen Drucks wieder auf freiem Fuß ist, verkauft sie Erichs Nachlass an das Maxim-Gorki-Institut für internationale Weltliteratur. Der sowjetische Geheimdienst bleibt Zenzl aber auf den Fersen, ein Dossier über sie stammt von einem alten Weggefährten Mühsams: Herbert Wehner. Dabei unterstellt er Zenzl weiterhin Verbindung mit Trotzkisten zu haben. Die nächste Verhaftung folgt auf dem Fuße. Im November 1938 wird sie wieder verhaftet und in ein Straflager geschafft. Acht Jahre später wird sie frei gelassen und in die Nähe von Nowosibirsk verbannt. Halb verhungert wird sie zufällig erkannt und nach Moskau geschmuggelt. Nachdem sie denunziert wird, wird ihr der Aufenthalt in Moskau verboten. Sie geht nach Iwanowo, wo sie bei der Wäscheausgabe in einem Kinderheim arbeitet. 1949 wird sie erneut verhaftet und verbringt die Jahre bei einer wolgadeutschen Familie bevor sie 1955 in die DDR geht. Hier endet zwar endlich die Zeit der ständigen Verhaftungen und Verbannungen, dennoch wird sie kontinuierlich überwacht, kennt sie doch vielerlei unrühmliche Geschichten über einige führende DDR-Politiker. Und weiterhin bemüht sie sich um die Veröffentlichung von Erichs Werk, Mühsams „Unpolitische Erinnerungen“ werden in Auftrag gegeben.

Am 8. März 1962 stirbt sie schwer krank und wird auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in ein Ehrengrab beigesetzt. 1992 wird Zenzls Urne in Erichs Grab auf dem Waldfriedhof umgebettet.

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Unrühmlich ist es, jung zu sterben.

Mein Tod wär sträflicher Verrat.
Ich bin der Freiheit ein Soldat
und muß ihr neue Kämpfer werben.

Und kann ich selbst die Schlacht nicht lenken,
seh selbst nicht mehr das bunte Jahr,
so soll doch meine Bundesscharim
Siege meines Rufs gedenken.

Drum will ich Mensch sein, um zu dichten,

will wecken, die voll Sehnsucht sind,
daß ich im Grab den Frieden find

des Schlafes nach erfüllten Pflichten.

Anmerkungen:

[1] Der erste Teil ist nachzulesen unter www.direkteaktion.org/224/201e-nicht-lang-g2018schichten-machen-schlagt-sie

Vielen Dank an das Münchner Archiv der Arbeiterbewegung für zahlreiche Quellen und Hinweise sowie für das Bildmaterial.

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