Dass basisdemokratische Elemente wie etwa Volksentscheide nicht zwangsläufig zu sozialem Fortschritt führen müssen, kann des Öfteren in der Schweiz beobachtet werden. Aber auch hierzulande zeigen AkteurInnen, die mehr solcher plebiszitären Möglichkeiten fordern, reaktionäre Tendenzen. So berufen sich vor allem rechte Parteien auf die Meinung des Volkes, wenn es um Themen wie den Euro oder Migration geht. Ebenso beliebtes Ziel von BürgerInneninitiativen sind öffentlich finanzierte Bauprojekte, wo zumindest auf kommunaler Ebene mal ein BürgerInnenentscheid angeleiert wird. Häufiges Gegenargument sind dann oft die hohen Kosten. Es würde zu Lasten der Zukunft gehen, im weiteren Verlauf könnten die Ausgaben ausufern, was dann in Zeiten von zunehmenden Haushaltslöchern unvernünftig wäre.
Ein putziges Beispiel ist in Südthüringen zu finden. Gegen ein Tourismusprojekt eines SPD-geführten Landkreises agieren empörte WutbürgerInnen aus dem grün-konservativen Spektrum. Auf einem kleinen Berg in der Rhön namens Hohe Geba soll ein schiefer Aussichtsturm mit Erlebnisbereich für geplante 14 Millionen Euro in einer vom Tourismus abhängigen Region entstehen, der es an größeren Industriebetrieben eher mang
elt. Insbesondere aus den umliegenden Dörfern haben sich die Empörten zusammengefunden und gegen den Turm einen BürgerInnenentscheid auf Kreisebene mit intensiver Unterschriftensammlung erreicht. In der Lokalpresse ist es eines der beherrschenden Themen. Aus mehren Blickwinkeln wurde das Vorhaben betrachtet. Grundsätzlich ist die Abstimmung zu begrüßen. Vordergründig stören sich die meisten GegnerInnen eher an den Kosten, die zwar nach dem bisherigen Stand nur zu geringen Teilen vom Landkreis getragen würden, aber eine außerplanmäßige Steigerung könnte auf den Kreis alleine zukommen.In Bund-der-SteuerzahlerInnen-Rhetorik wird hier gegen übertriebene Kosten schwadroniert, die nie wieder hereinkommen würden. Ebenso skandalisiert der Bund der SteuerzahlerInnen in Fernsehsendungen einzelne unsinnige wie auch mangelhafte öffentliche Projekte und versucht grundlegend öffentliche Ausgaben zu delegitimieren sowie als Steuerverschwendung zu brandmarken. Es wird sich als Interessenvertretung für die gebeutelten SteuerzahlerInnen aufgespielt – hintergründig für jene, die viel zum Steueraufkommen beitragen. Auch andere wirtschaftsliberale Denkfabriken versuchen sich in den Medien entsprechend zu positionieren, wie etwa die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Vom ArbeitgeberInnenverband Gesamtmetall ins Leben gerufen, versucht die INSM die öffentliche Debatte mit entsprechenden Inhalten aufzuladen. So kaufte die Initiative in der ehemaligen ARD-Fernsehserie Marienhof Dialoge, die die Propaganda gegen Lohnnebenkosten sowie andere soziale Errungenschaften emotional untermalten. Ebenso sitzen in den politischen Talkshows die BotschafterInnen der Denkfabrik aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Ehemaliger Stimmungsmacher war ein gewisser Uli Hoeneß. Wer nicht weiß, was hinter INSM bzw. deren AkteurInnen steht, denkt womöglich an eine politisch unabhängige Stimme. Neben den inhaltlichen Aspekten der politischen Abendsendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sollte doch mal genau geschaut werden, wer dort sitzt und welche Interessen hinter ihm / ihr stehen. Allein schon der Umstand, dass PolitikerInnen hier nur einen kleinen Teil ausmachen, zeigt, wie sich solche Debatten entwickeln sollen. Der Politik wird mehr und mehr die Fähigkeit abgesprochen, sich um gesellschaftliche Belange zu kümmern. Natürlich soll nicht anstelle des Primats der Politik ein revolutionärer Gegenentwurf gesetzt werden. Vielmehr soll das Primat der Wirtschaft und ihrer Eliten verstetigt werden. Deregulierung – eigentlich ein irreführender Begriff, denn: wenn nicht der Staat, dann bestimmen die Unternehmen unser Leben. Ein aktuelles Beispiel für die Beschneidung der Politik ist das TTIP-Abkommen. (Näheres dazu auf Seite 6)Zum Bertelsmann-Konzern gehört unter anderem die RTL Group, wo sich nicht erst ins Programm eingekauft werden muss, um sein Paradigma auszustrahlen. Die ReferentInnenagentur der Bertelsmann-Stiftung kann ebenso mit einem Pool von Sascha Lobo (Journalist bei Spiegel Online) bis Hans Olaf Henkel (AfD, ehemals BDI-Präsident) aufwarten und zu verschiedenen Themen die Debatte beeinflussen. In beratender Tätigkeit versucht die Stiftung politische Prozesse nach ihren Grundsätzen der Leistungsgesellschaft, Eigenverantwortung sowie Marktwirtschaft zu lenken. So wurde Bundeskanzler Schröder von ihr beraten. Der Einfluss war in der Agenda 2010 zu spüren.Der Kampf um die Köpfe muss für eine Gewerkschaftsbewegung wichtiger Bestandteil sein, um gesellschaftliche Entwicklungen anzustoßen und im Interesse der Beschäftigten zu beeinflussen.