Pflegenotstand ist in den Medien immer häufiger ein Thema. Wie macht sich das bei euch im Arbeitsalltag bemerkbar?
In der BRD werden von einer Pflegekraft so viele Patient*innen betreut, wie in keinem anderen Land. Studien sprechen von durchschnittlich 13 Patient*innen. In Dachau waren es vor der Übernahme durch den Helios Konzern 15-17. Jetzt ist eine Pflegekraft für über 20, manchmal bis zu 30, in der Nacht bis 40 Patient*innen zuständig. Bei uns wird der Mangel zu einem großen Teil auch mit angelernten Pflegehilfskräften, zum Teil gar mit Auszubildenden, kompensiert. Was das für die Beschäftigten und letztlich für die Patient*innen bedeutet, liegt auf der Hand.
Viele Kliniken sind kapitalistische Betriebe. Ist da die Ursache für die katastrophale Lage der Pflegekräfte zu suchen?
Eindeutig ja. Die Privatisierung von Krankenhäusern hat in den letzten 10 Jahren eine schwierige Situation in eine unhaltbare gewandelt. Klinikkonzerne verfolgen eine knallharte Gewinnerwartung. Helios ist hierbei als mittlerweile größter Klinikkonzern in Europa im wahrsten Sinne Spitze. Dem Profit wird alles untergeordnet. Personal ist reiner Kostenfaktor und so werden wir auch behandelt. Das betrifft nicht nur die Pflege, sondern sämtliche Berufsgruppen. Stellenabbau in der Pflege heißt auch, dass Tätigkeiten von Hilfskräften, die in verschiedenen konzerneigenen Lohndumpinggesellschaften beschäftigt sind, erledigt werden.
Du bist Teil einer unabhängigen Betriebsgruppe. Was bedeutet das?
Wir sehen uns als selbstorganisiertes Netzwerk von Beschäftigten, in dem wir unsere Anliegen ungeschönt ausdrücken und Forderungen unmittelbar aufstellen können. Wir müssen nicht ständig ein Organisationsinteresse berücksichtigen oder dort um Erlaubnis fragen. Das hat zu einer nicht unwesentlichen Glaubwürdigkeit verholfen. Uns als Menschen, die hier arbeiten, uns wollen wir eine Stimme geben, Selbständigkeit und Selbstbewusstsein ausbauen, zeigen, dass wir ein kollektives Interesse haben. Wir Arbeiter*innen haben jedes Recht, ernst genommen zu werden. Wir verlangen Respekt – als ersten Schritt.
Ende letzten Jahres standen die Zeichen bei euch auf Streik. Ein Entlastungstarifvertrag sollte her. Warum ist das bisher gescheitert?
Ausgehend vom Arbeitskampf an der Berliner Charité sollte 2017 in ausgewählten streikfähigen Betrieben personelle Besetzung in Tarifverträgen festgelegt werden. Wir waren einer dieser Streikbetriebe. Helios weigerte sich, überhaupt darüber in den Verhandlungen zu reden. Zwei durchaus kämpferische Warnstreiks im Herbst änderten dies nicht. In einer Urabstimmung stimmten im Dezember 97,6% für einen unbefristeten Durchsetzungsstreik. Helios schaffte es in letzter Sekunden, den Streik per einstweiliger Verfügung verbieten zu lassen. Statt aber erneut zum Streik aufzurufen, setzte sich die Tarifkommission zwei Tage später wieder an den Verhandlungstisch. Helios bot an, in den Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) und somit zum TVöD zu wechseln. Nur, im TVöD gibt es weder Reglungen zur Entlastung, noch ist der KAV bereit, diese darin aufzunehmen. Verdi hat dann den Arbeitskampf gegen den Willen der Beschäftigten abgewürgt und schreckt dabei auch vor Falschinformationen nicht zurück. Geändert hat sich in puncto Arbeitsbedingungen gar nichts, wie denn auch? Helios geht nicht als Verlierer vom Feld. Sie haben Entlastung und einen Streik verhindert. Verdi deutet ihr Vorgehen als politischen Sieg. Wir haben nichts. Das ist Sozialpartnerschaft.
Keine Arbeit ohne Lohn!