Die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren v.a. in gefragten Innenstadtbereichen gewandelt – aus Mietersicht zum Schlechteren. Dies schlägt sich insbesondere in höheren Mieten nieder, aufgrund derer die ärmere Bevölkerung aus attraktiven Vierteln zunehmend verdrängt wird. So wurde etwa in Berlin laut einer aktuellen Forsa-Umfrage in den vergangenen drei Jahren für jeden dritten Haushalt die Miete erhöht. 23% der Betroffenen sehen sich in Folge dessen zu einem Umzug gezwungen.
Angriff auf die mietende Klasse
Diese Tatsache ist ein Ergebnis der Wohnungspolitik der letzten zwei Jahrzehnte. Die Privatisierung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften hat zu teils drastischen Mietsteigerungen oder zu zahlreichen Entmietungsversuchen geführt, bei denen Luxussanierungen durchgeführt oder die Wohnungen in Eigentum umgewandelt werden. Andererseits sägen Gesetzesinitiativen an den Mieterrechten. Auch der laufende Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung sieht zahlreiche Verschlechterungen vor: Eine Mietminderung soll bei energetischer Sanierung der Wohnungen nicht mehr zulässig sein, Kündigungsfristen für MieterInnen und VermieterInnen sollen angeglichen werden. Auch den Kampf gegen sog. „Mietnomaden“ hat sich die Koalition auf die Fahnen geschrieben. Laut der Regierung verursacht das Mietnomadentum Millionenschäden. Allerdings zeichnet eine Studie im Auftrag derselben Bundesregierung ein weniger dramatisches Bild: Im Gegensatz zur Regierung, die eine Zahl von mehreren zehntausend Fällen von Mietnomandentum angibt, beziffert die Studie die Fälle auf lediglich 200.
Unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen sind zuletzt vonseiten der Vermieter zusätzliche Disziplinierungsinstrumente eingeführt bzw. standardisiert worden, wie etwa die berüchtigte Mietschuldenfreiheitsbescheinigung oder Datenbanken im Internet, in denen „schwarze Schafe“ erfasst werden. Derartige Dateien dienen offiziell als Abwehrmaßnahme gegen Mietnomaden, doch typologisch stehen sie in der Tradition des Blacklisting von „Störenfrieden“ oder GewerkschafterInnen. Zwar bewegen sich die Vermieter damit in einer rechtlichen Grauzone, doch allein die Furcht vor negativen Einträgen führt oftmals dazu, dass MieterInnen gesetzliche Rechte wie das zur Mietminderung nicht mehr wahrnehmen.
Auch von anderer Seite droht Gefahr für die MieterInnen in Deutschland. Während die Politik sehr engagiert wirkt, die Recht der VermieterInnen zu stärken, zeichnet sie sich im Bereich des Wohnungsbaus – ebenso wie linke und sozialdemokratische PolitikerInnen – durch Untätigkeit aus. Laut Deutschem Mieterbund müssen bis 2015 bis zu 1,2 Mio. Wohnungen neu gebaut werden, tatsächlich aber werden zur Zeit nur 175.000 fertiggestellt. Das dürfte den in vielen Großstädten bereits jetzt offensichtlichen Wohnungsmangel noch weiter verschärfen und die Verhandlungsposition der VermieterInnen weiter stärken.
Gegenwehr mangelhaft
In Anbetracht des Ausmaßes dieses Angriffs auf erkämpfte soziale Standards fällt die Gegenwehr gering aus. Zwar leisten Mietervereine eine wichtige und notwendige Arbeit, im Wesentlichen aber beraten dort v.a. ExpertInnen einzelne zahlende Mitglieder in rechtlichen Fragen. Die überwältigende Mehrheit der Mitglieder wird dabei nur in ihrem eigenen Fall und auf juristischer Ebene aktiv. Neben der Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit für die Interessen von MieterInnen bieten Mietervereine so primär Unterstützung bei Rechtsbrüchen von VermieterInnen, wird also nur auf formelle Entgleisungen reagiert.
Doch nicht alle Widrigkeiten, mit denen sich MieterInnen konfrontiert sehen, sind auf Gesetzesverstöße zurückzuführen. Wenn bspw. in der Fanny-Hensel-Siedlung in Berlin-Schöneberg, aufgrund der früheren Förderung der ehem. Sozialwohnungen, völlig legal Mieten oberhalb von 12EUR/m2 netto kalt verlangt werden, ist dagegen juristisch nicht vorzugehen: der Vermieter ist im Recht, auch wenn es nicht so scheinen mag. Auch ist es nicht immer möglich, das Recht einzufordern. Wenn ein Vermieter – wie es in vielen Szenevierteln Praxis ist – Mieten weit über der ortsüblichen Vergleichsmiete fordert, dürfte eine Klage wegen Mietwucher zwar prinzipiell möglich sein, die Wohnung bekommt man aber natürlich nicht. Zudem müsste in diesem Fall eine Notlage auf dem Wohnungsmarkt gerichtlich festgestellt werden. Dem steht aber die gebetsmühlenartig wiederholte Mär eines entspannten Wohnungsmarktes entgegen.
Neben den Mietervereinen sind in manchen Städten, wie Berlin, Hamburg oder Freiburg, linke Kampagnen gegen Stadtumstrukturierung entstanden. Im Zuge der fortschreitenden Kommerzialisierung von Wohnraum sind auch immer mehr linke Hausprojekte Opfer der Verdrängung geworden, ebenso können sich viele AktivistInnen die Mieten in den beliebten Szenevierteln nicht mehr leisten. Diese Kampagnen versuchen zwar häufig, inhaltlich den Bogen zu „normalen“ MieterInnen zu schlagen, allerdings haben sie an konkreten Strukturen wenig anzubieten. Hinter den losen Bündnissen linker Gruppen steht kein organisatorisches Konzept, das echte Verbesserungen erkämpfen und den offensichtlich vorhandenen Unmut wirksam organisieren könnte. Stattdessen wird sich meist verbal an Yuppies, Luxuslofts und Townhouses abgearbeitet und auf Demonstrationen mit Parolen wie „Miete verweigern, Kündigung ins Klo“ zum Widerstand aufgefordert. Wie diejenigen, die dem Aufruf Folge leisten möchten, unterstützt und auch geschützt werden sollen, bleibt offen.
Wem gehört das Haus?
Offensichtlich ist im Mietbereich eine nachhaltige Organisierung notwendig, die sich an den grundlegenden Umständen orientiert und in der die MieterInnen selbst ihre Ziele einbringen. Dabei sind auch die Besitzverhältnisse relevant, auf denen sich die Abhängigkeit der MieterInnen gegenüber dem Vermieter gründet. Weil die meisten Menschen finanziell nicht in der Lage zum Erwerb von Immobilien sind, könnte diesbezüglich ein solidarischer Zusammenschluss selbstverwalteter Projekte in Betracht gezogen werden. Einen solchen Ansatz verfolgt das Anfang der 1990er in Freiburg gegründete Mietshäusersyndikat, das den Kauf von Wohnraum durch dessen BewohnerInnen organisiert. Inzwischen umfasst die Organisation rund 60 Projekte, in denen jeweils zwischen einem Dutzend und über hundert Menschen leben.
Ein solches Projekt erfordert allerdings einen hohen Aufwand und viel Ressourcen, auch weil private Investoren wesentlich schneller an Kapital kommen und so auf dem Immobilienmarkt Vorteile gegenüber Basisinitiativen haben. Wegen der schlechteren Kreditkonditionen sind die Mieten in selbstverwalteten Projekten teilweise sogar höher als auf dem freien Markt. Das Mietshäusersyndikat dürfte in den nächsten Jahren zwar weiter wachsen, aber dennoch marginal bleiben. Aufgrund der Verhältnisse auf dem Immobilienmarkt und der Schwierigkeit, Häuser zu erwerben, ist nicht davon auszugehen, dass es sich zu mehr als einem etwas größeren Nischenprojekt entwickelt. In gewisser Weise steht das Mietshäusersyndikat vor einem ähnlichen Problem wie die selbstverwalteten Betriebe: die unmittelbar Beteiligten haben zwar einen höheren Grad an Selbstbestimmung und dienen als illustrative Beispiele von Alternativen, aber eine ernsthafte „Konkurrenz“ zum kapitalistischen Markt ist geradezu utopisch.
Kollektive Organisierung
Neben der grundsätzlichen Frage der Besitzverhältnisse sind viele MieterInnen von konkreten Problemen betroffen, die nicht immer gemeinsam mit einem Mieterverein vor Gericht zu lösen sind. Zudem finden viele der Angriffe auf MieterInnen mit System statt und sollten entsprechend auch kollektiv beantwortet werden, anstatt sich in individuellen Rechtsstreiten zu verlieren. Sowohl die Geschichte der Arbeiterbewegung als auch jüngere Erfahrungen zeigen, dass in Mieterkämpfen die in der Gewerkschaftsbewegung erprobten Kampfformen wie z.B. Kundgebungen, Kampagnen, Blockaden, Verhandlungen oder auch Streiks zu kollektiven Erfolgen führen können.
Der letzte großflächige Mietstreik in Deutschland fand 1932/1933 in Berlin statt, getragen wurde er v.a. von Kommunisten und Sozialdemokraten. Aufgrund der Wirtschaftskrise hatte sich die soziale Lage drastisch verschlechtert, viele ArbeiterInnen hatten ihre Anstellung verloren und konnten somit Mietzahlungen nicht nachkommen. Gleichzeitig nutzten Vermieter die Not der Menschen aus und vermieteten schimmelige, feuchte oder von Brand und Einsturz gefährdete Räumlichkeiten. Gegen diese Zustände und die überzogenen Mieten traten im Herbst 1932 die BewohnerInnen Hunderter Mietshäuser, bis hin zu ganzen Straßenzügen, in den Mietstreik. Vorausgegangen war dem eine Aufforderung zur Behebung von Mängeln, die jedoch nicht beachtet wurde. Obwohl die Streikenden staatlicher Repression wie der kollektiven Verhaftung von Versammlungen ausgesetzt waren, erreichten einige MieterInnen beträchtliche Mietsenkungen. Bevor er sich weiter ausbreiten konnte, endete der Mietstreik mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten.
Ein aktuelles Beispiel ist der von der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft ZSP in Warschau organisierte Mietstreik, dem sich inzwischen Hunderte Mieter angeschlossen haben (siehe DA Nr. 203). In Polen hat sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Lage der MieterInnen drastisch verschlechtert, Privatisierungen und der Abbau von Mieterrechten wurden noch rücksichtsloser als in Westeuropa betrieben und illegale Räumungen und Schikanen durch die Hausbesitzer nicht juristisch verfolgt. Neben dem Mietstreik der ZSP hat sich in Polen eine breite und heterogene Mieterbewegung herausgebildet, die Piotr Ikonowicz vom Gesamtpolnischen Mieterbund gegenüber dem Berliner Mieter-Echo als „die einzige aufstrebende soziale Bewegung von unten in Polen“ bezeichnet. In den Warschauer Mieterkämpfen finden gewerkschaftliche Aktionsformen Anwendung: Vor zu privatisierenden Häusern werden Kundgebungen veranstaltet, Räumungen werden durch Blockaden verhindert und Hausverwaltungen direkt unter Druck gesetzt, indem ihre Büros besetzt werden. Außerdem werden MieterInnen rechtlich beraten und mit PolitikerInnen, HausbesitzerInnen oder BeamtInnen verhandelt – all das wird von den MieterInnen selbst organisiert. Neben der konkreten Arbeit zeigen die Treffen des Warschauer Mieterkomitees, dass sie nicht alleine einem übermächtigen Hausbesitzer gegenüberstehen, sondern dass eine Struktur hinter den vermeintlich individuellen Problemen steht und man diesen gemeinsam entgegentreten sollte. So vielfältig die Aktionsformen der Warschauer AktivistInnen sind, so vielfältig sind auch ihre Erfolge, die von der Verhinderung einer Privatisierung bis zur Zuweisung besserer Sozialwohnungen reichen.
Konkrete Erfolge in der Auseinandersetzung um die Interessen von MieterInnen können v.a. erreicht werden, wenn diese nicht nur als KundInnen beraten werden, sondern sie sich selbst einbringen können und über die eigene Hausgemeinschaft hinaus zusammengebracht werden. Die Anwendung gewerkschaftlicher Organisationsformen und Strategien in Mieterkämpfen kann zu konkreten Erfolgen führen, zunächst durch direkte Aktionen und die Leistung gegenseitiger Solidarität, und im weiteren durch die Auswirkungen solcher Kämpfe auf die politische Situation im Allgemeinen.