Großes Kino – kleine Löhne

Der rote Teppich ist ausgerollt. MedienvertreterInnen aus aller Welt warten auf den Auftritt der Filmstars. Doch plötzlich beginnt ein Darsteller im Bärenkostüm den roten Teppich zu reinigen. Dann kommen Menschen mit Megaphon und Transparenten ins Bild und protestieren gegen die Arbeitsbedingungen in den Berliner Kinos. Solche Szenen könnten bei der Berlinale 2008 im kommenden Februar Realität werden, wenn es nach dem Bündnis „Mir reicht ‘s nicht“ geht. Seit Wochen bereiten sich die AktivistInnen auf eine soziale Intervention während der Berlinale vor.

Am 19. Dezember wurde am Potsdamer Platz schon mal für die Berlinale-Intervention geübt. Ein „prekäres Glücksrad“ wurde vor dem Berlinale-Büro aufgebaut. Dort liefen gerade die Bewerbungen für die nächste Berlinale. Viele sind schon seit Jahren dabei und auf die Einkünfte angewiesen. Die Arbeiten umfassen von Aufbauarbeiten über das Catering bis zum Reinigen der Kinos all das, was die „Traumfabrik Berlinale“ am Laufen hält. Sie wurden animiert ihre Arbeitsbedingungen mittels einer Filmszene zu beschreiben. Für ihre Reaktionen auf den täglichen Arbeitsstress standen Titel wie „Der unsichtbare Aufstand“ oder „Falling Down“ zur Auswahl. Für die Beschreibung eines typischen Arbeitstages in der Filmbranche konnten Filmtitel wie „Täglich grüßt das Murmeltier“ oder „Stirb an einem anderen Tag“ ausgewählt werden.

Die Angesprochenen reagierten überwiegend freundlich und waren auch schnell zum Mitspielen bereit. Vielen ist das Dilemma, in dem sie stecken, durchaus bewusst. So wird schon mal 16 Stunden am Tag gearbeitet, wenn die Berlinale kurz bevorsteht. Andere hoffen, dass dieser Job ja nur eine vorrübergehende Notlösung sei. Doch viele müssen sich eingestehen, dass sie jetzt schon mehrere Jahre im Geschäft sind. So wurde in den kurzen Gesprächen die Konfliktlinie vieler prekär Beschäftigter deutlich, denen die Ausbeutung, der sie ausgesetzt sind, durchaus bewusst ist. Doch viele sehen noch wenig Möglichkeiten zur Gegenwehr.

Mit Sprechblasen gegen Hungerlöhne

Dabei gibt es diese längst. Unter den ca. 120 Beschäftigten des CinemaxX-Kinocenters am Potsdamer Platz, nur wenige Schritte vom Berlinale-Büro entfernt, ist der Ärger über niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen groß. Seit im Februar 2004 ihr Tarifvertrag ausgelaufen ist, trat der CinemaxX- Konzern aus dem Arbeitgeberverband aus und senkte die Einstiegslöhne. Seitdem gab es in verschiedenen Städten immer wieder kurze Streiks und Proteste der Beschäftigten. Als sich der Filmemacher Hans Weingärtner, der gerade mit dem medienkritischen Streifen „Free Rainer“ bekannt wurde, in Göttingen mit den Beschäftigten solidarisierte, wurden die Aktionen bundesweit bekannt.

Doch auch in Berlin gab es Unterstützung für die CinemaxX-Beschäftigten. So machten am 8. Dezember AktivistInnen des Bündnisses „Mir reicht ‘s nicht“ vor dem Kinohaus am Potsdamer Platz auf ungewöhnliche Weise Werbung für ihre Forderungen: Die KinobesucherInnen wurden gefragt, ob sie bereit wären, auf Sprechblasen aus Pappe ihre individuelle Meinung zu den Löhnen der CinemaxX-Beschäftigten aufzuschreiben und sich damit fotografieren zu lassen. Die Fotos mit den Statements wurden dann der Kinoleitung übergeben.

Das Engagement auf diesem Gebiet ist kein Zufall. Die Berliner Gruppe „Für eine linke Strömung“ (FelS) hatte sich im Rahmen des Euro-Mayday-Bündnisses mit prekären Arbeitsbedingungen auch in der Filmund Kulturbranche befasst. Das Bündnis organisiert seit 2006 in Berlin am 1. Mai eine Parade der Prekarisierten durch Kreuzberg und Neukölln. In diesem Jahr gibt es vom Mayday-Bündnis erstmals den Versuch, mit der Veranstaltungsreihe „Prekarität – Solidarität – Widerstand“ eine Diskussion über die Organisierung von Prekären in einer breiteren Öffentlichkeit anzustoßen.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat mittlerweile für die CinemaX-Beschäftigten einen neuen Tarifvertrag ausgehandelt. Dieser sieht vor, die Stundenlöhne in mehreren Stufen von 6,50 Euro auf acht Euro anzuheben. Das ist auch die Folge eines zweistündigen Arbeitskampfes der CinemaxX-Beschäftigten am 18. Dezember. Dass dieser ausreichte, um nach fast vier Jahren die Forderung nach einem Tarifvertrag erfüllt zu bekommen, zeigt die Wirkung des Streiks. Doch was hätten die Beschäftigen erst erreichen können, wenn es nicht nur bei einem ausgefallenen Film geblieben wäre?

Mehr Infos demnächst unter: maydayberlin.blogsport.de

Im Rahmen der erwähnten Veranstaltungsreihe „Prekarität – Solidarität – Widerstand“ findet am Samstag, den 9. Februar 2008, von 14.30–19 Uhr im Berliner Haus der Demokratie in der Greifswalder Str. 3 ein Workshop zur Diskussion und Vernetzung unter dem Arbeitstitel: „Neue Klassenkämpfe? Betriebliche Bewegungen und Perspektiven antikapitalistischer Intervention“ statt. Dort werden u.a. Mag Wompel von Labournet, der Sozialwissenschaftler Bernd Röttger, der Historiker Peter Birke, der IG Metall-Betriebsrat Hans Köbrich, sowie VertreterInnen von verschiedenen betrieblichen Initiativen sprechen.

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