Was bleibt, was kommt?

Nach über 20 Jahren Produktion ist Ruhe eingekehrt in die Hallen der ehemaligen Fahrradfabrik in Nordhausen. Auch die monatelange Besetzung der Fabrik der Bike Systems und die einwöchige Produktion in Eigenregie konnten daran nichts ändern. Am ersten November wurden die Schlüssel fristgerecht übergeben, denn der Mietvertrag mit dem alten Eigentümer war zu diesem Termin ausgelaufen. Die Gesetzeslücke, welche die Besetzung juristisch als Betriebsversammlung etikettierte und somit legal machte, griff nicht mehr. Es wäre wohl auch nur ein kleiner Teil der Belegschaft bereit gewesen, den legalen Rahmen dauerhaft zu verlassen. Ebenfalls Anfang November begann eine Qualifizierungsmaßnahme, die den FahrradwerkerInnen weitere acht Monate ein Einkommen sichert. Danach werden wohl viele Arbeitslosengeld beantragen müssen. Die Arbeitslosenquote im Landkreis Nordhausen beträgt 15,3%. Nun könnte man sich fragen, was der ganze Aufstand den eigentlich gebracht hat. Das Werk ist geschlossen und die Arbeiterinnen und Arbeiter sehen größtenteils einer ungewissen Zukunft entgegen.

Blick zurück

Als die Geschäftsleitung im Juni die Abwicklung des Werkes verkündete, war nicht einmal eine Abfindung für die ArbeiterInnen vorgesehen. Sie würden, so spekulierten die Verantwortlichen, einfach das Werk nach dem letzten Produktionstag verlassen und zukünftig, im Konkurrenzkampf auf dem Fahrradmarkt, keine Rolle mehr spielen. Dies war der Punkt, an dem der Bogen, nach jahrelangen Zugeständnissen seitens der Belegschaft, überspannt war: Sie eignete sich spontan die Fabrik an und machte öffentlich auf ihre Lage aufmerksam. Das erste, was sich die KollegInnen schon im Zuge der Besetzung zurükkholten, war ihre Würde. Sie nahmen der Geschäftsleitung die Initiative, indem sie ihre Geschicke ein Stück weit in die eigenen Hände nahmen.

Sicherlich, es gab keine Vollversammlungen, auf denen die Belegschaft diskutierte und gemeinsam Entscheidungen fällte, wie es dem anarchosyndikalistischem Ideal entspräche. Die Entscheidungsstruktur innerhalb der Belegschaft blieb zunächst die gleiche wie zuvor, der Betriebsrat der Wortführer. Zeitgleich aber war ein Freiraum entstanden, in dem die ArbeiterInnen die Möglichkeit hatten, sich ihrer Lage bewusst zu werden und Eigeninitiative zu ergreifen. So wurde zum Beispiel die mit Unterstützung der FAU aufgezogene Produktion des Strike-Bike unabhängig vom Betriebsrat realisiert. Wie oft in solchen Situationen wuchsen Menschen über sich hinaus und vollbrachten Leistungen, die sie sich zuvor vermutlich selber am wenigsten zugetraut hätten. Diese Erkenntnis um die eigenen Fähigkeiten kann ihnen niemand mehr nehmen.

Bundesweit wurde mit der Besetzung der Fabrik und vor allem der Produktion des Strike- Bike ein einmaliges Beispiel gesetzt, auf das sich Menschen in folgenden Kämpfen beziehen können, um dann vielleicht noch einige Schritte weiter zu gehen. Nicht vergessen werden darf außerdem, dass das gesamte Budget für die Qualifizierungsmaßnahme, ein sichereres Einkommen für acht Monate, damit durch die Belegschaft erkämpft wurde.

Blick nach vorn

Einige der ehemaligen Beschäftigten der Bike Systems möchten weiterhin Fahrräder in Eigenregie produzieren. In diesem Zusammenhang wird momentan auch die Produktion weiterer Strike-Bikes, vielleicht einer „Black Edition“, diskutiert. Im Verlauf der Strike- Bike-Kampagne wurden viele Kontakte geknüpft und es gibt Angebote von potenziellen AbnehmerInnen. Momentan verhandeln z.B. einige der WerksbesetzerInnen mit dem Verbund selbstverwalteter Fahrradbetriebe (VSF). Dieser hat sich „eine solidarische, ökologische Ökonomie und eine kundenorientierte Grundhaltung“ auf die Fahnen geschrieben. Im Gespräch sind mehrere zehntausend Fahrräder jährlich, die einer kollektiv geführten Fahrradmanufakur in Nordhausen abgenommen werden könnten.

Auf dem Weg hin zu einem selbstverwalteten Betrieb ist allerdings noch die eine oder andere Hürde zu nehmen. Ein solcher Betrieb müsste sich natürlich auch auf dem kapitalistischen Markt behaupten können, damit die Beschäftigten von ihrer Lohnarbeit leben können, denn die soziale Revolution ist momentan leider noch nicht in Sicht. Das Know-How, welches nötig ist, um einen solchen Betrieb auf die Beine zu stellen, fehlt den KollegInnen in Nordhausen allerdings. Sie haben gelernt, Fahrräder zu bauen, nicht Unternehmen zu leiten, wofür sie bisher auch gar nicht die Möglichkeit hatten. Aber auch in dieser Frage könnten Kontakte, die während der letzten Monate geknüpft wurden, hilfreich sein: Eine fachübergreifende Arbeitsgruppe an der Universität Kassel, die sich mit solidarischer Ökonomie beschäftigt, hat ihre Hilfe angeboten.

Die nächsten Monate werden zeigen, ob es den entschlossenen FahrradwerkerInnen aus Nordhausen gelingen wird, einen selbstverwalteten Betrieb auf die Beine zu stellen. Dabei müssen sie allerdings auch weiterhin auf die Hilfe solidarischer Menschen zählen können.

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