Editorial

Neuwerk ist eine Insel vor der norddeutschen Küste, die zu Hamburg gehört – quasi eine Kolonie der Hansestadt. Diese Woche weckte sie, durch den Hinweis eines Freundes, meine Aufmerksamkeit. Sage und schreibe null Prozent Wahlbeteiligung gab es dort bei den Hamburg-Wahlen! Nun gut, es gibt dort auch nur 23 Wahlberechtigte. Aber dennoch: was steckt dahinter, vielleicht eine anarchosyndikalistische Kommune à la Monty Python? Ein Blick in die DA-Abo-Listen verrät: die Neuwerker interessieren sich wohl nicht im Geringsten für Anarchosyndikalismus. Diese Erklärung scheidet damit aus. Aber ich werde dran bleiben und den Gründen dieses Boykotts auf die Schliche kommen.

Der Boykott von Nokia-Handys hat dagegen ganz andere Wellen der Aufmerksamkeit erzeugt. Als Syndikalist bin ich sicherlich kein Gegner von Boykotts, im Gegenteil, organisiert und flankiert von anderen Formen der direkten Aktion können sie eine mächtige Waffe der Arbeiterklasse darstellen. Hier erleben wir aber, wie aus der Keule ein Schaumstoffknüppel wird. Der Boykott wird politisch instrumentalisiert und letztlich parodiert. Man fragt sich auch, welches Handy soll man dann eigentlich noch benutzen? Alle anderen Hersteller haben sich ja auch disqualifiziert: BenQ und Siemens (allseits bekannt), Motorola (Abbau von 7.000 Stellen), Samsung (Schmiergeldaffäre) usw. Fast schon putzig naiv ist auch die Kampagne „Sag Nokia deine Meinung“. 50.000 Nokia-Handys sollen dabei eingesammelt und „medienwirksam“ verschrottet werden. Dabei kann es doch Nokia ziemlich egal sein, wer sein schon bezahltes Handy in den Müll wirft.

Andererseits, wer braucht schon ein Handy in Rumänien, wo man 70 Stunden die Woche arbeitet und eh keine Kohle, keine Zeit für private Bedürfnisse hat? So soll es nämlich zugehen im neuen Etappenlager von Nokia. Und wer weiß, vielleicht nehmen ja doch einige Bochumer das Angebot der Firma an, in Zukunft dort zu arbeiten.

Ob Siebenbürgen oder Berlin, Hungerlöhne zu bekämpfen, bleibt die erste Pflicht einer revolutionären Gewerkschaft. Umso mehr gilt dies für gänzlich unbezahlte Arbeit. Die FAU Berlin bleibt mit ihrer Kampagne „Keine Arbeit ohne Lohn!“ weiter am Ball und sammelt derzeit Erfahrungsberichte, um das Problem kollektiv zu thematisieren. Und wie Erfahrungen mit unbezahlter Maloche aussehen können, das zeigt euch in dieser Ausgabe ein Interview mit einer Praktikantin.

Zu guter Letzt noch etwas im Hinblick auf den anstehenden 1. Mai: Mal ehrlich, die Sache ist doch ganz schön auf den Hund gekommen!? Früher war der 1. Mai allein schon deswegen ein Akt der Emanzipation, weil er faktisch einen Generalstreik darstellte, war dieser doch kein Feiertag. (Nun ja, außer in Deutschland. Da sorgte die Sozialdemokratie dafür, dass man erst am folgenden Sonntag seine Aufmärsche veranstaltete.) Ich frage mich also, ob wir uns in absehbarer Zeit einen Arbeiterkampftag zurückholen können? Doch welcher Tag kommt dafür in Frage? Das muss wohl überlegt sein. Da geht es ja um Nachhaltigkeit. Eine Anregung dafür findet ihr womöglich in unserem Hintergrund-Artikel.

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