In der letzten DA (Nr. 193) wurde durch den Artikel “Kaputte Körper der Kunst” der “anti-art-action-group” ein guter Auftakt für die angekündigte, kulturkritische Serie des Kulturteils veröffentlicht. Der Artikel befasste sich u.a. mit der Frage, was Kunst in der Postmoderne genau ist, bzw. was Kritische Kunst sein könnte. Anhand des Beispiels des Künstlerlebens im absolutistischen System Ludwigs XIV. wurde hier auf die politische Inbesitznahme der “europäischen Kultur” eingegangen. Später gelangt der Artikel zum eigentlichen Thema: den Künstlern der Postmoderne.
Postmoderne Künstler, die sich durch Leistung und Erfolg aus der Masse der Menschen hervorheben und sich exzentrischen Individualismus leisten können, werden hier auf eine Stufe mit dem Sonnenkönig gestellt. Doch worauf nicht weiter eingegangen wird ist, dass es sich damals wie heute um die Vereinnahmung von Kultur handelt, wie sie bisher in fast jeder geschichtlichen Epoche auch lange vor der Ludwig des XIV. geschehen ist.
Kultur und Herrschaft
Kultur diente von Anfang an als Medium politischer Inhalte, als Symbole der Klassenzugehörigkeit. Der Kulturbegriff wurde immer von den hegemonialen Strömungen definiert und wechselte im Laufe der Jahrtausende stetig. Schon Platon erkannte in seiner “res publica” den politischen Charakter von Kultur (siehe DA 191). Um eine adäquate Kritik an “Kunst” und “Kultur” zu erheben, müssen diese Begriffe erst einmal in diesem Kontext definiert werden.
Im Prinzip ist Kultur doch alles, was im Gegensatz zur Natur vom Menschen selbstgestaltet hervorgebracht wird. Ein lebendiger Prozess des kreativen Schaffens und Wirkens. Ich bin mir sicher, dass fast jeder bedingt durch die soziale oder kulturelle Herkunft eigene Vorstellungen vom Kulturbegriff hat.
Der Artikel endet mit der Aussage, dass die Frage nach dem, was kritische Kunst ist und darstellen könnte, bisher unzureichend beantwortet ist.
Kunst kann auch gegen den Avantgardismus und Standortfetischismus geschehen
Hier ein Versuch, diese Frage zu beantworten: Kritische Kunst ist das, was die vorherrschende Definition von Kunst (besonders die der bürgerlichen Konvention) negiert, so beispielsweise die unkommerzielle Straßenmusik, die sich fernab vom Mainstream und kulturellem Individualitätsanspruch in den öffentlichen Räumen, auf den Straßen und in den Parks tummelt. Es gibt keine Bühne und keine Abgrenzung vom und innerhalb des Publikums. Denn an öffentlichen Orten erreicht die Kultur alle Teile der Bevölkerung. Eine Kultur, die dadurch entsteht, dass einfach gemacht wird und dort passiert, wo das Leben tobt. Neben der Schaffensart stehen meistens auch die Inhalte im scharfen Kontrast zur etablierten Kultur. Mit sozialkritischen bis hin zu sozialrevolutionären Texten kann Straßenmusik dort als Medium für politische Inhalte dienen, wo Flugblätter schon längst wieder ungelesen und zerknüllt im Mülleimer gelandet sind. Einige bekannte Vertreter dieser Art von kritischer Kultur sind zum Beispiel das linksradikale Theaterkollektiv “Revolte Springen” aus Berlin oder Interpreten wie “Geigerzähler”, “Klaus der Geiger”.
Auch die musikalischen Agitatoren der 70er wie “Ton, Steine ,Scherben ”,”Cochise”, “Floh de Cologne” oder “Die drei Tornados” dienen als Paradebeispiele für kritische Kultur. Eine Kultur, die sich sozialrevolutionäre Veränderungen statt den eigenen Individualitätsanspruch zum Ziel gesetzt hat.
Leider bewegt sich der Artikel der aaag nur im Schatten des Mannes, der sich schon zu Lebzeiten in den Mittelpunkt zu setzten wusste und es nun post mortem erneut geschafft hat – L’État c’est Moi.
Lukas Johannsen