Eine der Krautrock-Bands der allerersten Stunde ist aktiv wie selten zuvor. Faust und die vielfältigen Projekte der einzelnen Bandmitglieder sind nur schwer zu stoppen.
Jean Hervé Peron, einer der Bandgründer, ist gleichzeitig Mitorganisator des in Schiphorst zwischen Hamburg und Lübeck stattfindenden Avantgarde-Festivals, welches in diesem Jahr Anfang Juli stattfand. Dort trafen wir das Urgestein einer musikalischen Bewegung, die zurzeit lebendiger ist als je zuvor. Vielleicht liegt das am avantgardistischen Anspruch, der sich nur in steter Erneuerung realisieren kann? Für Peron ist der Begriff der Avantgarde zweideutig, stammt dieser doch aus dem Militärischen, wo er eine Vorhut-Formation bezeichnet: „In der Kunst bezieht er sich auf die russische Bewegung des Konstruktivismus, der unter anderem auch Dada und später den Surrealismus mit verursacht hat. Avantgarde behält auch heute seine allgemeine Bedeutung im Voraussein.“
Für Fluxus ist alles Kunst
Die Idee der Avantgarde, Kunst und Alltagspraxis zu vereinen, das Leben als Kunstwerk und das Kunstwerk als Leben zu sehen, begeistert Peron noch immer. „Das ist die Essenz beim Fluxus. Für mich ist das dermaßen wahr und naheliegend. Alles was ist, ist gut, und ist Kunst. Ich sehe da keine Grenzen. Daher bin ich ein Fluxus-Mann. Mit der Art von Kunst, die sich von und aus der Realität abhebt und die Abstand von den Menschen nimmt, kann ich nichts anfangen. Ich bin sehr nah an der Praxis, an der Realität und gleichzeitig auch ganz fern. Kunst ist Realität und alltägliches Leben. Das Löffelgeräusch, welches entsteht, wenn man den Tee umrührt, ist Kunst und die Arbeiter, die mit einer Flex arbeiten, machen auch Kunst….“
Wie alles begann
„Ende 1968, es könnte auch im Frühjahr 1969 gewesen sein, haben wir in einer Wohnung in Hamburg angefangen zu experimentieren. Gunther Wüsthoff, Rudolf Sosna und ich haben dauernd abstrakte Texte gemacht, unsere Gitarren an Radiogeräte angeschlossen, Verzerrer selbst gebaut und Loopgeräte gebastelt, natürlich nicht so perfekt wie die von heute. Wir bekamen sehr schnell Kontakt zu anderen Künstlern, Jungfilmern, Literaten und dann stießen wir auf Uwe Nettelbeck“, erzählt Peron. Der im Januar 2007 verstorbene Uwe Nettelbeck war ein journalistisch-essayistischer „Geisterreiter“ (u.a. schrieb er für Die Zeit und konkret), wie es der Tagesspiegel in seinem Nachruf formulierte. Nettelbeck nahm von 1970 bis 1975 als Produzent die Band unter seine Fittiche. Von ihm kam auch der Anstoß, dass sich die Drei einen Schlagzeuger suchen sollten. „Wir stießen dann auf Werner ‚Zappi‘ Diermaier, der in einer anderen Band spielte und nur zu uns kommen wollte, wenn er seinen Orgelspieler Hans Joachim Irmler und noch einen anderen Schlagzeuger, Arnulf Meifert, mitbringen durfte. Das war 1970, da wurde dann Faust gegründet.“ Der Band und Uwe Nettelbeck mangelte es nicht an Selbstvertrauen. „Wir wollten ein Studio und einen Tontechniker. Wir haben unsere Seele an die Plattenindustrie verkauft, aber unter bestimmten Bedingungen. Den Deal hat Uwe bei der Polydor hinbekommen, so dass wir ein Jahr lang ein sehr privilegiertes Leben führen konnten. Wir haben uns nur um unsere Kunst gekümmert. Später kam der Druck, denn die Plattenfirma wollte ein fertiges Produkt sehen.“
Faust wurde hierzulande ignoriert
In der Szene wurde Faust für diesen Deal heftig kritisiert. „Man warf uns vor, eine Boygroup zu sein, was Schwachsinn war. Natürlich hat die Gruppe Faust sehr viel Geld gekostet. Dennoch haben wir von Zuckerrübensirup und manchmal auch von Hundefutter gelebt. Das war Realität.“ Musikerkollegen und Medien gingen auf Distanz. Faust fand hierzulande praktisch nicht statt, dafür im Ausland umso mehr. Insbesondere in London wurden sie zuerst ausgelacht, und ihre Art, Rock zu spielen, als Krautrock bezeichnet. „Als man merkte, dass wir nicht aufgaben, weil wir es essentiell und notwendig fanden, dass eine Musik auf den Markt kam, die ein bisschen mehr sagte als nur dieses abgeleierte Blues- und Rock-Ding à la ‚Ich habe kein Geld und meine Freundin hat mich verlassen …‘, erreichten wir – und damit der Krautrock – eine euphorische Anerkennung.“
Betonmischer …. Poème und Betonniere
Faust hat sich in all den Jahren immer weiterentwickelt, auch wenn das nicht ohne Spannungen und Spaltungen blieb. Darüber hinaus findet Peron auch Interesse und Zeit für diverse Soloprojekte, wie z.B. das „Poème für Betonmischer“, eine Kollaboration mit dem französischen Komponisten und Flötisten Ivan Bellocq. „Dieses Projekt ist mir sehr langsam und dafür umso herzlicher ans Herz gewachsen. Der Zementmischer ist ein Instrument, das wir bei Faust benutzt haben, ohne zu wissen warum. Manchmal wird man per Zufall an etwas herangeführt, bis man das Potential entdeckt.“ Also wieder ein neues avantgardistisches Vorhaben, das zeitgenössische Kompositionstradition mit Sounds von Industrial, Rock und experimentellem Underground verbindet.
Jorinde Reznikoff / KP Flügel