Es hat sich etwas gedreht in der Bundesrepublik: das politische Klima. Gerade am Wahlkampf ist zu spüren, dass sich die Perspektive etwas geändert hat. Es geht auf den Wahlplakaten nicht mehr vordergründig um Arbeitsplätze und das trotz zahlreicher Insolvenzen. Vielen ist klar geworden, dass „Sozial ist, was Arbeit schafft“ hohles neoliberales Geschrei ist. Der Slogan, fabuliert von der Denkfabrik der Arbeitgeberverbände und propagiert nicht nur von marktradikalen PolitikerInnen, wird zumindest hierzulande immer weniger geglaubt. Das merken auch die politischen Akteure. Die Berichte bei den Amazons und Daimlers der Republik haben zusätzlich für eine öffentliche Empörung gesorgt. Es geht nicht mehr darum, noch so schlechte Beschäftigung zu schaffen, sondern es wird wieder der Fokus auf soziale Mindeststandards gelegt. Die Forderung nach einem Mindestlohn ist längst ins gelbe Parteienspektrum eingedrungen oder, besser gesagt, die Lohnuntergrenze. Ebenso steht Leiharbeit durch Kampagnen wie „Leiharbeit abschaffen“, welche vor der letzten Bundestagswahl von der FAU initiiert wurde, am Pranger.
Die beschleunigte Prekarisierung sowie der forcierte Abbau der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland lässt sich im Zug des Vereinigungsprozesses beobachten. Die Ost-Industrie wurde vor allen Dingen durch die schnelle Abwicklung durch die Treuhandanstalt platt gemacht. Hinzu kam noch die Währungsunion. Es kam quasi zu einer 400%-Aufwertung– der GAU für das produzierende Gewerbe. Wirtschaftliche Eigenständigkeit in Ostdeutschland war auch gar nicht von Politik und Wirtschaft gewollt. Die ehemaligen „Volkseigenen Betriebe“ wurden verscherbelt oder stillgelegt. Das bereits existierende Treuhand-Konzept für eine Vergesellschaftung aus der Oppositionsbewegung wurde in den Wind geschlagen. Als Paradebeispiel für beseitigte Konkurrenz ist der DKK-Kühlschrank aus dem Erzgebirge zu sehen. Zusammen mit Greenpeace entwickelt und FCKW-frei – also eine Innovation, welche heute Standard ist – wurde von den Westunternehmen mit einer Kampagne diskreditiert. Ziel erreicht, ein potenzieller weiterer Produzent weniger. Nur willige KonsumentInnen sollten übrig bleiben – mit welchem Einkommen, muss ja den Markt nicht interessieren.
Es wurde gar nicht die freie Marktwirtschaft (ein ewiges Paradoxon wie autoritärer Sozialismus) in der ehemaligen DDR eingeführt, sondern die Übernahme der ökonomischen Herrschaft des Oligopols. Die Industrie in den neuen Bundesländern ist geprägt durch verlängerte Werkbänke ohne große Forschungs- und Entwicklungsabteilungen: produzierende Arbeitsplätze, welche jederzeit verlagerbar sind, wenn anderswo der Energiepreis niedriger sind oder Subventionsquote höher ist. Der Kampf der Wirtschaftsstandorte wird ja nicht nur um die niedrigsten Löhne geführt, sondern auch – was nicht weniger Klassenkampf ist – um die möglichst große Übertragung von Kosten auf die Gesellschaft.
Nun stieg natürlich die Zahl der Erwerbslosen. Regierung und Gewerkschaft sahen sich veranlasst, zu reagieren. Natürlich hätte Rot-Grün auch den § 116 AFG (jetzt § 146 SGB III) rückgängig machen können, wie von der SPD im vorangegangen Wahlkampf gefordert. Jene Regelung, welche schon vom vorgeblichen Gewerkschaftsfreund Blüm 1985 eingeführt wurde, damit Beschäftigte bei einer kalten Aussperrung keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte.
Auch Schwerpunktstreiks konnten nun für die Gewerkschaft richtig teuer werden. Ein Grund für das Scheitern des Streiks um die 35-Stunden-Woche in der Metall- und Elektro-Industrie im Osten war zudem gewerkschaftsinterner Natur. Arbeitszeitverkürzungen wären jedoch ein wichtiges Mittel gewesen, um Arbeitslosigkeit abzubauen. Unlängst forderte die gewerkschaftsnahe Wissenschaft die 30-Stunden-Woche.
Bekanntlich hat ja die Schröder-Regierung alles nur noch gewerkschaftsfeindlicher gestaltet, wovon natürlich auch die Beschäftigten im Westen betroffen sind. Die Arbeitslosenstatistik gerettet durch prekäre Beschäftigung verbunden mit Hartz-Repressalien. Die öffentliche Hand muss trotzdem ordentlich Unterstützung leisten: für jährlich über zehn Milliarden Euro zur Aufstockung und perspektivisch durch Zuzahlungen bei der Grundsicherung im Alter. Nach der Absenkung des Rentenniveaus von ca. 50 auf künftig 43 Prozent, hat Schwarz-Gelb durch die Beitragssenkung der Rentenversicherung die Aussichten auf flächendeckende Altersarmut zementiert.
In der Konsequenz reicht der gewerkschaftliche Kampf gegen Erwerbsarmut nicht aus, damit im Alter mehr als ein paar Kröten übrig bleiben. Ferner geht ebenso darum, ob die Gesellschaft die Kosten zahlt.