Die Kunst des Widerstands

Es sei ein aufregender Wettlauf, sagt Judith Malina am Ende des Films, ein Wettlauf mit dem Tod. Sie wisse, wer am Ende gewinne, aber momentan gewinne sie. Im Juni 2013 ist Judith Malina 87 Jahre alt geworden, und sie hat nichts von ihrer Energie verloren, sie ist immer noch kämpferisch und ungebrochen, auch wenn die Spielstätte des Living Theatre in der Clinton Street in New York geräumt wurde und sie in einem Heim für alte SchauspielerInnen untergebracht ist. Aber sie schreibt an Stücken, und das Living Theatre ist – ganz seinem Namen entsprechend – nach wie vor am Leben und verbreitet auch weiterhin seine anarcho-pazifistische Botschaft an aktuellen Konfliktschauplätzen, wie schon seit mehr als fünfzig Jahren. „Fuck The Legend“, sagt Judith Malina im Film, sie wolle keine Legende sein, sondern lieber Teil der Gegenwart.

„Nicht reden, sondern machen“

Das Berliner FilmemacherInnen-Duo Dirk Szuszies/Karin Kaper begleitete das Living Theatre zum G8-Gipfel nach Genua, nach New York zu Ground Zero und nach Khiam zum ehemaligen Strafgefangenenlager der israelischen Armee im Südlibanon und dokumentierte die Aktionen des Kollektivs gegen Hass und Gewalt. Und wer wäre dafür besser geeignet als Dirk Szuszies, der von Anfang bis Mitte der 80er selbst Mitglied des Living Theatre war?

Auftritt in Khiam (copyright Dirk Szuszies, Karin Kaper)

Er habe der Spät-Siebziger-Terrorismus-Hysterie entfliehen wollen, antwortet Dirk Szuszies auf die Frage, wie er denn zum Living Theatre gestoßen sei. Er habe 1979 sein Studium der Soziologie und Pädagogik in Bielefeld abgebrochen und sei nach Bologna gegangen, um dort Schauspielunterricht zu nehmen. Ostern 1980 sei er beim Living Theatre zu Besuch gewesen, keineswegs, um bei ihnen einzusteigen, einfach aus Interesse. Aber ein amerikanischer Schauspieler sei gerade weggegangen, die Truppe habe Ersatz gebraucht und so sei er – ermutigt durch Judith Malina – ins kalte Wasser gesprungen. Ein Nomadenleben folgte. In den folgenden fünf Jahren war Dirk Szuszies als Schauspieler mit dem Living Theatre unterwegs in Italien, Polen, Deutschland und in den USA, aufgeführt wurden Antigone, Six Public Acts, Masse Mensch und The Archaelogy Of Sleep. Ein emotionaler Höhepunkt sei sicher die Einladung Anfang der Achtziger nach Polen gewesen, wo zu der Zeit Kriegsrecht herrschte, erinnert sich Dirk Szuszies, sie hätten damals Antigone gegeben, mit Judith Malina in der Titelrolle.

Die Krebserkrankung von Julian Beck, dem Mitbegründer des Living Theatre, führte zur ersten Entscheidung, die nicht im Kollektiv getroffen wurde – das Living Theatre ging zurück nach New York. Ohne Green Card sah Dirk Szuszies für sich keine Möglichkeit, in New York zu bleiben. Er gab eine Anzeige in der taz auf und ging nach München, wo er das Freie Theater Aporée gründete, mit dem er später nach Berlin umzog und es in ZATA Theater (Zentrales Aufklärungstheater Aporée) umbenannte. Den Tod von Julian Beck verpasste er knapp. Das Living Theatre schien danach am Ende: Julian Beck hatte keine Krankenversicherung gehabt, die finanziellen Ressourcen waren aufgebraucht. Aber Hanon Reznikov hielt die Truppe zusammen und wurde neben Judith Malina zur zentralen Inspirationsquelle des Living Theatre.

Fuck The Legend“, sagt Judith Malina im Film

Aktionen gegen Hass und Gewalt

G8-Gipfel, Genua 2001: Die Bilder der Verwüstung, die Dirk Szuszies einen Tag nach der Erstürmung der Diaz-Schule mit der Kamera festgehalten hat, brennen sich ins Gedächtnis und lassen die Brutalität des Polizei-Einsatzes erahnen. Wieder ist Dirk Szuszies mit Judith Malina und dem Living Theatre unterwegs, dieses Mal jedoch als Filmemacher. „Wir waren schon vor Beginn des Gipfels in Genua“, erzählt Dirk Szuszies von den Dreharbeiten, „wir hatten eine offizielle Akkreditierung. Das Living Theatre war nicht an vorderster Front, sie machten Workshops und Aktionen gegen Hass und Gewalt.“ Als besonders menschenverachtend habe er es empfunden, so Dirk Szuszies, dass die Carabinieri es sich auf der Piazza Alimonda gut gehen ließen, wo zuvor Carlo Giuliani erschossen worden war.

Beeindruckend auch die Performance des Living Theatre an Ground Zero, bei der die Truppe versuchte, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen, gleichzeitig die Trauer über den Verlust ausdrückte und die Vergeltungssucht der Menschen anprangerte.

Der letzte Teil des Dokumentarfilms zeigt das Living Theatre bei einem Workshop in Khiam, dem ehemaligen Strafgefangenenlager der israelischen Armee im Südlibanon, der von einer jungen, in den USA lebenden Libanesin initiiert worden war. Ein Teil der Mitwirkenden habe ihnen Weltfremdheit vorgeworfen und sei ausgestiegen, aber mit großem Bedauern und Trauer, so Dirk Szuszies.

The Brig (copyright Dirk Szuszies, Karin Kaper)

Im Jahre 2008 war das Living Theatre mit The Brig unterwegs, einer Rekonstruktion der Aufführung von 1963 des Theaterstücks des ehemaligen Marines Kenneth Brown, der darin seine eigenen Erfahrungen in der demütigenden, klaustrophobischen und menschenverachtenden Welt eines Gefängnisses der US Marines schildert, The Brig führt die ZuschauerInnen an die Grenzen der Zumutbarkeit. Bei der Aufführung in der Akademie der Künste war Judith Malina nicht anwesend, da zu dieser Zeit Hanon Reznikov verstarb.

Aber wer vor Kurzem auf Facebook den Beitrag von Judith Malina entdeckte, auf dem sie voller Inbrust Bella Ciao sang, weiß, dass sie ihre Utopie auch weiterhin lebt.

BELLA CIAO! con Judith Malina al Teatro Valle Occupato

www.youtube.com/watch?v=7kxfJbuV6ro

RESIST!

Ein 35mm-Kino-Dokumentarfilm von Karin Kaper & Dirk Szuszies

Bonus: Archivmaterial und Aufnahmen von der Veranstaltung anlässlich des 80. Geburtstags von Judith Malina im Juni 2006 in der Akademie der Künste Berlin

Die DVD erschien 2007 im Eigenvertrieb

Karin Kaper

Naunynstraße 41a, 10999 Berlin

www.karinkaper.com/

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