Kampf um eine neue Zukunft

Erst sechs Wochen nach seinem Tod wurde die Leiche von Hashim Yasbek, einem 34-jährigen Asylbewerber aus dem Libanon, in der überfüllten Flüchtlingsunterkunft an der Torgauer Straße in Leipzig gefunden. In Berlin-Hellersdorf soll in einem trostlosen Gebäude ein neues Heim entstehen, dessen BewohnerInnen der „Residenzpflicht“ genannten gesetzlichen Beraubung ihrer Bewegungsfreiheit ausgesetzt sind – und dann schlägt den Flüchtlingen auch noch der Rassismus des Mobs entgegen. Doch die Flüchtlingsproteste der letzten Monate haben deutlich gemacht, dass sich gegen ein Dasein als Opfer immer mehr Betroffene wehren. Nun haben hunderte Menschen aus verschiedenen afrikanischen Ländern, die jahrelang in Libyen als ArbeitsmigrantInnen lebten und dort durch den Bürgerkrieg, die Nato-Bombardierungen sowie rassistische Gewalt gegen MigrantInnen im Verlauf des Krieges – auch von Seiten der mit der Nato verbündeten Milizen – ihre Lebensgrundlage verloren, in Berlin und Hamburg demonstriert. Sie nennen sich „Lampedusa in Berlin“ bzw. „Lampedusa in Hamburg“, nach der italienischen Insel, auf der ein Großteil aller MigrantInnen, die über das Mittelmeer Richtung Europa aufbrechen, interniert werden. Nach der Drittstaatenregelung müssen Flüchtlinge in dem Land, in dem sie Europa erreichen, einen Asylantrag stellen, und die Behörden möchten sie nun dorthin zurückschicken.

 

Vielen Dank erst mal dafür, dass Ihr Euch Zeit für das Interview nehmt, Ihr seid ja gerade in einer turbulenten Phase. Wie ist denn der aktuelle Stand in Eurem Kampf dafür, in Hamburg bleiben zu können?

Am 17. 8. haben wir eine Demonstration mit über 2500 Teilnehmenden durchgeführt – die Solidarität der Leute war überwältigend! Wir werden von hunderten Menschen unterschiedlichster Hintergründe unterstützt. Aber die Behörden bleiben bisher stur. Bei unserem letzten Gespräch machten sie klar, dass sie keine Gruppenlösung für uns wollen, sondern von Fall zu Fall über die Asylanträge entscheiden – und das würde wohl bedeuten, dass fast alle von uns nach Italien zurückgeschickt werden. Aber nach drei Monaten des Kampfes sind wir stärker als je zuvor. Wir werden nicht müde, der Kampf geht weiter!

Ihr wart als ArbeitsmigrantInnen in Libyen. Wo habt Ihr dort gelebt, was habt Ihr dort bis zum Beginn des Bürgerkrieges gearbeitet?

Oh, wir sind so viele verschiedene Leute in unserer Gruppe, das sind so unterschiedliche Geschichten. Wir haben überall über Libyen verteilt gelebt und gearbeitet, in der Industrie, wie z.B. der Automechanik, aber auch bei Sicherheitsdiensten oder im Baugewerbe. Einige von uns hatten auch ihr eigenes kleines Geschäft.

Und wie waren die Arbeits- und Lebensbedingungen für Euch bis zum Beginn des Bürgerkrieges?

Das war unterschiedlich, aber alle von uns hatten ein ausreichendes Einkommen und wir konnten auch Geld an unsere Familien in unseren Herkunftsländern schicken. Das Leben war nicht einfach, konnte aber auch manchmal gut sein. Es gab Arbeit und gutes Geld.

Was waren die Folgen des Krieges und insbesondere der NATO-Intervention? Was waren die Motive für Eure Flucht?

Die Bomben fielen auf unsere Köpfe, wir lebten mitten im Krieg. Viele von uns wurden dann im Verlauf des Krieges vom Militär in Boote gezwungen, andere wurden schon zu Beginn zusammengetrieben und eingesperrt. Von vielerlei Seiten gab es sehr viel Gewalt gegen uns. Wir haben alles verloren, was wir uns aufgebaut haben. Wir wurden aus unseren Wohnungen vertrieben, unsere Freunde und unsere Familien ermordet. Wir hatten nie vor, nach Europa zu kommen, der Krieg hat uns dazu gezwungen.

Was geschah nach Eurer Ankunft in Italien?

Als wir in Lampedusa ankamen, wurden wir schnell in andere Camps über ganz Italien transportiert, für ein bis drei Monate. In Lampedusa mussten einige Leute sogar draußen schlafen. Wer von da wegkam, musste sich in den anderen Camps oder in kleinen, abgelegenen Orten behaupten – wir bekamen unterschiedliche Aufenthaltsgenehmigungen, wurden also juristisch vereinzelt und gespalten. Wir konnten nirgendwo anders hin, und als das „Nordafrika-Notfallprogramm“ endete, wurden wir von den Behörden auf die Straße geworfen. Sie hatten kein Mitleid, und wir mussten viele Monate als Obdachlose leben. Es gab keine Unterstützung, keine Arbeit in Italien, absolut keine Perspektive. Wenn es dort eine Chance für uns gäbe, würden wir ja dahin zurückgehen, aber dort wartet nur ein Leben in Armut, auf der Straße oder in Slums.

Wehren sich gegen die inhumanen Folgen des angeblich humanitären Kriegseinsatzes der NATO: Die AktivistInnen von „Lampedusa in Hamburg“ (Quelle: www.fightracismnow.net/)Wo seid Ihr dann in Hamburg untergekommen, wer waren Eure Ansprechpartner? Und wie haben die Behörden reagiert?

Einige bekamen Geld von der italienischen Regierung, damit sie irgendwohin verschwanden. Wir sollten einfach weg, und unsere Gruppe landete in Hamburg im Winternotprogramm. Dort blieb die Mehrheit vorerst. Im April landeten wir wieder auf der Straße. Einige zogen dann weiter, aber die meisten hatten keinen anderen Ort, an den sie gehen konnten. So lebten wir halt auf der Straße, manchmal in Gruppen. Wir kannten uns ja, und wir campten zusammen in Parks. Dann gab es erste Kontakte zu der „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“, die ein regelmäßiges Café auf St. Pauli betreibt. Die haben uns dann unterstützt und wir begannen, uns politisch zu organisieren. Unsere erste öffentlichkeitswirksame Aktion war unser Auftritt am Kirchentag, der ja dieses Jahr am 1. Mai in Hamburg stattfand. Da bekamen wir dann Kontakt mit KirchenvertreterInnen. Aber nichts passierte, wir mussten weiter auf der Straße leben. Am 22. Mai gingen wir ins Rathaus und verlangten, mit OB Scholz zu sprechen. Da kam dann jede Menge Polizei, die wollte uns zu räumen, doch wir gingen schließlich freiwillig. Wir versuchten noch, ein Camp vor dem Rathaus zu errichten, doch die Polizei verhinderte es. Wegen der Kälte und verbreiteter Notfälle organisierten schließlich solidarische Menschen Schlafplätze. Die Kirche auf St. Pauli öffnete ihre Türen und 80 Leute fanden dort Unterschlupf, wir hatten einen direkten Kontakt mit dem Pastor. Auch Moscheen halfen uns.

Ihr seid ein politischer Zusammenschluss geworden. Wie organisiert Ihr Euch, und mit wem arbeitet Ihr zusammen?

Wir halten zweimal die Woche Treffen ab, und dann gibt es Extratreffen für die UnterstützerInnen. Wir haben jetzt sehr intensiven Kontakt zu Anwälten. Dann sind da Leute aus den afrikanischen Communities in Hamburg, Leute von ver.di, viele jüngere AktivistInnen und natürlich die Karawane. Ver.di stellt uns Infrastruktur wie z.B. Räume für Treffen und Pressekonferenzen zur Verfügung. Auch der FC. St. Pauli und die Leute hier im Viertel unterstützen uns mit direkter Hilfe, wie etwa Essen, Spenden, kulturellen Events und Fußballtraining. Wir haben aber gehört, dass es bei ver.di auch schon Unmutsbekundungen gegen die Unterstützung gab. Des Weiteren stehen wir mit Leuten von der Linkspartei und den Grünen in Kontakt, um unser Anliegen im Rathaus, dem Bundestag und dem Europäischen Parlament einzubringen.

Vielen Dank für das Interview und viel Kraft für Euren Kampf!

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