Leipzig ist neben „Helden“-, Buch-, Studenten- und Wasserstadt auch Call-Center-Stadt. Ihre Anzahl schwankt irgendwo im dreistelligen Bereich. Neben ganz kleinen mit weniger als zwanzig Mitarbeitern sind auch fast alle Großen der Branche vertreten. Dies und die dort gezahlten Löhne verleiteten die Piratenpartei dazu, eine Städtepartnerschaft mit Kalkutta ins Gespräch zu bringen.
In einigen wenigen Callcentern ist es zwar durchaus möglich, als einfacher Call-Center-Agent (CCA) mehr als zehn Euro die Stunde oder 1.400 Euro Gehalt pro Monat zu verdienen. Dies ist bei den Großen wie buw, Competence Call Center, TAS oder Simon und Focken nicht der Fall. Doch eine hohe Arbeitslosigkeit und ein willfähriges Jobcenter sorgten lange für ausreichend Nachschub an MitarbeiterInnen. Aber der hohe Bedarf an Menschen, die zu Löhnen unter acht Euro pro Stunde arbeiten, sorgte dafür, dass viele Callcenter von der Praxis abgehen mussten, nur befristet einzustellen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist auf alle dort agierenden Gewerkschaften (verdi, dpvkom, FAU) bezogen schlecht bis mäßig. Zwar gelingt es der dpvkom hin und wieder, eine beachtliche Zahl von Mitgliedern zu werben, doch bleiben diese meist nicht lange. Einige Geschäftsführungen wie die bei TAS oder Simon und Focken gebärden sich regelrecht gewerkschafts- und betriebsratsfeindlich. Bei TAS wurden die CCA, die einen Betriebsrat gründen wollten, fristlos entlassen. Das Gericht stellte zwar die Unrechtmäßigkeit der Entlassungen fest, aber aus Angst zu gewinnen, verzichteten die CCA auf eine Klage auf Wiedereinstellung. Bei Simon und Focken gibt es eine regelrechte Hetze gegen Gewerkschaften und Mitbestimmung seitens der etwas Aufgestiegenen. Und Schuld an der schlechten Geschäftslage sei der „Arbeitszeitklau“ (Genau, liebe Scientology-AuskennerInnen, der Begriff ist nicht neu).Bei buw ist es gelungen, einen eher zahmen Betriebsrat mit vielen Teamleitern zu installieren. Dies war bis 2012 auch im Competence Call Center der Fall. Die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften verdi, dpvkom und FAU einigten sich dann darauf, den Betriebsrat neu wählen zu lassen. Dies war möglich, da die Zahl der MitarbeiterInnen seit der letzten Wahl um über 50 gestiegen war. Man einigte sich auf Listenwahlen statt Personenwahlen, da letztere befristet angestellte und deshalb weniger bekannte CCA gegenüber Teamleitern benachteiligen. Die drei Gewerkschaften koordinierten sich auch weiterhin dahingehend, dass die Zuarbeit zu den einzelnen Problemfeldern verteilt wurde. Als dann aber die dpvkom die Anrechnung der regelmäßigen Boni auf das Urlaubsentgelt und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall als ihren Erfolg deklarierte, wurden die Mitglieder sauer und die dpvkom war bald weder im Betriebsrat noch im Betrieb vertreten. Die FAU Leipzig ist zurzeit auch nicht im Betriebsrat vertreten, was aber nichts an der freundschaftlich-kollegialen Zusammenarbeit ändert.
Neben der Bonianrechnung hat dieser schlagkräftige Betriebsrat auch die Bezahlung der Rüstzeit mittels einer Pauschale erreicht. Die Betriebsversammlungen werden regelmäßig durchgeführt. Die Klimatisierung ist in Arbeit, auf die Einhaltung der Bildschirmpausen wird strengstens geachtet, die Lohnabrechnung ist jetzt für die CCA transparent. Damit sich an den Löhnen selbst über die geplanten 8,50 Euro Mindstlohn hinaus etwas ändert, muss sich etwas am Organisationsgrad ändern.
Für einige potentielle Kundenunternehmen ist die Existenz eines funktionierenden Betriebsrates durchaus ein Pluspunkt, da dies Indizien für Stabilität und Einhaltung von arbeitsrechtlichen und sozialen Mindeststandards sind. Es kann also sehr sinnvoll sein, Einfluss auf die Zusammensetzung eines Betriebsrates zu nehmen und so die Situation der Beschäftigten zu verbessern. Weiterhin kann der Betriebsrat ein Feld der Bündnisarbeit und Agitation für uns AnarchosyndkalitInnen sein. Dass wir uns betriebliche Mitbestimmung perspektivisch ganz anders vorstellen, müssen und sollten wir dann nicht verschweigen, sondern als kritischer und vor allem zuverlässiger Partner agieren.