Jetzt auch amtlich – Das Singen von Arbeiterliedern ist ein schützenswertes Kulturgut

Es gibt Sachen, die gibt es eigentlich gar nicht. Vor einigen Monaten hatte ich für die DA einen kleinen Artikel über die Initiative geschrieben, die einen Antrag zur Anerkennung des Arbeiterliedes als geschütztes Kulturerbe im Sinne der UNESCO eingebracht hatte.

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Die Anregung für diese Initiative war von Joachim Hetscher gekommen, einem Journalisten, Liedermacher und Organisator von politischen Kulturevents, darunter das jährliche Woody-Guthrie-Festival in Münster. Es ergab sich ein loser InitiatorInnen-Kreis aus engagierten KünstlerInnen, GewerkschafterInnen, KunstprofessorInnen, HistorikerInnen und sonstigen Interessierten. Erste Überraschung: für das Thema engagierten sich bedeutend mehr Menschen als erwartet – die meisten sicher nicht vorrangig davon überzeugt, dass wir mit diesem ambitionierten Anliegen in der Runde der Kultusministerien und UNESCO-Verantwortlichen erfolgreich sein könnten, aber sehr überzeugt davon, dass mit Hilfe eines solchen Antrags unserem Anliegen mehr öffentliche Aufmerksamkeit verschafft werden könnte.

Der Weg ist das Ziel

Der Weg ist das Ziel – das war auch mein Ansatz. Immerhin ergaben sich über den Antrag einige Artikel und Hinweise in den links angesiedelten Medien, einige Veranstaltungen und ein wachsendes Interesse, vor allem in unterschiedlichen Bereichen der IG Metall. In Mannheim organisierte ich zusammen mit dem hiesigen Landesmuseum für Technik und Arbeit und mit Unterstützung der IG Metall eine sehr gut besuchte Podiumsdiskussion mit Livemusik und einem sowohl unterhaltsamen wie kenntnisreichen Referat zur Historie des Arbeiterliedes, das der Berliner Musikprofessor Hartmut Fladt beisteuerte. An der Basis tat sich also etwas, aber in den Apparaten der Organisationen, deren originäres Interesse diese Lieder, ihre Historie wie ihre aktuelle kämpferische Ausformung finden sollte, gab es, die IG Metall mal ausgenommen, kaum Resonanz. Von den herrschenden Medien ganz zu schweigen.

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Umso überraschender der 11. 12. 2014. Die Kultusministerkonferenz bestätigte auf Anhieb die Empfehlung einer unabhängigen Expertenkommission, neben 26 weiteren Nominierungen auch das „Singen der Lieder der deutschen Arbeiterbewegung“ (so der konkrete Titel) in „das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes“ aufzunehmen. Und das nicht nur so, sondern auch noch mit einer respektablen Erklärung, die in der Art erst noch Eingang in das Kulturverständnis von Gewerkschaften oder politischen Organisationen finden müsste.

Arbeiterlieder – schützenswertes Kulturgut im Sinne der UNESCO

Auszug aus der der Jury-Erklärung: „Im Rahmen von Aktionen der Arbeiterbewegung werden seit dem 19. Jahrhundert charakteristische Lieder gesungen. Das Singen dieser Lieder ist Ausdruck einerseits von Benachteiligung und Unterdrückung lohnabhängiger Beschäftigter, andererseits aber auch von ihrer Gegenwehr und Zukunftsgewissheit. Die Lieder weisen häufig einen positiven Bezug zur grenzüberschreitenden Solidarität und zum Streben nach Frieden zwischen den Völkern auf. Viele sind Übersetzungen aus anderen Sprachen, wie beispielsweise „Die Internationale“ oder „Bella Ciao“. Die Lieder der Arbeiterbewegung erreichten im deutschen Kulturraum eine hohe künstlerische Entwicklung durch musikalisch innovative Adaptionen und Weiterentwicklungen durch Kurt Weill, Hanns Eisler und Bertolt Brecht. Das Singen der Lieder der deutschen Arbeiterbewegung ist über weite Strecken der deutschen Geschichte verboten und unterdrückt worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste es zunächst wiederentdeckt und von der Arbeiterbewegung neu angeeignet werden. Auch heute noch weist die Praxis eine große Lebendigkeit auf, die, von den Medien weitgehend unbeachtet, bei Versammlungen oder anlässlich von Streiks und anderen gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen sowie in der Neuentstehung von Liedern zum Ausdruck kommt.“ – Chapeau! Dieser Begründung ist meiner Meinung nach nicht mehr viel hinzuzufügen.

Wie weiter?

Die überraschende Zustimmung stellt unsere bisher lose Interesseninitiative nun vor die Aufgabe, sich einen formellen Handlungsrahmen zu schaffen, der es auch ermöglicht, Anträge zur Unterstützung von Forschungsarbeiten oder Projekten stellen zu können. Denn das wäre auch ein erster praktischer Nutzen (neben dem immateriellen) aus dieser Anerkennung.

Konkretere Infos zu unserem Antrag und den InitiatorInnen gibt es auf meiner Webseite: www.ewo2.de/berndkoehler. Eine eigene Webseite der Initiative ist Teil der Maßnahmen, die wir jetzt angehen wollen.

 

Wer die Anliegen der Initiative unterstützen möchte, kann das an Joachim Hetscher melden: Joachim.Hetscher@gmx.de

 

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„In dieser Straße – Das Waterboarding-Syndrom“

… heißt das neue Werk von Bernd Köhler und ewo2 („elektronisches Weltorchester“). Wer angesichts der Abkürzung Arbeiterlieder im postmodernen Elektro-Sound erwartet, täuscht sich: Die Instrumentierung ist klassisch, aber virtuos, auch durch ihre Menge. Denn schnell lernt man hier: Gitarre ist noch lange nicht Gitarre. Das merkt man, wenn sich hinter die melodiegebende Akustik-Gitarre das leise Dröhnen der E-Gitarre mischt und durch Slides von der Lap Steel-Gitarre ergänzt wird. Ergänzt wird das Spektakel aber auch durch Akkordeon, Synthesizer und Geige.Was dabei rauskommt, ist immer irgendwie „Liedermacherei“, klingt deswegen aber nicht immer gleich. Der Drei-Song-Zyklus „Das Waterboarding-Syndrom“ etwa kommt relativ düster daher. Die Foltermethoden, die einen letztlich alles sagen lassen, finden für Bernd Köhler nicht nur in Abu Ghraib oder Guantanamo statt, sondern werden Bestandteil des Alltags und eben auch „dieser Straße“. Das Waterboarding als Teil des Systems hat uns als Syndrom alle im Griff.Daneben steht aber auch eine beschwingte Leichtigkeit in der Tradition Franz Josef Degenhardts, nicht nur in dem, wie im Beiheft angemerkt, an diesem orientierten „Knistert, furzt im Parlament“, sondern auch z.B. bei „Das ganz normale Ekel“.Und letztlich wird es auch immer wieder besinnlich, wie in „Hat da gewohnt“ oder „Ein besonderes Haus“. Fazit also: Auch mit den traditionellen Instrumenten des Liedermachens bekommt man eine moderne Vielfalt an Sound hin, die als Soundtrack zu unserer Zeit mehr als nur taugt. Also: Kaufen, reinhören und checken, wann das „kleine elektronische weltorchester“ in der Nähe auftritt. (bew)

Bernd Köhler und ewo2 „In dieser Straße – das Waterboarding-Syndrom“ (VÖ – 12.03.2015) JumpUp-Records, Art.Nr.: JUP-00035. 14 Songs, 15,00 Euro

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