Syndikalismus im Museum

Das historische Unikat des mitteleuropäischen Anarchosyndikalismus ist dieses Jahr sogar Teil des offiziellen Veranstaltungsprogramms der südthüringischen Theaterhochburg Meiningen geworden. Geschuldet ist dies nicht zuletzt der Kooperation des Wandervereins Bakuninhütte mit der Erich-Mühsam-Gesellschaft (EMG), jener Literaturgesellschaft, die sich dem Gedenken an den insbesondere in der ehemaligen DDR bekannten Schriftsteller, Anarchisten und Bohémien (näheres zu seiner Person und zu seiner Frau Zenzl in den DA-Ausgaben 224 und 225) widmet. Die EMG wurde vor etwa 25 Jahren in Lübeck gegründet, dem Ort seiner Kindheit und frühen Jugend. Zusammen mit den Meininger Museen und der kommunalen Kulturpolitik kam es bereits vorletztes Jahr zur Planung einer Veranstaltungsreihe. Diese wurde aber wegen des 100. Todestages des „Theaterherzogs“ Georg II. verschoben. Während seiner Regentschaft wurde das Schauspiel besonders gefördert und revolutioniert. Die einstige Residenzstadt mit etwa 20.000 Seelen verfügt deshalb über ein Staatstheater und ein Theatermuseum. In der Schlosskirche wird die Fachtagung „Erich Mühsam in Meiningen“ am 14. Juni mit szenischer Lesung sowie Konzert feierlich beendet.

Meiningen und seine Anarchisten

Zurzeit sind die Akteure des Wandervereins Bakuninhütte emsig dabei, ein eigenes Ausstellungskonzept umzusetzen, das den historischen Kontext der Erbauerzeit von lebensreformerischen Welten über die eng mit der Hütte verbundene FAUD bis zum ideengeschichtlichen Hintergrund des Anarchismus und seiner Protagonisten umfasst. Die Geschichte der Hütte von der Weimarer Republik über die NS-Zeit und die DDR bis in die Gegenwart stellt den lokalen Bezug her. Exponate wie die Bibliothek der Anarchosyndikalisten, der Gedenkstein des Namensgebers Bakunin, die Überreste der Terrazzotafel mit dem Hüttenspruch und historisches Werkzeug schaffen einen plastischen und authentischen Eindruck der libertären Gewerkschaftsbewegung vor Ort. Dazu gibt es eine Ausstellung der EMG über Leben und Werk Erich Mühsams. Sein Aufenthalt an der Bakuninhütte ist per Postkarten belegt. Diese Doppelausstellung ist im barocken Residenzschloss Elisabethenburg zu sehen, das das kulturhistorische Museum der Stadt beherbergt. Sie trägt einerseits den mutigen Titel „Meiningen und seine Anarchisten“ und andererseits „Erich Mühsam in Meiningen“. Unterstützt wird das Projekt von der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten.

Mühsam an seine Frau Zenzl: "Diese Hütte haben die Genossen gebaut, 600 Meter hoch, mitten im schönsten Wald..."

Zur Eröffnung wird am 17. Mai, dem Internationalen Museumstag, geladen. Dabei wird Christoph Holzhöfer aus Berlin Gedichte Mühsams mit Gitarre und Gesang begleiten. Am Tag zuvor wird Dr. Andreas Seifert, Leiter des Literaturmuseums Baumbachhaus, den jährlichen LeseWanderTag dieses Mal als „die Anarchotour“ gestalten. Er liest Texte Mühsams zur musikalischen Begleitung Holzhöfers und informiert über lokalgeschichtliche Begebenheiten. Die Tour endet an der Hütte, wo die Teilnehmer, neben Speis und Trank, auch Führungen erwarten.

Zwischen Poesie und FAUD

Auch in Meiningen zu sehen - die originale Schreibmaschine von Erich Mühsam als Exponat von der EMG geliehen

Vom 11. bis zum 14. Juni wird eine Fachtagung mit dem Titel „Erich Mühsam und die Idee des freiheitlichen Sozialismus. Ein historischer Überblick zum Anarchosyndikalismus in Thüringen, die Bakuninhütte bei Meiningen und ihren soziopolitischen Hintergrund“ stattfinden. Neben den Vorträgen und Diskussionen wird es Filmvorführungen, Besuche von Kulturstätten und eine Führung zur Hütte geben. Hartmut Rübner wird zur freiheitlichen Tradition der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung referieren. Siegbert Wolf wird den ersten Prozess gegen die FAUD vor dem Volksgerichtshof 1936 beleuchten. Die Lebensgeschichte Zenzl Mühsams wird Uschi Otten anhand von Briefen und Dokumenten darstellen. Annegret Schüle widmet ihren Vortrag dem Anarchosyndikalismus in Thüringen am Beispiel Sömmerdas, einer einstigen Hochburg der Bewegung. Ebenso eine Rolle auf der Tagung spielen anarchistische Bildungspolitik, Lebensreformbewegung bzw. Freikörperkultur, Vagabundenbewegung und natürlich die Entstehungsgeschichte der Bakuninhütte. Die Tagung endet mit der Lesung „Es knarrt der Seele morsches Gerüst“ und dem Konzert „In memoriam Erich Mühsam“ am Sonntag.

Wer dann immer noch nicht Zeit gefunden hat, einmal nach Thüringen zu kommen, hat am Tag des offenen Denkmals (13. September) eine weitere Gelegenheit, die Hütte und die Sonderausstellung im Schloss zu besuchen. Noch einmal wird Andreas Seifert die Anarchotour als Wanderung mit historischen Stationen um die fränkische Kleinstadt begleiten, die bis zur Entstehung des Landes Thüringen 1920 Hauptstadt eines eigenständigen Herzogtums bzw. nach der Novemberrevolution kurzzeitig des Freistaats Sachsen-Meiningen war. Eine Station wird dabei das Grab dreier erschossener Arbeiter sein, deren Geschichte Teil der Tour sein wird.Der Historiker Ulrich Linse stellt die Einzigartigkeit der Bakuninhütte heraus: „So scheint die Bakuninhütte bei Meiningen also der einzige halbwegs gelungene Plan zur Errichtung eines anarchistischen Ferienheims während der Weimarer Zeit geblieben zu sein.“ Dabei war der Ort noch weit mehr als ein „Ferienheim“: lebendiges Beispiel für gegenseitige Hilfe und frühes D.I.Y. (Do-it-yourself); ein Ort zum Durchatmen außerhalb der Lohnarbeit und (halbwegs) selbstbestimmte anarchosyndikalistische Begegnungsstätte.

Programm von Mai bis September

Sa. 16. 5. Die Anarchotour
(LeseWandertag im Meininger Land) folgt ab 10 Uhr Erich Mühsams Spuren den Weg hoch zur Bakuninhütte. Treffpunkt ist der Schlosshof von Elisabethenburg, geführt vom Leiter des lokalen Literaturmuseums sowie musikalisch begleitet von Christoph Holzhöfer.

So. 17. 5. – 27. 9. „Sich fügen heißt lügen“
(Sonderausstellung: Erich Mühsam in Meiningen – Meiningen und seine Anarchisten)Eröffnung im Rahmen des Internationalen Museumstages: 17. Mai um 15 Uhr im Schloss Elisabethenburg mit musikalischem Rahmenprogramm von Christoph Holzhöfer

Do. 11. 6. – 14. 6. Fachtagung
„Erich Mühsam in Meiningen“Trotz Frist zum 1. Mai bei Teilnahmewunsch einfach auch kurz nach Anmeldeschluss melden.

So. 14. 6. „Es knarrt der Seele morsches Gerüst“ (Meininger Museumsabend)
Die Fachtagung klingt am Sonntag ab 19 Uhr in der Schlosskirche aus mit einer szenischen Lesung, begleitet vom Musiker Rocco Boness (Hamburg) auf dem Bandoneon. Nach einer Führung durch die Doppelausstellung werden die Sängerin Anna Haentjens aus Elmshorn und Sven Selle aus Hamburg am Klavier mit ihrem Konzert „In memoriam Erich Mühsam“ zu hören sein.

So. 13. 9. Tag des offenen Denkmals
Eine Rundwanderung (6 Stunden) mit geschichtsträchtigen Stationen auf den Spuren Erich Mühsams zur Bakuninhütte beginnt am zweiten Sonntag im September um 10 Uhr im Schlosshof. Mittags wird bei warmen Speisen und Getränken bei einer Führung durch die Hütte sowie das umgebende Gelände mit Informationen zur Nutzungsgeschichte gerastet. Auf dem Heimweg kann man sich an der landschaftlichen Idylle des Werratals erfreuen.

Ausgiebige Beschreibungen sind zu hier zu finden:
www.muehsam-in-meiningen.de

Lokale Mitglieder stehen gerne für einen Besuch außerhalb der Highlights nach Absprache für euch bereit:
kontakt@bakuninhuette.de

Information zur Hütte unter:
www.bakuninhuette.de

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