Peter Hartz’ schauerliche Reise nach Paris

Noch ist es nicht so weit: Keine mit den nach Peter Hartz benannten Gesetzen vergleichbaren Regelungen, vor allem nicht solche, die mit „Hartz IV“ deckungsgleich wären, konnte bislang in Frankreich verabschiedet werden. Zwar träumt auch ein Teil der Kapitalverbände und der politischen Eliten in Frankreich davon, ähnliche einschneidende „Reformen“ durchzuführen. Heute können unter 50jährige Lohnabhängige bis zu maximal 23 Monate eine Arbeitslosenunterstützung (in Höhe von 57 % des Bruttolohns während der letzten zwölf Monate erhalten), so genannte „Senioren und Seniorinnen“ auch bis zu drei Jahren. Also erheblich länger als in Deutschland, wo nach einem Jahr das Abfallen in die früher so genannten Sozialhilfe droht.

Die „Realität der Arbeitssuche“ kann zwar grundsätzlich seit einem „sozialpartnerschaftlichen“ Abkommen zwischen CFDT und Arbeitgeberlager aus dem Jahr 2000 kontrolliert werden. Und der rechtssozialdemokratische Arbeitsminister François Rebsamen schlug im September 2014 in mehreren Interviews vor, das Kontrollregime erheblich zu verschärfen, unter Androhung der Streichung der Arbeitslosenbezüge – bevor er seine Ankündigungen, unter Protesten, wieder zur Hälfte zurückzog. In Wirklichkeit finden jedenfalls flächendeckend solche Kontrollen bislang nicht statt, auch aufgrund personeller Unterbesetzung der Ämter des Pôle emploi, der französischen Arbeitsagentur. In 2014 wurden sie allerdings probeweise in mehreren französischen Verwaltungsbezirken durchgeführt; und belegten angeblich, dass 13 Prozent der Erwerbslosen (im Raum Poitiers) respektive 20 Prozent (im Raum Toulon) angeblich betrügen und nach keiner Erwerbsarbeit suchen. Mit Folgeschritten ist also möglicherweise zu rechnen.

Na wer hat sich denn da nach Paris verirrt?

Unterdessen suchte allerdings Präsident François Hollande, der wirklich nicht mehr weiß, was er gegen Vorwürfe wegen der weiterhin steigenden Erwerbslosigkeit erfinden soll, explizit Zuflucht beim Modell Deutschland. Am 28. Januar 2014 berichtete die Saarbrücker Zeitung darüber, zwei Monate zuvor habe der französische Präsident den früheren Kanzlerberater unter Gerard Schröder und VW-Personaldirektor Peter Hartz, der die nach ihm benannten Gesetze inspiriert, getroffen. Bis dahin war strikte Geheimhaltung über diese Zusammenkunft gewahrt worden. Am übernächsten Tag weilte Hartz in Paris, aber die Sache hatte nunmehr aus Sicht der Regierungsspitze zu viel Staub aufgewirbelt – zwei geplante Treffen mit Arbeitsminister Sapin sowie Gesundheitsministerin Marisol Tourraine wurden eilig abgesagt. Die Pariser Abendzeitung Le Monde empfing Hartz allerdings am 30. Januar desselben Jahres in ihrer Redaktion. Ihr gegenüber gab der Mann unter anderem zum Besten: „Einen Minijob zu haben, ist besser, als keinen Job zu haben“ – Hauptsache Arbeit, nicht wahr! -, und er hatte einen Einfall, wie man arbeitssuchenden jungen Leuten zu einer Perspektive verhelfen könne. Wer keine Einstellung findet, soll es einfach wie Erasmus-Studierende mit Mobilität im gesamten EU-Raum probieren. (Wenn sein Rezept Anwendung findet, werden sich also künftig die EU-Staaten einfach ihre Arbeitslosen gegenseitig zuschicken, in der Hoffnung, dass das Problem schon auf dem Wege schon irgendwie eine Lösung findet…)

François Hollande ließ gleichzeitig das Gerücht dementieren, dass Hartz bei ihm mit einem Beratervertrag eingestellt werde. Zugleich machten die Berater des französischen Präsidenten in verschiedenen Presseorganen kein Geheimnis daraus, dass Hollande vom deutschen Modell „fasziniert“ sei, weise es doch Erfolge beim Rückgang der Arbeitslosigkeit und befriedete Sozialbeziehungen auf. Nichtsdestotrotz finden auch heute bei der französischen Arbeitslosenversicherung regressive „Reformen“ statt. Einschnitte durchexerziert werden dabei vor allem bei zwei Gruppen: den intermittents du spectectale, also den „diskontinuierlich Beschäftigten Lohnabhängigen des Kulturbetriebs“, sowie den Zeitarbeiter-inne-n. Die ihnen geschuldeten Leistungen aus der Arbeitslosenkasse werden durch eine paritätische Vereinbarung der „Sozialpartner“ vom 22. März 2014, die dieses Mal durch alle größeren Gewerkschaftszusammenschlüsse mit Ausnahme der CGT (als stärkstem Zusammenschluss) sowie Solidaires (linke Basisgewerkschaften) unterstützt wurde und im Mai desselben Jahres durch die Regierung Gesetzeskraft verliehen bekam, abgebaut.

Die Besonderheit des in 1930er Jahren erstmals geschaffenen Status der intermittents besteht darin, während der, formal betrachtet, beschäftigungslosen Zeiten einen Lebensunterhalt aus der Arbeitslosenkasse erhalten. Dabei täuscht jedoch der Anschein, was die beschäftigungslosen Phasen betrifft. Denn bezahlt wird bei dieser Tänzern, Schauspielerinnen, Sängern oder Zirkuskünstlerinnen in aller Regel nur auf die Zeit des Auftritts. Aber wenn der Musiker nicht am Klavier sitzt oder vor dem Mikrophon steht, sondern Stücke schreibt oder einübt, und wenn die Regisseurin ihr Drehbuch verfasst und monate- oder jahrelange Vorarbeiten für die Drehperiode trifft, wird in aller Regel keine Bezahlung fällig. Der Statuts der intermittents erlaubt die Überbrückung dieser Perioden.Die Regeln für alle Sozialversicherten und ihren Zugang zur Arbeitslosenkasse werden jährlich neu ausgehandelt. Die Besonderheit dabei ist, dass die französische Arbeitslosenkasse UNEDIC – wie andere Zweige der Sozialversicherung – paritätisch durch Gewerkschaften und Kapitalverbände verwaltet wird. Alle beteiligten Verbände, Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter, müssen unterdessen jährlich die neuen Spielregeln für die Auszahlung von Arbeitslosengeldern festlegen. Diese müssen im Nachhinein durch die Regierung bestätigt werden.

Zu Anfang 2014 wollte der stärkste Arbeitgeberverband MEDEF einen dicken Coup landen. Lautstark verkündete er, er wolle nunmehr endgültig diesen „kostspieligen“ Sonderstatus der intermittents restlos abschaffen, und werde darauf in den Verhandlungen drängen. Die viel diskutierte Abschaffung des intermittents-Status blieb dann zwar aus. Dennoch wird es nun erneut einigen prekären Kulturschaffenden wirtschaftlich an den Kragen gehen. So wird eine „Karenzzeit“ eingeführt, also eine neue Warteperiode, während derer die betreffende Person ohne Unterhalt bleibt und von eigenen Ersparnissen leben muss. Deren Dauer rechnet sich nach dem formal für die Auftrittsperiode errechneten Brutto-Tagesverdienst. „Bei einem realen Monatsverdienst von 1.200 Euro wird etwa eine Wartefrist von anderthalb bis zwei Monaten entstehen“, wie die Basisgewerkschaft SUD vorrechnet. Viele Kulturprekäre droht dies auf Dauer zu ruinieren. Hinzu kommt etwa eine Anhebung ihrer Sozialbeitragssätze. Auf abhängig Beschäftigte und Arbeitgeber – das sind in diesem Sektor mitunter kleine Bühnen und Veranstaltungsorte, die oft selbst unterfinanziert sind – verteilt, werden diese von bislang 10,8 auf rund 13 Prozent steigen. Noch härter getroffen werden unterdessen jedoch die LeiharbeiterInnen. Die Letztgenannten drohen künftig zwischen 200 und 400 Euro monatlich an Anspruch zu verlieren. Viele von ihnen dürfte dies die nackte Existenz kosten. Ohnehin nimmt die Zahl der angebotenen Leiharbeitsstellen seit 2011 (trotz kurzfristiger punktueller Zuwäche) global ab, weil diese Beschäftigtengruppe in der Krise als „Puffer“ benutzt wird – um die so genannten Kernbelegschaften etwas länger vor den Auswirkungen ebendieser Krise zu schützen, geht es den Leit- und Zeitarbeiter-inne-n zuerst an die Existenz. So wurden in den letzten vier Jahren insgesamt rund 70.000 Beschäftigungsstellen für LeiharbeiterInnen abgebaut.1

Seit einem Gesetz vom 14. Juni 2013, das wiederum ursprünglich auf einer Vereinbarung zwischen CFDT und Arbeitgeberlager beruht und durch die Regierung pikanter- oder perserverweise „Gesetz zur Beschäftigungssicherung“ getauft wurde, wird aber auch die „betriebsbedingte Kündigung“ von festangestelltem Stammpersonal erleichtert. So wird die gerichtliche Kontrolle von so genannten „Sozialplänen“ ausgehebelt, sofern im Betrieb eine „sozialpartnerschaftliche“ Vereinbarung über dieselben getroffen werden kann, und gerichtliche Anfechtungsfristen wurden erheblich verkürzt.

Quelle:

[1] Vgl. www.lefigaro.fr/emploi/2015/02/03/09005-20150203ARTFIG00003-nouveau-recul-de-l-interim-en-2014-a-cause-du-btp.php

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