Arbeitszwang, hierarchische Strukturen und Druck von allen Seiten sind Symptome der jetzigen Gesellschaftsform und wirken besonders auf diejenigen ein, die lohnabhängig sind oder sich in einem prekären Milieu bewegen oder bewegen müssen. Die Arbeitslosen sind nahezu schutzlos den regelmäßigen Schikanen der Jobcenter ausgesetzt, die Leiharbeitenden haben mit jedem Arbeitsverhältnis nur eine marginale Sicherheit auf Zeit, und wer das Glück hat eine Festanstellung zu bekommen, muss fürchten diese wieder zu verlieren, wenn man nicht spurt, wenn der Chef brüllt.
Einige Menschen schaffen es, sich in die Selbstständigkeit zu flüchten, doch auch wenn sie vielleicht selbstbestimmter sind als in einem Angestelltenverhältnis, sind sie nun ganz neuen Sachzwängen ausgesetzt. Sozialleistungen und vierteljährliche Steuervorauszahlungen sind abzurichten, das Finanzamt sitzt einem ständig im Nacken und zwingt die Selbstständigen zu einem erheblichen Mehraufwand.
Doch wie ist es eigentlich um jene bestellt, die versuchen von Kunst und Kultur zu leben? In der Allgemeinheit haben sich hier viele Klischees in verschiedenen Erklärungsansätzen eingenistet. KünstlerInnen seien per se auch Überlebenskünstler, die von der Hand in den Mund leben oder es sind eben finanziell abgesicherte IndividualistInnen, die sich ihren Lebensstil leisten können. Solche Klischees verallgemeinern nicht nur, sondern vereinfachen auch die Antwort auf kompliziertere Fragen. Da es sich bei den „KünstlerInnen“ nicht um einen festen Berufsstand, wie beispielsweise LehrerInnen, BäckerInnen oder Kfz-MechanikerInnen handelt, ist es deutlich schwerer eine Aussage über Lebensbedingungen, Schichtzugehörigkeit und Sachzwänge zu treffen. Jedoch lässt sich anhand einiger Beispiele erläutern, wie Kunst- und Kulturschaffende es mit einem hohen Maß an ökonomischer Selbstverwaltung schaffen, sich „über Wasser“ zu halten.
Viele (politische) KleinkünstlerInnen in Deutschland haben eine Mischform aus Kunst als gefühltem Hauptberuf und einem konventionellen Nebenberuf entwickelt, um über die Runden zu kommen. Andere wiederum nehmen die Schikanen der Jobcenter in Kauf, weil sie der Auffassung sind, dass sie sich so besser ihrer Passion hingeben können. Alle bedienen sich jedoch gewisser selbstökonomischer Strukturen.
Plattenvertrieb ohne kommerzielles Label
Mittlerweile ist es dank gut vernetzter Strukturen auch geringverdienenden KleinkünstlerInnen möglich, günstig und preiswert Musikträger pressen zu lassen und diese zu verkaufen. So gibt es Presswerke, wie z.B. „Flight 13“ aus Freiburg, die faire Preise bieten, ohne selbst an ausbeuterischen Prozessen beteiligt zu sein. Die KünstlerInnen haben nun die Möglichkeit, ihre CD´s zu ebenfalls fairen Preisen weiterzugeben und trotzdem noch etwas an ihrer Musik zu verdienen. Viele MusikerInnen haben sich selbst ein Netzwerk geschaffen, um ihre CD´s unter die Leute zu bringen. Aufnahme, Produktion und Vertrieb, alles kann in Selbstverwaltung laufen. Über die eigene Homepage oder Internet Mail Order, wie etwa „Black Mosquito“, können Datenträger überregional vertrieben werden. Aber auch offline läuft der Verkauf über Infoläden, Buchläden, Kneipen, Veranstaltungszentren etc. Für diese Art von ökonomischer Selbstverwaltung sind eine gute Vernetzung und ein guter Überblick unabdingbar. Eine weitere Möglichkeit für flächendeckenden Vertrieb ist auch die Vernetzung mit befreundeten Bands und KünstlerInnen, die den Vertrieb mit übernehmen.
Ein Ergebnis einer solchen Vernetzung ist beispielsweise das Berliner Antilabel „ab dafür! records“ aus Berlin. Ursprünglich entstand es aus den Ausläufern einer bundesweiten Vernetzung von politischen StraßenmusikerInnen und KleinkünstlerInnen, der sogenannten „Rotzfrechen Asphaltkultur“ (DA 200: „30 Jahre Asphaltkultur!“ & DA 200: „Rakis ante portas“) und gründete sich als bewusste Abgrenzung zum kommerziellen Mainstream. Die CD´s werden nicht nur zentral über eine Webpräsenz geführt, sondern auch von den einzelnen Musikschaffenden bei ihren Konzerten mit vertrieben. Einziges Ziel ist es, die Musik bekannter zu machen und zahlreiche KünstlerInnen spenden ihre Einnahmen an politische Projekte weiter.
Die Rotzfreche Asphaltkultur selbst wäre ohne ein hohes Maß an ökonomischer Selbstverwaltung kaum denkbar gewesen. In regelmäßigen Abständen werden seit den 70er Jahren viele kleinere und größere Konzerte und Festivals (sogenannte Galaabende) organisiert, an denen oft über 40 verschiedene Bands und KünstlerInnen auftreten. Diese bilden meist den Abschluss eines informellen Vernetzungs- und Arbeitstreffens und werden von allen Künstlerinnen gleichermaßen getragen. Durch diese gemeinschaftliche Organisation bleiben die Kosten für KünstlerInnen und Publikum gering. Der Eintrittspreis kann deshalb auch meistens nach eigenem Ermessen von den Zuschauern selbst festgelegt werden.
Während die Allgemeinheit von den Konzerten profitiert, profitieren die Künstlerinnen von den vorhergehenden Vernetzungstreffen. CD´s werden ausgetauscht und weitere Konzerte geplant. Es entsteht eine Art KünstlerInnenbörse, man vermittelt und supportet sich gegenseitig, organisiert und plant gemeinsame Konzerte. Außerdem lernt man die Überlebensstrategien gleichgesinnter Menschen kennen, in einer kapitalistisch geprägten Welt als KünstlerInnen überleben zu können, ohne ausbeuterisch zu sein oder sich selbst ausbeuten zu lassen.
Aber auch außerhalb der Rotzfrechen Asphaltkultur ist gerade im jugendkulturellen Spektrum eine Kultur der Selbstverwaltung erkennbar. Zahlreiche Konzert- und Veranstaltungsgruppen in Jugend- und Kommunikationszentren tragen dazu bei, dass KleinkünstlerInnen nicht am Hungertuch nagen müssen, indem sie regelmäßig Konzerte organisieren und gemeinschaftlich mit anderen Zentren in Deutschland in Verbindung treten und so ganze Touren auch für internationale Acts ermöglichen. Auch wenn die hier zur Erwähnung gekommenen Beispiele nur schattenhaft angekratzt wurden, verdeutlichen sie doch, dass ökonomische Selbstverwaltung gerade in der Kleinkunst gelebte Praxis ist.