Wenn der Chef verdampft

Bildunterschrift: Protest bei Hessnatur. (Quelle: Attac)

Die Kampagne „Betriebe in Belegschaftshand“ wurde 2007 im Umfeld von Attac gegründet, nahm aber erst 2010 ihre heutige Gestalt an. Sie zielt darauf ab, die rechtlichen Rahmenbedingungen für kollektive Betriebsübernahmen zu verbessern und Selbstverwaltungsprozesse zu unterstützen. Neben der „Initiative Solidarische Ökonomie“ und dem Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften (ZdK) wird die Kampagne u.a. von der Innova eG getragen, die bundesweit genossenschaftliche Neugründungen beratend unterstützt. Die DA sprach mit Hans-Gerd Nottenbohm von Innova.

 

Das Bio-Textilhandelshaus Hessnatur gilt als Leuchtturm eurer Kampagne. Wie entwickelte sich das?

Im Dezember 2010 erfuhren wir, dass Hessnatur an den Rüstungsinvestor Carlyle verkauft werden sollte – das wollte die gut 300köpfige Belegschaft nicht. Bis zum Sommer konnten wir eine Genossenschaft gründen, die in der Lage gewesen wäre, den Betrieb zu kaufen. Zugleich mobilisierten wir die Kunden: Tausende versicherten, sie wären zum Boykott bereit. Der Eigentümer setzte dann den Verkaufsprozess im Spätsommer aus, an die Genossenschaft wollte er nicht verkaufen. Seitdem hat sich nicht viel getan. Da der geplante Verkauf kein Notverkauf ist, ist kein Druck dahinter, damit das schnell über die Bühne geht. Das kann dauern. Wir versuchen nun, die Genossen und Partner bei Laune zu halten, so dass die Genossenschaft stabil bleibt.

Gibt es noch andere Betriebe, die die Kampagne unterstützt?

Im letzten Jahr hatten wir zwei andere Betriebe. Beide waren kleinere Unternehmen mit 14 bzw. 20 Beschäftigten. In der Größenordnung ist das zwar leichter zu handhaben, in beiden Fällen ist es dennoch gescheitert. Bei dem einen war es so, dass die Firma so verschuldet war, dass man nichts mehr machen konnte – es kam zur Insolvenz. Im zweiten Fall hat sich der Eigentümer entschlossen, die Mitarbeiter zu beteiligen, und es wurde zwar keine Genossenschaft, aber eine GmbH gegründet.

Welche Rechtsformen sind für Betriebsfortführungen möglich?

Der häufigste Fall ist die GmbH-Lösung, manchmal auch mit Kommanditisten, einer Schachtelkonstruktion. Dann ist es ein kleiner Personenkreis, der langfristig zusammenarbeiten will. Kompliziert wird es bei einem größeren Kreis, wenn also damit zu rechnen ist, dass Leute aus- und neue einsteigen. Es gibt auch Aktiengesellschaften, das ist wohl die zweitbeliebteste Art, einen Betrieb fortzuführen. Eine AG kann sich am Kapitalmarkt Geld besorgen, und bei größeren Unternehmungen ist das zwingend notwendig. Aber ich meine, mit Hessnatur haben wir bewiesen, dass wir auch als Genossenschaft das Geld aufbringen können.

Der Vorteil des Genossenschaftsansatzes besteht auch in der Möglichkeit einer kostenlosen betriebswirtschaftlichen Prüfung durch den Verband, oder?

Das machen Genossenschaftsverbände i.d.R. nicht kostenlos. Wenn man eine Genossenschaft gründen will, muss man sich einen der 36 Prüfungsverbände in der BRD aussuchen, und den beauftragt man, ein Gutachten zu erstellen. Die Kosten dafür hängen von der Größe der zu gründenden Genossenschaft ab. Wenn im Fall von Hessnatur das Gutachten hätte bezahlt werden müssen, hätte das bis zu 30.000 Euro kosten können. Dieses wurde jedoch vom ZdK gesponsert. Besonders bei kleineren Genossenschaftsgründungen sagen die Verbände oftmals: Okay, ihr braucht für das Gutachten nichts zu bezahlen.

Wenn mein Chef in Ruhestand geht, kein Nachfolger da ist und meine 20 KollegInnen dem Kollektivgedanken aufgeschlossen sind. Welche konkreten Hilfestellungen könnt ihr bieten?

Da sind wir zunächst behilflich, die finanziellen Grundlagen des Betriebs auseinanderzudröseln, um sagen zu können, ob es machbar ist oder ob sie sich da in etwas reinreiten. Dann ist zu gucken, ob die Leute das überhaupt wollen. Manchmal sind es nur Einzelne, die das fortführen wollen, und das Gros der Belegschaft will gar nicht mitziehen. Drittens gilt es natürlich, die Leute zu schulen, um ihnen die Fähigkeiten mit auf den Weg zu geben, die sie brauchen. In den meisten Fällen sind das ein, zwei Monate intensiver Arbeit.

Welche Probleme können sich bei der Betriebsübernahme noch ergeben?

Wenn es sich um größere Betriebe handelt, ist natürlich die Finanzierung ein gravierendes Problem, weil relativ große Geldbeträge aufgebracht werden müssen. Das muss der Betrieb nachher auch hergeben, das muss entsprechend gründlich überprüft werden. Ansonsten ist es sehr wichtig, dass keine versteckten betriebswirtschaftlichen Schwierigkeiten bestehen, z.B. eine unterlassene Renovierung oder ein zu alter oder unvollständiger Maschinenbestand, Tücken also, die es unmöglich machen, den Betrieb weiterzuführen.

Sind selbstorganisierte Betriebe ein Ausweg für Erwerbslose? 2005 berichtete die Innova von solchen Genossenschaftsgründungen. Gibt es die noch?

Es gibt einige Betriebe, die noch immer von ehemals Arbeitslosen geführt werden. Allerdings ist dieser Prozess nicht einfach, weil die gesetzlichen Regelungen, die mit der Arbeitsmarktpolitik zu tun haben, Genossenschaftsgründungen schlichtweg nicht vorsehen. Es gibt den Gründerzuschuss für Arbeitslose, die sich selbstständig machen, aber in den letzten zehn Jahren gab es den nie für Genossenschaften – ein erheblicher Nachteil. Daneben gibt es andere ungünstige Detailbestimmungen in den Sozialgesetzbüchern. In vielen anderen europäischen Ländern wird da mehr Rücksicht auf den produktivgenossenschaftlichen Ansatz genommen, z.B. Frankreich, Spanien, Großbritannien, Schweden.

Wenn Sie auf die letzten 30 Jahre zurückblicken, was gab es da für Betriebsübernahmen und Entwicklungen?

Mitte der 1980er gab es eine relativ große Welle von Versuchen, auch größere Betriebe fortzuführen. In dieser Zeit ist viel experimentiert worden, mit sehr unterschiedlichen Lösungen. Die Namen, die dafür stehen, sagen heute niemandem mehr etwas: z.B. Olympia Lehr, AN Maschinenbau, Duisburger Kupferhütte. Von diesen Betrieben, die Mitte der 80er fortgeführt worden sind, gibt es heute nur noch ganz wenige, weil der Markt andauernd Betriebe verschwinden und neue aufkommen lässt.

Sie folgern daraus nicht, der Ansatz der Betriebsübernahme sei gescheitert?

Nein. Denn andere Unternehmungen, die es Mitte der 80er gab, gibt es heute auch nicht mehr. Das ist Teil einer gesamtökonomischen Entwicklung, die ein einzelnes Unternehmen gar nicht so beeinflussen kann. Ziemlich ruhig war es, was Betriebsfortführungen angeht, in den 90ern. Seit fünf Jahren gewinnt diese Thematik aber wieder an Bedeutung. Man könnte mutmaßen, dass der Druck etwas größer geworden ist und die Leute in diese Idee wieder Hoffnungen stecken.

Auf einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung hieß es 2011, dass Gewerkschaften Betriebsübernahmen eher reserviert gegenüberstünden. Wie wird die Kampagne dort aufgenommen?

Das ist ein großer Apparat. Die Meinung der DGB-Gewerkschaften gibt es nicht. Es gibt viele, die so etwas als unterstützenswert ansehen, und es gibt viele, die Vorurteile mit sich herumtragen, die eher theoretischer Natur sind, etwa, dass die Leute nicht gegen sich selber streiken können oder dass Tarifverträge unterlaufen würden. Erfreulicherweise nimmt die Bereitschaft von Gewerkschaftsfunktionären zu, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Was es aber nicht gibt, sind offizielle Beschlüsse. Die hat es mal gegeben, aber die halten auch nicht ewig und spielen deswegen in der heutigen Debatte kaum eine Rolle. Aus dieser Beschlusslage der IG Metall Ende der 80er kommt im Übrigen auch diese Schimäre mit dem doppelten Risiko, dass der Arbeitnehmer in einer Genossenschaft sowohl ein Kapitalrisiko als auch ein Beschäftigungsrisiko zu tragen hätte – und das sei ihm nicht zuzumuten.

Können Sie sich eine komplett selbstorganisierte Wirtschaft vorstellen?

Eine Wirtschaft kann nicht sich selber überlassen sein, es bedarf schon staatlicher Rahmenbedingungen, in die sich das Wirtschaften von einzelnen Betrieben einzubinden hat. Vieles kann man natürlich durch freiwillige Kooperationsabkommen regeln – da muss nicht immer der Staat Pate stehen. Trotz der relativ hohen Beteiligung der Mitarbeiter ist der genossenschaftliche erst einmal ein einzelbetrieblicher Ansatz, und der ist nicht geschützt vor betriebsegoistischem Verhalten.

Danke für das Gespräch!

 

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