Arbeiter, Arbeitereliten und das Problem der Arbeit

Historisches CNT-Plakat: „Arbeite und kämpfe für die Revolution“. Für Seidman besteht „das größte Problem vielleicht nicht darin … die Bourgeoisie zu stürzen, sondern darin, die Lohnabhängigen dazu zu bringen, für die Sache zu arbeiten“ (aus dem Redemanuskript der Vortragsreise Seidmans im Oktober 2011).

Im Verlag Graswurzelrevolution ist – gerade noch rechtzeitig zum 75. Jahrestag der Ereignisse – ein Buch erschienen, das die beiden wohl wichtigsten Klassenkämpfe Europas der 1930er Jahre zum Thema hat: die spanische Revolution (1936-39) und die Welle der Fabrikbesetzungen in Frankreich (1936-1938), die beide in Volksfrontregierungen der Linken mündeten. Der Autor, der US-amerikanische Historiker Michael Seidman, untersuchte das Verhalten der ArbeiterInnen in den kollektivierten Fabriken bzw. den Betriebsbesetzungen und ihre Reaktionen auf die veränderten Machtverhältnisse am Arbeitsplatz. Er kommt, das sei vorausgeschickt, zu einem ernüchternden Ergebnis: letztlich seien sowohl die spanische Revolution als auch die Volksfront in Frankreich am anhaltenden Widerstand der ArbeiterInnen gegen die Arbeit gescheitert.

Der Produktivismus der Arbeitereliten

In Barcelona sah sich die anarchosyndikalistische CNT unmittelbar nach der Revolution in eine Rolle gezwungen, die sie zuvor energisch bekämpft hatte. Beim Versuch, die kollektivierten Fabriken wieder in Gang zu bekommen und für die Erfordernisse des Krieges zu reorganisieren, warf sie so manches Prinzip über Bord. Führende Vertreter revidierten ihre kritische Einstellung gegenüber der kapitalistischen Produktionsmaschinerie und wandelten sich zu Verfechtern einer teilweise recht kruden Arbeitsideologie. So zum Beispiel Diego Abad de Santillán, einer der herausragenden anarchosyndikalistischen Theoretiker und 1936/37 katalanischer Wirtschaftsminister, der noch 1931 vertrat, dass der „moderne Industrialismus nach dem Muster von Ford […] reiner Faschismus“ und wie dessen staatliches Pendant zu bekämpfen sei. Nur wenig später pries er denselben für seine produktivitätssteigernden Potentiale. Er plädierte nun dafür, die „technische Organisation der kapitalistischen Gesellschaft“ zu übernehmen, da sich durch die Vergesellschaftung „das Wesen der Produktion oder die Produktionsmethode nicht“ ändere. Er vertrat ein geradezu protestantisches Ethos, getreu der Maxime „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ und hoffte, dass der Widerstand der ArbeiterInnen gegen die Arbeit nur vorübergehender Natur sei. [81ff.]

In den kollektivierten Betrieben wurden zunächst von der Belegschaft gewählte Räte installiert, die ein weitgehend demokratisches System der Arbeiterkontrolle einführten. Vielerorts wurden Arbeitszeiten gekürzt, Löhne erhöht und Arbeitslose eingestellt. Die Produktivität ließ merklich nach – und die Gewerkschaftsführungen suchten dem schon bald entgegenzusteuern. Sie appellierten an die ArbeiterInnen, ihre Leistungen zu erhöhen und drohten den „faulen Parasiten“. Schon bald entwickelte sich eine „neue Elite der Gewerkschaftsaktivisten“, die „alte und neue Zwangsmethoden [nutzte], um die Arbeiter zu härterer Arbeit und gesteigerter Produktion zu bewegen.“ [154] Sie pries die Gewerkschaftsföderation als „die Form schlechthin, die ein Maximum an Effizienz und Arbeitsleistung von ihren Mitgliedern abschöpfen“ könne. [251–252] Die in der Folge der Revolution eingeführte 40-Stunden-Woche wurde als „konterrevolutionär“ [148] bekämpft, die gerade abgeschaffte Akkordarbeit wieder eingeführt und von einigen CNT-Vertretern gar der sowjetische Stachanowismus [1] als Methode zur Produktionssteigerung propagiert. [155]

Damit unterschied sich die Rolle der CNT in dieser Hinsicht kaum mehr von der der Bolschewiki in Russland. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft wurde de facto obligatorisch, Gewerkschaftsversammlungen wurden zu Propagandaveranstaltungen zur Erhöhung der Arbeitsdisziplin. Der Versammlungsbesuch und die Bereitschaft, Beiträge abzuführen, war entsprechend mäßig. [152] Ende 1936 wurden unter der Ägide des CNT-Justizministers Juan García Oliver sogar Arbeitslager (campos de trabajo) für die „Feinde des Volkes“ eingerichtet. [158–161] Offensichtlich hatten diese Methoden kaum Erfolg.

Die bürgerlichen Wurzeln des „Arbeitsplatzutopismus“

Soweit Seidmans Darstellung der Situation in Barcelona.[2] Zu welchem Fazit kommt der Autor? Er nimmt für sich – im Gegensatz zu seinen Historiker-KollegInnen – in Anspruch, den Blickwinkel der einfachen ArbeiterInnen einzunehmen. Er sieht, dass diese in ihrer Mehrheit auch den neuen Regimes von Anfang an skeptisch gegenüberstanden und sehr schnell in einen Widerspruch zu den Arbeiteraktivisten, den Gewerkschafts- und Parteifunktionären, gleich welcher Couleur, gerieten. Die meisten Chronisten der spanischen Revolution hätten, so Seidman, immer nur die politisch-ideologischen Auseinandersetzungen in der spanischen Republik ins Zentrum der Betrachtung gestellt und „das zentrale Problem […], nämlich die Scheidung zwischen Aktivisten einerseits […] und Arbeitern andererseits“ vernachlässigt. [257]

Seidman sieht zwar die politischen Differenzen etwa zwischen AnarchistInnen und KommunistInnen/SozialistInnen, unterstellt ihnen aber allen eine Ideologie der Arbeit(sverherrlichung). Dieser „Produktivismus“ resultiere aus einem in der bürgerlichen Aufklärung wurzelnden „Arbeitsplatz-Utopismus“. Die ArbeiterInnen sollten, nachdem sie die Produktionsmittel übernommen hatten, das Werk der Bourgeoisie, die Modernisierung der Wirtschaft, weiter vorantreiben und eine auf der Arbeit als „größte[r] Quelle des Stolzes der befreiten Arbeiter“ beruhende Gesellschaft errichten. [141] Damit gerieten sie von Anfang an in einen unauflösbaren Konflikt mit den ArbeiterInnen, in deren „Utopie“ der Arbeit kein Stellenwert eingeräumt wurde. [39–40]

Letztlich waren die Funktionäre der Arbeiterorganisationen gezwungen, sich der Hilfe des Staates zu bedienen, um die ArbeiterInnen zum Arbeiten zu bringen, woran schließlich sowohl die Revolution, als auch die Volksfrontregierung in Spanien gescheitert sei: „Die vielleicht grundlegendsten und schwierigsten Probleme der Volksfronten erwuchsen ihnen nicht im Lager ihrer erklärten Feinde, sondern unter jenen, die sie angeblich vertraten.“ [391] Seidman folgert daraus, dass eine Emanzipation der ArbeiterInnen nur auf Grundlage einer hochgradig automatisierten Wirtschaft zu haben ist – in einer Gesellschaft, in der die Arbeit nur noch einen sehr geringen Teil der Lebenszeit der Menschen in Anspruch nimmt. Alle anderen Versuche müssen daran scheitern, da sie allesamt ohne den Staat als Mittel zur Durchsetzung des Arbeitszwanges nicht auskommen können.

Syndikalistische Arbeitsauffassungen

Im Jahre 1936 hatte die Linke jedoch andere Probleme, die eine solche Perspektive als Luxus erscheinen lassen mussten. Die führenden Vertreter der spanischen Republik – und mit ihnen die AnarchosyndikalistInnen – waren angesichts des Bürgerkrieges dazu gezwungen, maximale Produktionsleistungen aus den Fabriken herauszuholen – sie konnte bei Strafe ihres Unterganges gar nicht anders handeln. Das zweifelt Seidman auch nicht an, allerdings legt er anhand zahlreicher Beispiele dar, dass die dazu notwendige Begleitmusik bereits von vornherein in den Ideologien sämtlicher Arbeiterorganisationen angelegt gewesen sei. Das ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen, dennoch gab es gerade im Anarchosyndikalismus ein durchaus gespaltenes Verhältnis zur kapitalistischen Produktion. Einig war man sich, dass die ArbeiterInnen bereits im Kapitalismus sich vorbereiten müssten, um später einmal die Produktion auch in Eigenregie weiterführen zu können. Inwieweit dabei die Produktionsmaschinerie unangetastet bleiben soll, darüber gab es unterschiedliche Auffassungen.

Anders als SozialdemokratInnen oder KommunistInnen sahen die meisten der Theoretiker des Anarchosyndikalismus im monopolisierten Kapitalismus mit seinen tayloristischen Produktionsmethoden keine Vorstufe auf dem Weg zum Sozialismus. Im Gegenteil, es gibt zahlreiche Belege in der einschlägigen Literatur für ein deutlich kritisches Verhältnis zur „modernen“ Industrie und zur kapitalistischen Rationalisierung. So wies der deutsche Sozialhistoriker Werner Sombart bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts darauf hin, dass die syndikalistischen Theoretiker „in die Schäden unserer Kultur zweifellos tiefer hineinleuchten als irgendeine andere sozialistische Doktrin. Wo insbesondere die Altmarxisten Lösungen oder – gar nichts sehen, sieht der Syndikalismus erst Probleme: So wenn er […] die Kulturwidrigkeit und Menschenunwürdigkeit unseres auf Differenzierung und Integrierung der einzelnen Arbeitsleistungen aufgebauten Systems der Arbeit hervorhebt.“ Er belegt das mit etlichen Zitaten zeitgenössischer Syndikalisten, die schon vor der Taylorisierung auf die schädlichen Wirkungen des Fabriksystems mit seiner „geisttötenden Arbeitsteilung“ hinwiesen und dieses „durch die wieder durchgeistigte Vollarbeit des individuellen Produzenten“ ersetzen wollten.[3] Sie bezogen sich dabei nicht zuletzt auf Kropotkin, der in der zunehmenden Arbeitsteilung ein Hindernis für die Entfaltung der Produktivität des Menschen und in der „Vielseitigkeit […] die beste Gewähr für eine hohe Entwicklung der Produktion“[4] sah, genauso, wie ihm die „stete Verfeinerung der Maschine und der technischen Hilfsmittel“ das beste Mittel zu „einer Dezentralisation der Industrien“ sein sollte.[5]

Der deutsche Syndikalist Karl Roche betrachtete die Lohnarbeit als die Quelle der Arbeitsunlust der Arbeiter, was ihn die „Faulheit als politisches Kampfmittel“ propagieren ließ. Nur auf Basis der „Übergabe der Arbeitsmittel an die Arbeiter“ und der Beseitigung der „kapitalistischen Fundamente der Produktion“ lasse sich der Sozialismus errichten, in dem „der Selbstzweck des Lebens“ in der „Lebensfreude“ bestehen werde und „Arbeit und Leben […] ineinander aufgehen“.[6] Das Leben werde schließlich in erfüllter Arbeit, „abgelöst vom sinnenumrauschten Müßiggang“ bestehen.[7] Auch Rudolf Rocker vertrat ähnliche Auffassungen. Er machte den Taylorismus für die „vollständige Degeneration der produzierenden Klassen“ verantwortlich.[8] Für ihn stand nicht die Arbeitszeitverkürzung im Mittelpunkt der Umgestaltung einer sozialistischen Ökonomie, sondern die Umgestaltung der Arbeit dahingehend, „dass der Mensch wieder Freude an seinem Werk empfindet und seine Arbeit nicht bloß als gesellschaftliche Notwendigkeit, sondern in erster Linie wieder als einen Ausfluss schöpferischer Betätigung auffassen lernt.“[9]

Soziale Revolution ohne ArbeiterInnen?

Dass die SyndikalistInnen angesichts der Bürgerkriegssituation gar nicht die Chance hatten, diese Umgestaltung in der Realität umzusetzen, kann man ihnen kaum zum Vorwurf machen. Insofern ist es müßig, für das Scheitern der spanischen Revolution die fehlende Arbeitsbereitschaft der ArbeiterInnen verantwortlich zu machen. Nichtsdestotrotz bleibt es ein Verdienst des Buches, den Blick für den hartnäckigen Widerstand der ArbeiterInnen gegen die Arbeit freigelegt zu haben. Fragwürdig wird Seidmans Darstellung, wenn er Anarchosyndikalisten, Kommunisten, Sozialisten und Nationalkatalonier umstandslos in einen Topf wirft und ihnen pauschal einen „Arbeitsplatzutopismus“ vorwirft.

Dass es zwischen demselben (verstanden als einem auf der Großindustrie basierendem Sozialismus) und der Alternative einer „kybernetischen Utopie“ eine auf dem anarchosyndikalistischen Konzept „anziehender Arbeit“ basierende Alternative geben könnte, hat Seidman nicht erwogen. Karl Heinz Roth und Marcel van der Linden, die das Vorwort zur deutschen Ausgabe beisteuerten, kommen hingegen zu dem Schluss, dass eine kommunistische Ökonomie, die eben nicht auf „Arbeitsproduktivität als Grundnorm der politischen Ökonomie“ basieren kann, nur „nur dann eine Chance [hat], wenn sie global in Gang kommt und weltweit koordiniert ist.“ Andernfalls sei man gezwungen, sich den „arbeiterfeindlichen Produktivitätsnormen“ der umgebenden kapitalistischen Welt anpassen zu müssen, was die Abschaffung des Staates unmöglich mache. [13–14]

Wo das endet, hat man am Beispiel der „zweiten Welt“ sehr gut beobachten können. Insofern bleibt uns nur, den Ausweg in einer Utopie zu suchen, in der die Arbeit ihres entfremdeten Charakters entkleidet ist und diese einer schöpferischen Tätigkeit gewichen ist, in der die anstrengendsten und schädlichsten Elemente automatisiert und viele andere Sachen durchaus auch wieder in „unproduktivem“ Handwerk entstehen werden – etwa weil die Menschen sich darin verwirklichen können.

Anmerkungen

[1] „Stachanow-Bewegung“: in der Sowjetunion ab 1935 eine Kampagne zur Steigerung der Arbeitsproduktivität.

[2] Auf die Verhältnisse in Frankreich kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht eingegangen werden. Eine Langfassung des Artikels ist unter www.geschichtevonunten.de/01_sek-lit/theorie/unruh-rez_seidman.pdf abrufbar.

[3] Sombart, Werner: Sozialismus und soziale Bewegung, Jena 1908, S. 129.

[4] Kropotkin, Peter: Die Eroberung des Brotes, Grafenau 1999, S. 153.

[5] Rocker, Rudolf: Peter Kropotkin und das Problem der Arbeit. Unveröffentlichtes Manuskript, 1931, S. 6. Als Datei abrufbar unter: www.sac.se/en/content/download/32111/239890/file/Rocker%20manus%201931.pdf

[6] Roche, Karl: Arbeit und Faulheit, in: Der Syndikalist, Nr. 9/1919.

[7] Roche, Karl: Faulheit als politisches Kampfmittel, in: Der Syndikalist, Nr. 30/1919.

[8] Rocker, Rudolf: Die Rationalisierung der Wirtschaft und die Arbeiterklasse, Frankfurt/Main 1980, S. 48.

[9] Rocker, S. 46.

 

Buchcover: „Gegen die Arbeit“

Das Buch

Seidman, Michael: Gegen die Arbeit. Über die Arbeiterkämpfe in
Barcelona und Paris 1936-1938, Heidelberg 2011. 477 Seiten, 24,90 Euro.
Die Zahlen in eckigen Klammern beziehen sich auf das Buch.

Der Autor

Dr. Michael Seidman ist Historiker an der University of North Carolina in Wilmington, USA. Er lebte Ende der Siebzigerjahre in Paris und promovierte 1982 in Amsterdam über das Thema dieses Buches.

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