Ein Buch im Mainstream gegen den Mainstream

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Hanna ist 24 und „Vollzeit-Aktivistin“. Sich selbst in eine Schublade stecken mag sie eigentlich nicht, liebäugelt aber auch mal mit dem Begriff „Anarchistin“. Nun hat sie ein Buch geschrieben – für den Rotbuch-Verlag – in diesem erzählt sie Anekdoten von Aktionen, beschreibt Teile ihres Alltags und gibt allgemeine politische Statements ab.

Don’t judge a book by its cover!

Die Aufmachung und der Mainstream-Verlag im Hintergrund sorgen bei mir erst einmal für Bedenken: Da ist also dieses Buchcover mit gleich zwei Fotos der Autorin, welches – ganz für den modernen Buchhandel – poppig und rebellisch wirken soll. Dazu kommt dann noch eine fette Werbekampagne und einige Interviews in Mainstream-Medien. Wirkt schon irgendwie dubios. Und riecht nach Ausverkauf.

Allerdings schafft es Hanna in Interviews – trotz der einfallslosen und politisch-harmlosen Fragen – und eben in ihrem Buch, immer wieder herrschaftskritische und libertäre Positionen unterzubringen und zu vermitteln. So schreibt sie in einem Kapitel über die „Abschaffung aller Gefängnisse“ (S.151) und stellt immer wieder Staat, Polizei und Kapitalismus in Frage. „Ich finde Zwangsapparate wie den Staat überflüssig und würde staatlich bezahlte kriminelle Vereinigungen wie die Polizei lieber heute als morgen abgeschafft wissen“ (S. 82) – gerade solche Passagen machen dieses Buch immer wieder sympathisch und geben ein besseres Verständnis für die beschriebenen Aktionsformen. Diese machen auch den Großteil des Buches aus: es geht um Blockaden, Kletteraktionen, Kreide-Malereien und viele andere Direkte Aktionen. Die Geschichten dazu sind von inspirierend bis spannend – und immer unterhaltsam geschrieben.

Ein Buch, mit dem sich streiten lässt

Eine Stelle ist mir dennoch unangenehm hängen geblieben – und zwar in dem, von Hanna als fruchtbare Diskussion angeführten, Mail-Wechsel mit Gerd von der „Deutschen Umwelthilfe“. Dieser behauptet tatsächlich, dass es für eine erfolgreiche Bewegung wichtig ist, dass es Aktivist_innen gibt und „andere, die überzeugt sind, sie [Politik] auch in den Institutionen betreiben zu müssen, auch zur Erlangung von Machtpositionen“ (S. 61). Gähn.

Mein Statement: So ein Quatsch sollte doch schon seit Proudhons Parlamentarismus-Experiment von 1848 als gescheitert angesehen werden! Spätestens jedoch die 68er haben deutlich gezeigt, wie sehr so eine Position zum Scheitern verurteilt ist. Parlamentarismus, Machtpositionen, die „offizielle Politik“ sind und bleiben nicht-revolutionierbar – ein sich Einlassen auf eben diese Institutionen und Mittel sorgt immer für Verharmlosung der Proteste, tötet jede Bewegung.

Diese Position wird zwar nicht von Hanna selbst vertreten, bleibt aber unkommentiert stehen.

Aber gerade das ist eine Stärke der Positionen von Hanna – eine Diskussions- und Streitbereitschaft, auch und gerade über Grundsatzfragen. Genau dieses offene Herangehen an Diskussionen und die Bereitschaft, sich solidarisch über bestimmte Positionen zu streiten, fehlt mir in der „deutschen Linken“. Eine Diskussionskultur, „die es möglich macht, sich auch kritisches Feedback zu geben“ (S. 71).

 

Insgesamt hat Hanna hier ein unterhaltsames und kurzweiliges Buch geschrieben – neben den lustigen Anekdoten gibt es immer mal wieder Denkanstöße, auch für erfahrene AktivistInnen. Gerade als Geschenk für den Schulkollegen oder die kleine Schwester sehr geeignet – denn die vertretenen Positionen sind verständlich und nachvollziehbar dargestellt und kommen ohne Szene-Sprech aus.

Nils Breiheiser

Kurzinfo:

Hanna Poddig
Radikal Mutig. Meine Anleitung zum Anderssein
Rotbuch Verlag
Taschenbuch, 221 S.
ISBN 978-3-86789-0850-4

Hanna (24) ist „Vollzeit-Aktivistin“ und seit einigen Jahren in den verschiedenen sozialen Bewegungen aktiv. Ihre Themenschwerpunkte umfassen dabei: Militarismus, Gentechnologie, Atomkraft, „Umwelt-Themen“, Kapitalismus-Kritik u.v.m.
In ihrem Buch erzählt sie von verschiedenen Direkten Aktionen, von ihrem Alltagsleben und gibt einen Einblick in ihre Gedanken.

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