Verboten kämpferisch!

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Bereits in der letzten Ausgabe der Direkten Aktion berichteten wir über die dramatischen Entwicklungen im Konflikt zwischen Berliner SyndikalistInnen und dem Kino Babylon Mitte. Der Geschäftsleitung des Berliner Lichtspielhauses scheint die gerichtlich verfügte Aufhebung des Boykotts und die Intervention der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di jedoch keineswegs zu genügen. Nachdem die FAU Berlin und ihre Betriebsgruppe angekündigt hatten, ungeachtet aller neuerlichen Entwicklungen nicht zurückzuweichen und weiterhin im Betrieb präsent und aktiv zu bleiben, erwirkte die Geschäftsleitung des Kinos erneut eine Einstweilige Verfügung, die es der FAU Berlin nun bis auf weiteres untersagt, sich selbst Gewerkschaft oder Basisgewerkschaft zu nennen. Direkt davon betroffen sind erstmals auch die Berliner FAU-Mitglieder, die nicht im „Babylon“ arbeiten.

High noon und danach

Nach der überraschenden Intervention ver.dis in dem Konflikt im September 2009, begannen die Dinge sich zu überschlagen. Während die Linkspartei, ihres Zeichens Regierungspartei im Berliner Senat, von ihrer Position der Nicht-Einmischung in den Tarifstreit dazu umgeschwenkt hatte, sich zu rühmen, ver.di hätte sich auf ihre Intervention hin des Konfliktes angenommen; bemühte sich ver.di-Verhandlungsführer Andreas Köhn nach der Bundestagswahl zurückzurudern und legitimierte die Intervention als Reaktion auf die Bitte eines unbekannten ver.di-Mitglieds im Betrieb – Köhn stritt jede Verbindung zur Linkspartei ab. Eins und eins macht drei, wird denn auch die Argumentationslinie all derer sein müssen, die diesen Vorgang als sauber darstellen wollen.

Dies gilt umso mehr, als dass die Einstweilige Verfügung gegen den Boykott der FAU Berlin – welch Zufall – genau in diesen Zeitraum fiel. Zuvor hatten sowohl die Herren Grossman und Hackel als auch ver.di die bittere Pille eines einstimmigen Beschlusses der Babylon-Belegschaft schlucken müssen: Damit hatten die KollegInnen ver.di und FAU Berlin zu gemeinsamen Verhandlungen aufgefordert. So kam dem Establishment eine erste Einstweilige Verfügung mehr als gelegen, die den Berliner Syndikalisten im Oktober Arbeitskampfmaßnahmen untersagte und die Tariffähigkeit der FAU Berlin in Zweifel zog – von nun an glaubte man in den Chef-Etagen, sich der lästigen FAU entledigen zu können. Und so wurden die Verhandlungen für den Haustarifvertrag, der dank der Aktivitäten der Belegschaft und der FAU Berlin unausweichlich geworden war, in trauter Zweisamkeit geführt. Die FAU Berlin distanzierte sich folglich von den Verhandlungen, deren Verlauf auch für die Belegschaft nicht transparent war.

Das Ergebnis fällt dementsprechend aus: Der Berliner Senat bewilligte zur „Befriedung“ des Standortes – wie es aus Senatskreisen hieß – zusätzliche 30.000 Euro jährlich an Fördermitteln, zweckgebunden für Lohnerhöhungen im Kino. Und es gibt mittlerweile einen Haustarifvertrag zwischen ver.di und der Neuen Babylon Berlin GmbH.

Dieser Haustarif ist zwar an den zwischen ver.di und Kinoverband HDF abgeschlossenen Flächentarif angelehnt, lehnt aber dank zahlreicher Sonderregelungen faktisch so schief, dass man geneigt ist, eher von Umfallen als von Anlehnen zu sprechen. All das aus „Rücksicht auf die besondere Situation des Traditionshauses“, wie ver.di bereits in der ersten Pressemitteilung offiziell verlauten ließ.

Nun, dass die Situation eines mit mittlerweile 350.000 Euro pro Jahr öffentlich subventionierten Kinos eine besondere ist, steht außer Frage. Warum jedoch diese Fördermittel Grund dafür sind, nicht etwa mehr, sondern weniger als die nicht-geförderten Kinos zu zahlen, vermag indes weder ver.di noch die Geschäftsleitung des Babylon Mitte zu erklären. Als ob all diese Geschenke noch nicht genügen würden, enthält der Tarifvertrag sicherheitshalber noch die Zusatzbestimmung, dass er im Falle der Kürzung von Subventionen mit sofortiger Wirkung die Gültigkeit verliert. „Einem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul“, hat man sich bei ver.di da wohl gedacht. Indes fällt nun dem Betriebsrat des Kinos die undankbare Aufgabe zu, dem Ross mittels Betriebsvereinbarungen das Gebiss zu richten.

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Wer nun denkt, damit sei die Talsohle des Konfliktes bereits erreicht, der irrt. „Nicht kleckern, sondern klotzen!“ scheint, nach dem ersten Erfolg vor Gericht, der Wahlspruch der Babylon-Geschäftsführer gewesen zu sein. Nachdem die FAU Berlin und deren Betriebsgruppe im Kino weiterhin renitent blieben und auf die weiterhin bestehenden Missstände im Betrieb hinwiesen, legte die Geschäftsführung direkt nach: Sie stellte Ende November einen Antrag auf Erlass einer weiteren Einstweiligen Verfügung, die es der Berliner FAU nun sogar untersagen sollte, sich selbst als Gewerkschaft bzw. Basisgewerkschaft zu bezeichnen.

„Unmöglich!“, mag der geneigte Leser nun denken. „Doch möglich!“, entschied das Landgericht Berlin-Brandenburg am 11. Dezember 2009 ohne Anhörung der FAU Berlin. Diese Entscheidung wurde am 05. Januar 2010 vom selben Landgericht in einem Urteil bestätigt.

Alles was Recht ist

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Die gegen die FAU Berlin ergangenen Urteile sind sowohl juristisch als auch politisch mehr als bedenklich. Juristisch gesehen, wird derzeit unter recht kreativer Verwurstung der Rechtssprechung der letzten 50 Jahre eine Art „Wünsch dir was“-Juristerei praktiziert, die eher einer Bananenrepublik, denn dem gern bemühten deutschen Rechtsstaat entspricht – und weit hinter Regelungen der ILO und der EU zurückfällt, die auch für die Bundesrepublik verbindlich sind. Dabei werden wahlweise umstrittene, wenn nicht gar überholte Auffassungen aus den 1980er Jahren bemüht, die den Gewerkschaftsstatus einer Organisation tatsächlich an deren Tariffähigkeit koppeln. Bei Gelegenheit wird auch die aktuelle Rechtssprechung zu den Christlichen Gewerkschaften in der Leiharbeitsbranche nach Belieben in ihr Gegenteil verkehrt, zielt die doch eigentlich auf den Schutz der Beschäftigten vor Phantom-Tarifverträgen. Was dabei herauskommt, ist ein Zirkelschluss, der den Gewerkschaftsstatus an die Tariffähigkeit und die Tariffähigkeit an den Gewerkschaftsstatus koppelt. Alles klar soweit?

Die Christlichen Gewerkschaften mag ein geneigter Richter vielleicht noch davon überzeugen können, dass man nur drauf warten muss, dass einem die fertige Gewerkschaft und Tariffähigkeit beizeiten vom Himmel vor die Füße fallen werden. Die FAU Berlin folgt indes einer eher weltlichen Sicht der Dinge, wonach eine Gewerkschaft von ihren Mitgliedern aufgebaut wird. „You get pie in the sky when you die? That’s a lie!“, so sangen schon die Syndikalisten der Industrial Workers of the World vor hundert Jahren. Dementsprechend versucht die Berliner FAU heute – und zwar dort wo der DGB versagt und die Christlichen Gewerkschaften das Ganze noch unterbieten wollen –, eine konkrete Antwort auf die gesellschaftlichen Veränderungen zu geben. Heute wie damals ist der Syndikalismus die Antwort auf eine zur Dienstleistung verkommene „Gewerkschafts“-Landschaft, die – aufgrund des organisatorischen Zentralismus und der Entmündigung der Basis – der zunehmenden Prekarisierung, dem Lohndumping und der Tarifflucht der Unternehmer nicht mehr Herr zu werden vermag. Das Druckpotential, das den tradierten Gewerkschaften längst abhanden gekommen ist, wird von der FAU in den sozialen Auseinandersetzungen neu belebt. Ihre solidarische und aktive Basis, die weit über die eigenen Mitglieder und einen etwaigen Klientelismus hinausgeht, ist der Garant dafür. Die praktische Umsetzung der Losung „Einer für alle und alle für einen“ besitzt mehr Durchsetzungskraft als 100 Dienstleister in ihren Gewerkschaftsbüros, denn sie bringt so manchen Stein ins Rollen. Und genau diese Durchsetzungskraft ist es, die eine wahre Gewerkschaftsbewegung heute nötiger hat denn je zuvor. So, which side are you on?

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