Arbeitszwang im Strafvollzug

Strafgefangene und Sicherungsverwahrte sind gemäß Strafvollzugsgesetz verpflichtet, eine ihnen zugewiesene Arbeit auszuüben, zu der sie körperlich in der Lage sind (§ 41 StrVollzG). Hierfür erhalten sie eine Arbeitsentlohnung, die 9% des durchschnittlichen Verdienstes der ArbeiterInnen und Angestellten beträgt (§ 43 Abs. 2 StrVollzG). Wer sich der Zwangsarbeit verweigert, davon spricht selbst das Grundgesetz in Artikel 12 Abs. 3, muss in aller Regel damit rechnen, an den Haftkosten beteiligt zu werden. Jeden Monat fallen dann ca. 360 Euro für Unterbringung und Verpflegung an.

Weitere Sanktionen sind die Regel: Angefangen beim Entzug des Fernsehers, über Beschränkung der Teilnahme an Freizeitaktivitäten innerhalb der Anstalt und Einschränkungen eventueller Vollzugslockerungen; vor allem aber keine Möglichkeit, sich Dinge wie Tabak oder Kaffee zu kaufen, denn Nahrungsmittel dürfen nur vom Arbeitsentgelt erworben werden (§ 22 StrVollzG).

Gefangene wollen arbeiten

In der Praxis ist es so, dass der Großteil der Inhaftierten Arbeit wünscht. Einige betteln sogar regelrecht um Zuteilung einer Arbeit, um es etwas scharf zu formulieren. Zwar erhalten unverschuldet ohne Arbeit auf ihren Zellen sitzende Gefangene ein Taschengeld von zur Zeit 31,50 Euro im Monat. Das reicht jedoch kaum zur Deckung grundlegender Bedürfnisse – erst recht nicht, wenn jemand raucht und Kaffee trinkt. Die meisten langweilen sich, wenn sie 23 Stunden am Tag in ihren Zellen sitzen müssen. Sie sind froh, aus der Zelle zu kommen, Gesellschaft zu haben und sich dann beim 14-tägigen Einkauf eine Kleinigkeit kaufen zu können; wobei in vielen Gefängnissen darüber geklagt wird, dass die Knast-Shops überteuerte Preise verlangen.

Möglichkeiten der Arbeitsverweigerung

Eine erste Strategie der Arbeitsverweigerung besteht in kontinuierlicher sogenannter „Schlechtleistung“, d.h. man unterschreitet das geforderte Pensum erheblich, meldet sich regelmäßig krank und geht täglich zum Arzt. Je nach Anstalt wird hierauf unterschiedlich reagiert. Bei „Schlechtleistung“ ist es heute üblich, die Gefangenen disziplinarisch zu belangen. Man unterstellt ihnen, sie könnten mehr leisten als sie abliefern.

Eine zweite Strategie der Arbeitsverweigerung besteht darin, sich bei der Betriebsleitung unattraktiv zu machen, indem man sich regelmäßig beschwert. Kaum ein Betrieb in einer JVA ist frei von Mängeln. Diese gilt es herauszufinden, um sich dann bei allen nur denkbaren Einrichtungen darüber zu beschweren. Meist wird man daraufhin dem Meister derart unbequem, dass er den Gefangenen freiwillig als „unverschuldet ohne Arbeit“ in die Zelle zurückschickt.

Eine dritte Strategie ist die offen politisch begründete Ablehnung von Arbeit im Gefängnis. Hier argumentieren Gefangene, dass sie für diesen Staat keine Zwangsarbeit zu leisten bereit sind, kein System unterstützen, welches sie ablehnen und welches ihnen die Freiheit nimmt und zugleich ihre Arbeitskraft möglichst effizient ausnutzen möchte (bei gleichzeitig niedrigster Entlohnung). Bei dieser Argumentation ist mit den eingangs skizzierten Konsequenzen zu rechnen.

Eine vierte Möglichkeit bestünde in der Verweigerung der Arbeit aus Gewissensgründen gemäß Artikel 4 des Grundgesetzes (GG). Im Gegensatz zur vorgenannten dritten Alternative, würde man sich hier zumindest teilweise auf das System und dessen Regeln einlassen, indem man die hier bestehenden Schlupflöcher nutzt. Im Folgenden möchte ich diesen Weg näher erläutern:

„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich“, so heißt es in Artikel 4 Absatz 1 GG.

Die Gewissensfreiheit wird vorbehalt- und schrankenlos gewährleistet, sie kann also beispielsweise nicht durch ein Gesetz eingeschränkt werden. Nur auf der Grundlage verfassungskonformer Schranken darf in dieses Grundrecht eingegriffen werden.

Was ist eine Gewissensentscheidung? Das Bundesverfassungsgericht bestimmte sie als jede ernste, sittliche, d.h. an den Kriterien von „gut“ und „böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln kann.

Es gibt (auch in der Literatur zum Strafvollzugsrecht) zahlreiche Stimmen, die von einer Verletzung der Menschenwürde ausgehen, wenn einem Gefangenen zwangsweise die Leistung von Arbeit abverlangt wird.

Wer also ernsthaft begründen kann, dass die Ausübung der ihm angebotenen Arbeit innerhalb des Gefängnisses als elementarer Verstoß gegen die eigene Würde erfahren wird, (auch) aus politischen Gründen, die für ihn bzw. sie essentiell sind, kann meiner Meinung nach mit gutem Erfolg die Arbeit verweigern, ohne dafür in Regress genommen zu werden. Wahrscheinlich wäre die Frage gerichtlich zu klären, denn von sich aus dürften die wenigsten Anstalten eine solche Gewissensentscheidung anerkennen. Da diese Thematik bislang weder von Obergerichten noch vom Bundesverfassungsgericht geklärt ist, besteht zwar eine gewisse Unsicherheit, jedoch kommt der Gewissensfreiheit im deutschen Recht hohes Gewicht zu.

Interessant wäre es zudem, wenn sich auch Menschen in „Freiheit“, die von der ARGE in Ein-Euro-Jobs gezwungen werden, überlegen, ob ihr Gewissen nicht eine Verweigerung dieser Arbeitspflicht erfordert.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA Bruchsal

Der Autor ist zu erreichen unter unter www.freedom-for-thomas.de und www.freedomforthomas.wordpress.com

Ein Kommentar zu «Arbeitszwang im Strafvollzug»

  1. Buch-Empfehlung: „Ausgesetzt zur Existenz“; Franz Sternbald

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    Un-Eigentlich Arbeiten und Ent-Fremdung

    Begegnen sich zwei Menschen zum ersten Male, lautet die erste Frage nicht etwa, „wer sind Sie?“, sondern „was (oder gar ‚in was’) machen Sie so?“. „Was machen die Geschäfte?“, meint die Frage „Wie geht’s Ihnen?“
    Es widerspricht aber der Würde des Menschen, ausgerechnet die betriebsame Ameise als erstrebenswerte Existenzform zum Vorbild gesetzt zu bekommen. Dennoch zieht die abendländische Sozial-Ethik diesen Vergleich allzu leichtfertig heran („sieh die Ameise, in ihrem Fleiße…“).
    Mit einiger Verachtung für diesen Vergleich hat sich einmal Lew Tolstoj geäußert. Er soll an dieser Stelle einmal mit seinen Worten zitiert werden:
    „Man sagt, daß die Arbeit den Menschen gut macht, ich habe aber immer das Entgegengesetzte beobachtet. Die Arbeit und der Stolz auf sie, macht nicht nur die Ameise, sondern auch den Menschen grausam. Es konnte in der Fabel ja nur die Ameise, ein Wesen, das des Verstandes und des Strebens nach dem Guten entbehrt, die Arbeit für eine Tugend halten, und sich damit brüsten. Die Arbeit ist nicht nur keine Tugend, sondern in unserer falsch organisierten Gesellschaft zumeist ein Mittel, das sittliche Empfinden zu ertöten ….
    alle haben keine Zeit, keine Zeit, zur Besinnung zu kommen, in sich zu gehen, über sich und die Welt nachzudenken, und sich zu fragen:
    was tue ich? Wozu?“

    Wer einen Teil seiner Lebenszeit der Erziehung von Kindern im Sinne Rousseaus „Emile“ widmete, für seine Handreichungen keinen anderen Lohn als Anerkennung verlangte, wer weder gekauft, noch verkauft hat, sondern allein getauscht und geschenkt, somit keine amtlich anerkannte Erwerbsbiographie nachweisen kann, gilt als tätig ‚faul‘.
    Denn Arbeit gilt als disziplinierende Strafe, oder, wie schon in der griechischen Antike der unwürdige Teil der ‚Banausoi‘?! Der alttestamentarischen Überlieferung gemäß ist sie gar ein Fluch! Erst mit den Jüngern des Zimmermannsohnes Jesus gelangen die Werktätigen zu ihrer eigentlichen Würde – nachdem sie durch Jesus ihrem Werk zunächst entfremdet worden waren.
    Im Begriff der Entfremdung im Sinne einer Ent-Fremdung hatte von Beginn an zweierlei Bedeutung gelegen. Zum Einen den Abzug aus dem eingeübten Nützlichkeitsschema für den ‚pyramidalen’ Betrieb in der Gesellschaft, und zum Anderen überhaupt erst die Aufhebung der Fremdheit der eigenen Existenz gegenüber. Mit dem Übergang von der Un-Eigentlichkeit zum Eigentlichen Ex-sistieren, läuft der ideengeschichtliche Faden, zwar auf verwundenen Wegen, aber dennoch ununterbrochen von Christus bis zu Kierkegaard, Nietzsche und Heidegger.
    Die zeitgeistliche Aushöhlung der urchristlichen Botschaft durch die Hirten über einer Herde von unmündigen Schafen, wurde indes beantwortet durch die Formulierung einer säkular sozialistischen Heilsbotschaft. Die potentiell zerstörerische Energie der metaphysisch Entwurzelten, und auf die physis reduzierte Massen (deren Eigenschaften Schwere und Trägheit sind) galt es nun für die Interessen der illuminierten, im Herrschaftswissen eingeweihten, Adepten zu kanalisieren. In einer Verbindung von Arbeit und Kampf entstand mit der Gründung der internationalen Arbeiterbewegung (1864), eine Entsprechung der ideologischen Verknüpfung von Kapital und Militarismus. Im Marsch der „Internationale“ wurde der Takt vorgegeben, der sich sowohl für die Demonstration auf der Straße, als auch für die Arbeit am Fließband eignet. Eine Parallele dazu stellte in vorindustrieller Zeit der zornige Gesang der Baumwollpfücker dar, die unter dem mißbilligenden Blick ihres Herren die Arbeit umso energischer verrichteten. Im kollektiven Aufbegehren liegt stets auch ein disziplinierendes Element, sich als Klasse zu formieren, die ihre Ehre aus dem Fleiß ableitet. Als Widerstand gegen die ausbeuterischen Verhältnisse angelegt, bestätigte die “Internationale“ nichts desto weniger die Zuweisung des künftigen Platzes innerhalb der nunmehr industriellen ‚Pyramide’. Aus dem Haufen, der, nach der Messung an fabrikgemäßen Effizienzkriterien, undisziplinierter Handwerksgesellen vom Lande wurde die individuell gesichtslose Arbeiterschaft geschmiedet, die Pünktlichkeit und Fleiß als ‚deutsche’ Tugend etabliert hat.
    Viel näher jedoch am ‚deutschen Wesen’ rührt aber vielmehr die Verehrung der ‚Meisterschaft’, wie sie im Geiste des Genies (=magus/Magier; Magister) zu seiner ethischen Höhe gelangt. Nie ist bloßer Ertrag und Blendung der Zweck des Meisterwerks, sondern das Streben nach der Idealität, die der Meister seines Werks in Holz oder Stein oder Metall, in Bild oder Ton, oder sei es nur eines Gedankens, anstrebt. In seinem Werk ringt der ‚Meister’ um die Verwirklichung seiner selbst; die schicksalshaft bejahende Tat ist sein ureigenster Ausdruck. Das Meisterwerk ist um nichts geringer als die Übereinkunft im „Einzigen und sein Eigentum“ (vgl. Max Stirner). Daher lautet die Erfordernis für würdige Tätigkeitsformen, den Menschen grundgesichert freizustellen zur Selbstverfügung über die Bestimmung zu seinem eigenen Werk.
    Die Bedienung des Weltmarktes ist aber nur mit Allerweltsprodukten möglich, die zu Werkbedingungen hergestellt werden, die unter den Zumutungen des globalen Marktes flexibel gehalten werden müssen. Im rationalisierten, also zerstückelten, und digital planbaren Werkprozeß, fragmentiert und verflüchtigt sich zuletzt das schöpferische Element. Im industriellen Mahlwerk gibt es keinen Ort, an dem eigentlich Arbeit verrichtet wird, wenn man diesen Begriff nicht mit dem würdelosen Sklavendienst gleichsetzen möchte, der es zumeist ist. Da die menschliche Würde wesentlich unteilbar an das Individuum geknüpft ist, verbietet es sich in diesem Zusammenhang von einer Leistungs-Ethik zu sprechen, wo nichts anderes als eine Sklavenmoral vorherrscht. Eine vollwertige Ethik weist auf ein Ideal der Vollständigkeit des Menschlichen hin, und es gibt keinerlei Hinweis darauf, daß es für die Industriegesellschaft überhaupt eine solche Ethik geben kann, allenfalls eine disziplinierende Moral, die es zu überwinden gilt. Die Voraussetzung dafür ist die Würdigung der individuellen Professionalität, das Gestattetsein von Außerordentlichkeit, die sich nicht mit einer sozialistischen Nivellierung und Ertragsmaximierung durch den Massenauswurf vereinbaren läßt.
    Ein arbeitsethischer Rückzug auf die Wertigkeiten der ‚Pünktlichkeit’ und der ‚Höflichkeit’ bedeutet den endgültigen Verzicht auf eine kulturstiftende Ethik, und eine Beschränkung auf den geordneten Abgang in die Alternativlosigkeit eines plutokratischen Nihilismus.
    Nunmehr werden jedoch wohl die Wenigsten von uns noch die handwerkliche Tätigkeit von eigener Hand kennen, denn inzwischen hat der tertiäre Sektor den Agrar- und Industriesektor längst überwuchert. In der Dienstleistungsgesellschaft werden die Umsätze durch das sinnfreie Rauf- und Runterladen bedeutungsloser Datenpakete, durch das Wischen und Abwinken von App-Icons auf dem Display, durch Spielen und Bespieltwerden erzielt.

    Was sich jedoch gegenwärtig als handwerkliche ‚Craft’-Bewegung in Szene setzt, ist eine Aneignung von Konsum-Nischen mit den Distinktionsmerkmalen der ‚Kritik’. Diese holen sich allerdings ihre Rechtfertigung auf eben denselben Markt, der sogar die ironische Distanz sich selbst gegenüber zuläßt, um sie wiederum zum einträglichen Geschäft werden zu lassen. ‚Craft-Beer’ und ‚crafted Coffee’ im Ambiente urtümlich roher Ästhetik, erschließt einen zahlungskräftigen Kundenstamm, der nichts mehr fürchtet, als dem Mainstream zugeordnet zu werden. Er formiert sich dennoch willig unter den Gesetzen des Marktes zu einer berechenbaren Quelle des steigenden Umsatzes. Der Bezug des Schaffenden zu seinem Werk darf zeitgemäß jedoch nicht bis zur ‚Eigentlichkeit’ gesteigert erscheinen, sondern bedarf der ‚uneigentlichen’ Distanz. Am Beispiel der Servierkraft in einem craft-café, zeigt sich das frisch gestärkte Holzfällerhemd ohne Schweißflecke, und damit als evidenter Beleg für unsere These. Wäre die Tätigkeit inniger mit der Subjektivität des Meisters verbunden, stellte sich unabdingbar eine sperrige Unverfügbarkeit gegenüber den Ideologien des Marktes ein.
    Die Frucht des ‚Eigentlichen’ am Werk ist der Schöpferstolz, seine Platzierung auf dem Markt ist das wesentlich ‚Uneigentliche’.
    Der Silbenvorsatz eines erdigen craft-Begriffes als Trendfloskel des ‚Neuen Sozialen Marktes’ auf der Basis prekärer Ich-AGs, bezeichnet daher zuverlässig eben gerade kein Faktisches sondern nur etwas Signifikantes, Zeichenhaftes mit dem Verweis auf etwas das nicht Ist (non-est).
    Eine stärkere Würdigung der individuellen Leistung widerspräche der protestantischen Ethik des emsig arbeitsteiligen Ameisen-Staates. Nach der sozialistischen Lehre ziemt sich der individuelle Werkstolz nicht, vielmehr lernt der Arbeiter beizeiten seine Würde durch die Arbeitsteilung zugunsten eines höheren Zweckes, als wohin sein Einfluß reicht, abzugeben. So befinden sich das Personal und die Kunden in der zeitgemäßen Craft-Werkstätte in einem solch unausgesprochenen Einvernehmen, wie es die Schauspieler auf der Bühne mit dem Publikum, während der Darbietung eines Stückes, sind. Sie befinden sich miteinander nicht in einer Existenzial-Beziehung, sondern im Dienstverhältnis einer virtuellen Inszenierung.
    In der virtuellen Wertstellung durch das Geld erhält der gesamte Arbeitsprozeß wiederum erst seine höhere Weihe, wie die Materie durch den Geist. Darin liegt auch die Verehrung des Geldes begründet – und die Unwürdigkeit, dafür zu arbeiten.

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    „ Ausgesetzt zur Existenz “ – warum der Mensch ein Schicksal ist
    – vom Ausgang aus der unverschuldeten Absurdität –
    Franz Sternbald
    Verlag BoD – D-Norderstedt

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