In kleiner, aber feiner Runde sitzen wir in einer schicken Altonaer Altbauwohnung zusammen, es gibt Wein und loungige Elektromusik, die Gespräche kreisen um die erreichten oder bald erreichten Studienabschlüsse, Fernreisen, Jobaussichten, Kultur und Politik, ein ganz normales StudentInnen-Sit-In eben. Dann kommt man auf das mediale Thema des jungen Jahres 2011 zu sprechen – nein, nicht die Aufstände und Revolutionen entlang der afrikanisch-orientalischen Grenzen der EU, sondern das sogenannte „Dschungelcamp“, der erfolgreichen Unterhaltungssendung aus dem Hause RTL. Nachdem sich kurz pikiert angeschaut wurde, lassen die meisten der Gäste dieses Abends die Hüllen fallen und beginnen auszuführen, warum auch sie die letzte Staffel der Show verfolgt haben.
Schützenhilfe für die Fernseh-Bourgeoisie
Die Argumente wurden zuvor bereits ausreichend aufbereitet – beim Spiegel, in der FAZ und, ganz entscheidend, den Talkshows der öffentlich-rechtlichen TV-Sender. Wie kann es bloß sein, fragten in einem Anfall von Selbstvergessenheit zahllose Vorzeige-AkademikerInnen, dass die sonst angeblich dermaßen klare Trennung der TV-KonsumentInnen entlang ihres sozialen Status ausgerechnet bei der lange als Prototyp niveauloser Unterhaltung angesehenen Dschungelposse aufgehoben wurde? Es läge daran, so die ApologetInnen des ach so schrecklichen TV-kulturellen Distanzverlustes zu den „äh, naja, sagen wir mal schlichteren Gemütern, oder, nein, nennen wir sie die ärmeren Schichten“ (O-Ton Maybritt Illner während der entsprechenden Diskussion in ihrer Talkshow), dass in der letzten Dschungel-Staffel so ungemein komplexe Geschichten über Verrat und Freundschaft, Aufrichtigkeit und Lüge, schlicht über soziale Interaktion per se verhandelt worden seien.
Zwischen den Zeilen
Trotz der Fülle an medialen Äußerungen – die das RTL-Format lobten, von anderen Sendungen à la „Bauer sucht Frau“ abgrenzten und so ihrem Publikum einen Ablassschein für die Sünde ausstellten, sich an 60 Minuten am Abend auf dieselbe Weise wie so mancheR Hartz IV-BezieherIn betätigt zu haben – wurde eine durchaus bemerkenswerte Komponente der Sendung nicht erwähnt: nämlich die in ihr ausgetragene Fernsehkritik. Die Absurdität von TV-Unterhaltung ist ein kaum noch implizites, tatsächlich eher schon explizites Thema der Dschungelshow, in der abgehalfterte Objekte der TV-Belustigung mit dem Schrott ihres eingeübten Vokabulars konfrontiert werden – oft brillant auf den Punkt gebracht durch die Kommentare Dirk Bachs und Sonja Zietlows. Und schließlich kriegen die KandidatInnen den ganzen Müll, den sie im Laufe ihrer „Karriere“ im Dienst der Quotenjagd der Sender auf die Bevölkerung losließen, auch noch in Form von Getier und Gedärm zurück in den Mund gestopft; endlich wird mit der längst fälligen Abrechnung begonnen, die Chefs von RTL, ProSieben oder ARD/ZDF sind hoffentlich auch bald dran.
Gebildet und doch dumm
Aber diesen Aspekt brachten die diskurs-analytischen Abhandlungen der medialen RepräsentantInnen des sogenannten „Bildungsbürgertums“ nicht in die Diskussion ein. Es stand nicht das Medium „Fernsehen“ zur Disposition, noch nicht einmal in der bereits erwähnten Maybritt Illner-Sendung „Was ist gute Unterhaltung?“, in der neben dem Dschungelcamp-Kandidaten Mathieu Carrière auch Thomas Gottschalk und Ute Biernat, Produzentin der RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ zusammensaßen. Daher sei nun ein weiterer Versuch unternommen, die Akzeptanz des Dschungelcamps in Akademikerkreisen zu erklären: Es gibt gar keinen wesentlichen Unterschied in Inszenierung, Verfälschung, Verflachung und dem Bedienen bürgerlicher Ressentiments zum „Heute Jounal“, „Die Reporter“, „Hart aber Fair“ oder „Maybritt Illner“. Was sich in diesen Sendungen „Information“ oder gar „Diskussion“ schimpft, besteht fast immer aus standardisierten Redewendungen, haarsträubenden Verkürzungen komplexer Zusammenhänge, grober Aneinanderreihung zusammenhangloser Statements und (wenig erstaunlich) dem Ausbreiten einer unhinterfragten bürgerlichen Leistungs- und Selektionsideologie. Ohne Frank Plasberg und Anne Will wäre Thilo Sarrazin mit seinem Buch in der Versenkung verschwunden, ohne ARD und ZDF keine schlecht getarnten Nationalismus-Kampagnen im Gewand „friedlicher Fußballbegeisterung“, kein Schwachsinn eines „Du bist Deutschland“. In diesem Zusammenhang kann auch einer furchtbaren Psycho-Sendung wie „Deutschland sucht den Superstar“ in Abgrenzung zu ARD und ZDF zumindest eines zugute gehalten werden: Wenigstens hier spielen Kategorien wie Herkunft oder sozialer Status keine Rolle. Da könnte Maybritt Illner sich von Dieter Bohlen eine gute Portion abschneiden.