Anspruch und Wirklichkeit

Erneut fiel in einem Erfurter Gerichtssaal ein alter Zopf zu Boden. Nachdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) in den vergangenen Jahren bereits die eigene, höchstrichterliche Rechtsprechung u.a. in Sachen Solidaritätsstreik und Tarifpluralität korrigiert und auch neue Aktionsformen wie den Flashmob für zulässig erklärt hatte, befasste sich das BAG in diesem Jahr bereits mehrmals mit Fragen der Leiharbeit.

So entschieden die RichterInnen am 13. März in Bezug auf die Vertretung von LeiharbeiterInnen im Betriebsrat (Aktenzeichen 7 ABR 69/11), dass Leihkräfte „bei der für die Größe des Betriebsrats maßgeblichen Anzahl der Arbeitnehmer eines Betriebs grundsätzlich zu berücksichtigen“ sind, wie es in einer Mitteilung hieß. So gaben die roten Roben 14 Beschäftigten Recht, was ihnen von unteren Instanzen verwehrt worden war. Der betreffende Betriebsrat – das Unternehmen ist nicht genannt – wird nun um zwei Mitglieder erweitert werden müssen.

Angedeutet hatte sich der Kurswechsel bereits im Januar 2013, als es das BAG in der Frage, ob eine Firma als Kleinbetrieb gelte und somit nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliege, für unerheblich erklärte, „ob die den Betrieb kennzeichnende regelmäßige Personalstärke auf dem Einsatz eigener oder dem [Einsatz] entliehener Arbeitnehmer beruht“.

Ebenfalls Mitte März attestierte ein anderer BAG-Senat jenen LeiharbeiterInnen, die dem christlichen Dumpingtarif unterworfen waren, den „Anspruch auf das Arbeitsentgelt, das ein vergleichbarer Stammarbeitnehmer des Entleihers erhalten hat“ – die Durchsetzung des Anspruchs auf gleichen Lohn bleibt jedoch weiterhin mit erheblichen Hürden in Form von Nachweispflichten über die Höhe des entgangenen Lohnes verbunden, was sich konkret als recht schwierig erweisen kann.

Nach dem Urteil vom 13. März müssen LeiharbeiterInnen bei Betriebsratswahlen ab sofort mit berücksichtigt werden, wodurch sich künftig die Zahl der Betriebsratsmitglieder in vielen Unternehmen erhöhen dürfte. Ja, unter Umständen wird sogar erst die Bildung eines Betriebsrats möglich, wenn so die Schwelle von mindestens fünf Beschäftigten überschritten wird. Das bedeutet zwar einerseits mehr Rechte für die KollegInnen. Andererseits aber festigt der Beschluss die Leiharbeit als „normale“ Institution im Betrieb. Der Kampf gegen Leiharbeit ist eben nicht von den Gerichten, sondern von den Gewerkschaften zu führen.

Ringen um gleiches Geld

Die IWW Bremen fordert derweil vom DGB, die (allgemeinverbindlichen) Tarifverträge mit den Leiharbeitsverbänden BAP und iGZ zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen. Damit könnte ab November 2013 der gesetzlich vorgesehene Grundsatz gleicher Entlohnung (Equal Pay) für die ca. 900.000 LeiharbeiterInnen gelten. „Üblicherweise haben Tarifverträge eine Nachwirkung“, räumen die Wobblies ein, aber: „Dies ist bei den Leiharbeitstarifen, nach Meinung vieler Arbeitsrechtler, nicht der Fall. Denn die Nachwirkung des alten Tarifvertrages konkurriert in diesem Fall mit einem [geltenden] Gesetz, dem AÜG, das niedrigere Löhne nur dann zulässt, wenn ein Tarifvertrag gilt“. Dieser Auffassung und Forderung schließen sich das Stuttgarter Bündnis „Wir zahlen nicht für eure Krise“ sowie Mitglieder von DGB-Gewerkschaften an. Letztere wandten sich Mitte April in einem offenen Brief an die Spitzen ihrer Organisationen und beklagen, dass es „in den letzten Monaten keinerlei demokratische Diskussion und Meinungsbildung innerhalb unserer Gewerkschaften gab. Nicht einmal eine Information wurde darüber verbreitet, dass der Tarifvertrag bereits neu verhandelt wird. Dieses intransparente Vorgehen einiger Weniger widerspricht unserer Vorstellung einer demokratischen Gewerkschaft und offenen Diskussionskultur!“

Offenbar hat die DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit auch vor, die Verträge zu kündigen. Allerdings nur, um einen neuen Tarif auf dem Mindestlohnniveau von 8,50 Euro abzuschließen. So argumentiert Stefan Schaumburg, Leiter des Bereichs Tarifpolitik beim IG Metall-Vorstand, in einem Interview: „Das Gesetz sieht zwar eine Gleichbehandlung vor. Es wird aber nicht weiter beschrieben, wie das in der Praxis funktionieren soll. Für die Beschäftigten wäre unklar, welche Ansprüche sie besitzen. Und es ist zu befürchten, dass die Verleiher dann erst recht machen, was sie wollen.“ Daher wäre es vorzuziehen, den „tariflichen Weg weiterzugehen“ – obwohl die vermehrten, aber nicht flächendeckenden Branchenzuschläge die Lücke zur Gleichbezahlung keineswegs schließen, sondern allenfalls verringern.

Es bleibt zu hoffen, dass sich der DGB – wie schon beim erstmaligen Abschluss der Leiharbeitstarife im Jahr 2003, wogegen auch Syndikate der FAU protestiert hatten – ein Vorbild nimmt an den christlichen Gewerkschaften. So versicherte die CGM hoch und heilig, ihr Engagement im Bereich Leiharbeit sei beendet, und gab, gelinde formuliert, zu: „Wir haben Fehler in der Zeitarbeit gemacht“. Vergelt’s Gott.

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