Patriarchales Erbe: Ein Streik ist kein Sparbuch

Wer in Deutschland im Laufe seines Erwerbslebens mehr als dreimal gestreikt hat, dem wird entweder das Etikett „Exot“ oder „Querulant“ verpasst, dermaßen hat sich die Idee vom Streik als legitimes Mittel um Interessen durchzusetzen und Veränderungen herbeizuführen aus den Köpfen der BürgerInnen verflüchtigt. Dass trotz der Erfahrung mit einer Diktatur der politische Streik im Nachkriegsdeutschland verboten wurde, hat nicht nur dazu geführt, dass die jährlichen streikbedingten Ausfallzeiten eines Arbeitnehmers im Promillebereich liegen, sondern auch, dass Streik mittlerweile irgendetwas ist, das erst ausdrücklich genehmigt werden muss, bevor es als Handlungsoption in Betracht gezogen wird.

Bei den Streiks von LokführerInnen und Flughafenpersonal lässt sich regelmäßig beobachten, dass Streiks von vielen nur noch als das egomane Interesse von einzelnen Berufsgruppen bewertet wird: Fallen die Züge aus, schimpft die Mehrheit der vergeblich wartenden Fahrgäste auf die Streikenden, die keine Rücksicht auf die Belange der BerufspendlerInnen nehmen. Dumpf wird gemeckert, anstatt sich um Fahrgemeinschaften zu kümmern und den Streikenden ein wenig Beifall zu klatschen. Verkehrte Welt, wenn sich der Streikwillige und nicht mehr der Streikbrecher rechtfertigen muss. Bezeichnend war für mich auch eine Äußerung einer Erzieherin, als 2012 in Süddeutschland Kindertagesstätten bestreikt wurden: Weil sie kein Gewerkschaftsmitglied sei, habe sie nun einen Tag Verdienstausfall, ob sie wolle oder nicht. Auf Nachfragen gab sie aber zu, dass auch sie sich über Lohnerhöhungen und Verbesserung der Arbeitsbedingungen freuen würde. Anscheinend ist es kein kollektives Wissen mehr, dass Emanzipation und sozialer Fortschritt nicht umsonst zu haben sind, aber umso schneller erreicht werden können, wenn dies von möglichst vielen eingefordert wird. Dabei hätte dies Lieschen Müller schon lange wahrnehmen können, dass die Wohltätigkeiten des Kapitalismus nicht aus Menschenliebe, sondern nur nach positiver Kostennutzenrechnung verteilt werden. Von Jahr zu Jahr werden die Werbegeschenke dürftiger, aber Lieschen trägt immer noch brav ihr Erspartes am Weltspartag zur Bank, anstatt endlich ihre Konten aufzulösen.

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