Paris präsentierte sich frühlingshaft an jenem Abend des 22. März 2013. Nach und nach trafen die Teilnehmenden der internationalen Konferenz im Gewerkschaftslokal von SUD Rail ein. Hier in Saint-Denis, einem Vorort der französischen Hauptstadt, belegt die Eisenbahngewerkschaft die gesamte oberste Etage eines alten Hotels. Mit Blick auf die Seine und auf das schier unendliche Häusermeer ging es reihum, es waren Kolleginnen und Kollegen von allen Kontinenten angereist. Aus der Bundesrepublik nahmen die FAU-Syndikate Berlin und Bonn als Beobachter teil; ebenfalls vertreten waren KollegInnen der IWW, des Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall, der Baso (Basisinitiative Solidarität), des Labournet-Projekts und des TIE-Netzwerks.
Am Samstagmorgen begann das Programm pünktlich um 10 Uhr im Saal der Arbeitsbörse von Saint-Denis, wo die CNT-F vor sieben Jahren die Konferenz zum 100-Jahr-Jubiläum der Charta von Amiens, einem Kerndokument des revolutionären Syndikalismus, organisiert hatte. Dieses Treffen nun wurde von der französischen Linksgewerkschaft SUD Solidaires, von der spanischen CGT und der brasilianischen, erst 2010 gegründeten CSP Conlutas ausgerichtet. Debattiert werden sollten die großen Fragen unserer Zeit: Welche gewerkschaftliche Antwort auf die kapitalistische Krise? Welches Verhältnis der Alternativgewerkschaften zu Zivilgesellschaft und anderen sozialen Bewegungen? Wie lässt sich international gemeinsam kämpfen?
Insbesondere die OrganisatorInnen brachten Gedanken ein, die vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss, aber durchaus diskussionswürdig sind. Etwa, dass ein Wiederbeleben des sozialstaatlichen Keynesianismus nicht möglich sei. Dass sich ein Paradigmenwechsel vollziehe, der soziale Rechte nur mehr als Kostenfaktoren betrachte und selbst die repräsentative Demokratie untergrabe und autoritären Tendenzen den Weg ebne. Dass schließlich, mit Blick auf die Umweltkrise, das produktivistische Paradigma ausgedient habe. In diesem sozialen Schlamassel sei es eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften die gesellschaftliche Umverteilung der Arbeit in den Blick zu nehmen. Ein Vertreter der kolumbianischen SINALTRAINAL, die hierzulande durch ihre Coca-Cola-Kampagne bekannt ist, regte an, soziale Fragen wie etwa das Rentenalter auch in Tarifverträgen zu regeln. Erwähnung fand neben einem Mindestlohn auch der Gedanke eines Maximallohnes. Leider fand all das keinen Widerhall, ebenso wenig wie die mehrmals von der IWW angesprochene Organisierung entlang der industriellen Lieferketten eines Firmenkomplexes. Auch am Folgetag jagte in dem großen Saal eine fünfminütige Stellungnahme die andere: ohne internationale Zusammenarbeit ist Widerstand gegen die Krise unmöglich. Meist geschah dies jedoch ohne gegenseitige Bezugnahme, so dass die Konferenz v.a. Sitzfleisch erforderte. Scheinbar sind Austausch und Kooperation das Einfache, das schwer zu machen ist, wie Brecht vom Kommunismus sagte.
Kurz: Die Konferenz verfolgte einen Ansatz wie die syndikalistischen Treffen i02 und i07, war aber weniger gut strukturiert – offenbar mangelte es am Austausch im Vorfeld. Obwohl sich alle Anwesenden auf einen sozial-transformatorischen Gewerkschaftsbegriff bezogen und das Co-Management ablehnten, dürfte das Ziel einer neuen Etappe in der internationalen Koordinierung alternativer Gewerkschaften kaum erreicht worden sein. Auffallend auch, dass die deutschen Gewerkschaften mit keinem Wort Erwähnung fanden – sicherlich zu Recht. Eine schmerzliche Leer- und Schwachstelle bildet diese Situation aber trotzdem.