Ein Jahr nach den Aktionstagen M29/M31 gilt es, die spanische und europäische Generalstreikbewegung zu entmystifizieren. Gerade hierauf aber gründet sich die kämpferische Perspektive von Mitgliedern der CNT Galaica, die die Situation in Spanien rückblickend analysieren.
Über ein Jahr sind nun sowohl der erste Generalstreik in Spanien 2012 – genannt M29, da er auf den 29. März fiel – wie auch der so genannte „Aktionstag gegen Kapitalismus“ M31, da auf den 31. März gelegt, Geschichte. Bilanz wurde jedoch bisher kaum gezogen, obwohl doch beide Ereignisse jeweils als Auftakt kämpferischer Bewegungen interpretiert wurden. Allerdings waren sowohl M29 als auch M31, wie durch die Bezeichnungen schon deutlich wird, als Kampagnen aufgezogen worden, die in den jeweiligen Tagen gipfelten; mithin waren sie so angelegt, nach den Höhepunkten in offene Prozesse zu münden. Somit sind Bewertungen ihrer Wirkungen schwer leistbar. M31 wurde vorerst und unmittelbar sowohl durch innerlinke Debatten wie auch durch die Aktionen des Bündnisses aus linksradikalen, „globalisierungskritischen“ und sozialdemokratisch-sozialpartnerschaftlichen Gruppen „Blockupy“ überlagert. Ein tatsächlicher Auftakt zu einer staatskritischen und antikapitalistischen Bewegung, zumal einer europäischen, war M31 jedoch sicherlich nicht.
Aufgrund der vielfältigen Kleingruppen, die zudem oftmals einen klandestinen Charakter aufweisen, die sich rund um M31 engagierten, ist es auch schwer einzuschätzen, in welchem Umfang tragfähige Bündnisse oder arbeitsfähige Netzwerke in Deutschland und Europa daraus entstanden sind; einige solcher Prozesse sind jedoch mit Sicherheit angestoßen worden. Allgemein bleibt durchaus festzuhalten, dass es eine derart beachtete und auch medienwirksame, von staatstragenden Parteien, Gewerkschaften oder funktionärsgesteuerten NGO‘s unabhängige Mobilisierung lange nicht gegeben hat.
Vielfalt ohne Plan
Jenseits der wohl unvermeidbaren anschließenden ideologischen Grabenkämpfe sowie der notorischen Gewaltdebatte erscheint als eigentliche Lehre, dass staatskritischer Antikapitalismus auf eine ungemein breitere Organisationsbasis gehoben werden muss. M31 war für die letztendlich doch dünnen Strukturen ein Mammutprojekt, das unweigerlich Verschleißerscheinungen mit sich brachte. Natürlich wollte M31 auch genau dies anstoßen – eine verbesserte Organisationskultur innerhalb der undogmatischen und libertären antikapitalistischen Bewegungen – und doch muss dieses Anliegen noch eingelöst werden. Über einen Mangel an inhaltlicher Vielfalt, Aktionsbereitschaft und theoretischem Wissen muss sich innerhalb dieser Bewegungen nicht beklagt werden, und aktuell sind die Ideen und Ansätze allemal. Verbindliche horizontale Organisation ist die Forderung, die als nachklingendes Echo von M31 bestehen bleibt.
Generalstreik als Etappenziel europäischer Bewegungen?
Ein weiteres datumsbezogenes Label war der sogenannte „europäische Generalstreik“ am 14. November des letzten Jahres, genannt N14. Neben eintägigen landesweiten und branchenübergreifenden Streiks in Portugal, Spanien, Zypern und Malta gab es vereinzelte, von Spartengewerkschaften oder kämpferischen kleineren Gewerkschaften bzw. Betriebsgruppen getragene Streikaktionen in Italien, Griechenland, Belgien, Frankreich und Großbritannien. Linke Gruppen – von libertär über kommunistisch bis sozialdemokratisch – griffen zudem in jedem EU-Land diesen Tag bei Demonstrationen und Kundgebungen auf. So deutlich wurde die Perspektive eines koordinierten, solidarischen und massenhaften Handelns, welches in seiner Konsequenz sogar zu tatsächlicher Gegenmacht führen könnte, bis dato noch nie seit Beginn der so genannten „Krise“ aufgezeigt. Ein großer Schritt nach vorne? Die Einheits- und Kampfesrhetorik, die sowohl GewerkschaftsfunktionärInnen, einige Parteien und eben auch linksradikale Gruppen erfasste, scheint dies zu suggerieren. Der fade Beigeschmack des rein Symbolischen kann jedoch kaum durch süße Revoltenromantik übertüncht werden.
Es erscheint als direkt widersinnig, das Mittel des „Generalstreiks“, hinzu sogar eines europäischen, auf einen einzigen Tag zu begrenzen, wird Unternehmen, Kapital und Staaten doch somit gleichsam die Verlässlichkeit der Ware Arbeitskraft versichert. Nicht Stärke, Kampfeswillen und schon gar kein zielgerichteter Plan, in einer politisch-ökonomischen Auseinandersetzung der Gegenseite ihre Position streitig zu machen, schienen in diesem „Generalstreik“ durch, sondern die totale Kontrolle der Gewerkschaftsspitzen und Parteien über die kritische Masse der Beschäftigten, aber auch der Arbeitslosen, Schülerinnen und Schüler, der Studierenden und der Ausgeschlossenen und Unzufriedenen, mithin des Gefährdungspotentials für die europäische Machtstruktur. Dies dürfte das deutlichste Zeichen gewesen sein, das sowohl der spanische Generalstreik M29 wie auch der so genannte „europäische“ Generalstreik N14 aussandte. Doch dieses Zeichen kann eben auch antagonistisch gedeutet werden: Als deutlicher Fingerzeig, welchen Hebel es umzulegen gilt. Gemäß einer solchen Lesart hieße es, sich von vereinnahmenden Interpretationen solcher großer Aktionen als „Erfolg“, der lediglich auf die Anzahl der partizipierenden Menschen zielt, zu emanzipieren und diesen angeblichen Erfolg als das eigentliche Problem zu betrachten.
Die Zeichen der Zeit
In Spanien nehmen sich horizontal organisierte Gruppen, die sich oft kontextbezogen konstituieren, und undogmatische antikapitalistische und staatskritische Organisationen genau diesem Problem nun an. Dies war die übergeordnete Botschaft, die von einer Rundreise von Mitgliedern der CNT Galaica, ein Zusammenschluss der CNT-Basisgewerkschaften in der spanischen Provinz Galicien, durch mehrere deutsche Städte ausging. Der von der deutschen Linken und auch dem direkten Umfeld der FAU oftmals heroisierte und romantisierte Charakter von Streiks in Spanien wurde von den Referierenden aufgegriffen und auf sein wirkliches Antlitz zurückgeschraubt: Auch in Spanien sind Streiks, und gerade auch die vergangenen Generalstreiks, im Kern Folklore. Bislang war es sogar üblich, dass sich sogenannte „Streiks“ auf eine Demonstration der beiden staatstragenden Gewerkschaften, CCOO (Confederación Sindical de Comisiones Obreras) und UGT (Unión General de Trabajadores ), am Vormittag beschränkten und am Nachmittag wieder gearbeitet wurde. Zu M29 mussten diese beiden für die Tarifverhandlungen in Spanien als Leitgewerkschaften fungierenden Organisationen richtiggehend genötigt werden, ging die Kampagne doch von lokalen Initiativen und Betriebsgruppen aus. Doch von einer solchen Appellpolitik gegenüber selbsternannt „zuständigen Stellen“ wird sich nun abgewandt. Offizielle Streiks arten immer mehr in wilde Streiks aus und der tradierten Begrenzung eines „Generalstreik“ auf einen Vormittag wurde sich bei N14 erstmals massiv widersetzt. In Madrid und Barcelona folgten dem Aufruf der CNT sowohl bei M29 wie auch N14 zu einem eigenen kritischen Block jeweils über 100.000 Menschen – so etwas hatte es seit den 70’er Jahren nicht gegeben. Die mittlerweile in jedem Ort verankerten Basisorganisationen – von Arbeitsloseninitiativen über Zusammenhänge zur Verhinderung von Zwangsräumungen bis hin zu Frauenselbsthilfegruppen – sehen sich nicht mehr in bloßer Opposition zur konservativen Regierung, die es durch eine neue zu ersetzten gelte, sondern eben auch im Widerspruch zum Funktionärswesen der Parteien und Gewerkschaften ganz allgemein. Die horizontale Organisation hat in den verschiedenen Bereichen bereits über zwei Millionen Menschen erfasst. Somit sind UGT und CCOO, die zusammen ebenfalls auf etwa zwei Millionen Mitglieder kommen, keine unschlagbarer Gegner mehr. Auch auf die soziale Basis der CNT selbst wirkt sich dieser Trend aus: In den letzten neun Monaten stieg die Mitgliederzahl allein der CNT Santiago de Compostela, die ebenfalls in der CNT Galaica organisiert ist, um mehr als das Dreifache von 30 auf über hundert Mitglieder an.
Wie unmittelbar die CNT in dem Prozess der horizontalen Massenorganisation eingebunden ist, haben die Demonstrationen anlässlich von M29 und N14 eindrucksvoll bewiesen; sind spanienweit einige Tausend in der CNT direkt organisiert, konnte sie, wie bereits erwähnt, mehrere hunderttausend Menschen in vielen spanischen Städten in Opposition zu den großen Gewerkschaften, Parteien und Staat mobilisieren und wurde somit innerhalb der diffusen „Generalstreikbewegung“ zu einem der wichtigsten Akteure überhaupt. Doch die CNT erhebt keinen Führungsanspruch innerhalb der voranschreitenden Selbstorganisation und stellt sich auch nicht die Aufgabe, dem kurzzeitig aufblitzenden gewaltigen Mobilisierungspotential in Sachen Mitgliederzahlen auch nur annährend zu entsprechen. Sie erfüllt vielmehr eine integrale Funktion für die Herausbildung tatsächlicher Gegenmacht durch basisdemokratische Selbstorganisation. Solidarität wird dabei auf ein verbindliches Niveau gehoben und die Arbeit auf möglichst viele Schultern verteilt. Somit aktualisiert dieser Prozess jene Aufforderungen, die von M31 an staatskritische, antikapitalistische Selbstorganisation gerade auch in Deutschland ausgehen sollte.