Die anhaltenden Proteste gegen Bauprojekte wie Stuttgart 21 oder die Hamburger Elbphilharmonie, der Skandal um den haarsträubenden Pfusch am Neubau der Kölner Stadtbahn, der den Einsturz des Stadtarchivs zur Folge hatte, aber auch die Tragödie bei der Love Parade in Duisburg, bei der 21 Menschen Opfer von Organisations- und Planungsfehlern wurden, haben den Blick verstärkt auf die öffentliche Projektwirtschaft gelenkt. Dabei wird nicht zuletzt deutlich, wie undurchsichtig die Gesamtheit von Projektplanung, Auftragsvergabe, Kostenkalkulation und Finanzierung derartiger öffentlicher Maßnahmen sich bisher gestaltete. Um zumindest eine Ahnung von den Gesetzen dieses Sumpfes zu bekommen, kann der Stadtstaat Hamburg als aufschlussreiches Lehrbeispiel dienen. Denn hier hatte erstmals ein Landesrechnungshof die öffentliche Projektwirtschaft genauer unter die Lupe genommen.
Das Gesetz der Kostenexplosion
In einem der letzten Fernsehinterviews, die Ole von Beust als Bürgermeister von Hamburg gab, reagierte er sichtlich gereizt. Warum denn der Bau des Prestigeobjekts Elbphilharmonie immer teurer werde, wollte der Reporter wissen, und man nun von Gesamtkosten von gut 500 Mio. Euro ausgehe, anstatt der ursprünglich genannten 186 Mio. Das sei doch ganz normal, zischte der CDU-Politiker zurück, öffentliche Bauprojekte würden nun mal immer teurer als geplant, das wisse doch jeder.
Zugegeben, von Beusts Antwort wirkte nicht eben souverän, eher ratlos und etwas arrogant. Aber: es stimmt. Der Umfang der Verteuerung fällt beim Projekt Elbphilharmonie vielleicht etwas groß aus, und selten zieht die Verteuerung eines öffentlichen Bauprojekts derart dramatische Konsequenzen nach sich wie die Haushaltskrise eines ganzen Bundeslandes, den Rücktritt des Regierungschefs und schließlich das Scheitern der Koalition. Doch es fällt auf, dass es der Normalfall zu sein scheint, dass alles, was die öffentliche Hand zu bauen in Auftrag gibt, am Ende deutlich mehr kostet als anfänglich gedacht. Und das nicht nur in Deutschland. Untersuchungen des Wirtschaftswissenschaftlers Werner Rothengatter u.a. zufolge wird ein öffentliches Bauprojekt im Durchschnitt 50% teurer als geplant – auf der ganzen Welt, wohlgemerkt. Jedes zweite Großprojekt koste gar an die 200% mehr als ursprünglich behauptet.
In den Büros der Ahnungslosen
Als sich die Verlegung des Busbahnhofs Hamburg-Bergedorf um bescheidene 100 Meter auf unglaubliche 44 Mio. Euro verteuerte – eine Kostenexplosion von satten 120% –, nahm dies der Hamburger Rechnungshof zum Anlass, die größeren Bauprojekte Hamburgs aus den zurückliegenden 20 Jahren zu überprüfen. Insgesamt lag die errechnete Differenz für diesen Zeitraum bei 300 Mio. Euro – die Elbphilharmonie noch nicht berücksichtigt. Nach gewissenhaftesten Recherchen und akribischen Analysen führte dies der Rechnungshof auf eine einfache Ursache zurück: Dilettantismus.
So wurde z.B. im Falle des Bergedorfer Busbahnhofs in die Kalkulation nicht mit eingerechnet, dass das „Empfangsgebäude“ (ein besseres Wartehäuschen) abgerissen und neu gebaut werden muss, was schlappe acht Mio. Euro Mehrkosten verursachte. Das nimmt allerdings wenig Wunder, wenn man sich vor Augen hält, dass der Senat zwar fröhlich Aufträge an allerlei Firmen vergab, um Pflastersteine zu setzen, Straßenlaternen zu verkabeln und hübsche Markierungen für die Busse zu malen, aber niemanden damit beauftragte, das ganze Projekt auch zu leiten. So liefen über Jahre hinweg immer neue und immer teurere Rechnungen auf, ohne dass deswegen jemand stutzig wurde, denn im Grunde genommen war ja niemand dafür zuständig, die Rechnungen zu überprüfen. Um derartige Fehler in Zukunft zu vermeiden, empfiehlt der Sonderbericht „Kostenstabiles Bauen“ des Rechnungshofs aus dem Jahr 2010, ordentlicher zu planen, Bauprojekte strukturierter zu organisieren und zusätzlich Personal einzustellen, das für die Bewältigung anfallender Probleme die nötige Kompetenz mitbringt – „Fachleute“ genannt. Es obliege den politisch Verantwortlichen, die entsprechenden „strengeren Richtlinien“ festzuklopfen.
Geschichten aus Schilda
Die vom Rechnungshof gezogenen Schlüsse wirken dermaßen trivial, dass es den Anschein hat, die Politik sei von blanker Inkompetenz geprägt. Andere irrwitzige Planungsfehler nähren diesen Eindruck, wie etwa 2004 der Höhenunterschied von 54 cm zwischen den beiden Teilen der Hochrheinbrücke, der der Tatsache geschuldet war, dass niemand beim Bau der Brücke zwischen Deutschland und der Schweiz bedachte, dass beide Länder unterschiedlich Normalnull berechnen (Deutschland nach Pegel Nordsee, die Schweiz jedoch nach Pegel Mittelmeer). Doch wenn dies in dem einen oder anderen Fall zutreffen mag und die weltweite Loge der Dummen auch in den Reihen der Politiker und Führungskräfte ihre Mitglieder haben mag, greift diese Erklärung doch zu kurz.
Nehmen wir zu Inkompetenz noch Verantwortungslosigkeit hinzu, und zwar in beiden Bedeutungen des Wortes, kommen wir der Sache schon etwas näher. Von der Planung bis zur Durchführung eines öffentlichen Projektes vergehen Jahre, bis zur Fertigstellung kann daraus ein Jahrzehnt geworden sein. In der Zwischenzeit fanden Wahlen statt, Regierungswechsel, Kabinettsumbildungen und Beförderungen, bis schließlich kaum noch Personen mit dem Projekt vertraut sind, die es einst angestoßen haben. Eine emotionale Bindung im Sinne eines Sich-verantwortlich-Fühlens kommt so nur selten auf. Warum auch, faktisch ist man es ja auch nicht, jedenfalls nicht insgesamt und über den gesamten Zeitraum. Bedingungen, unter denen auch durchaus gebildeten und an sich vernunftbegabten Menschen so manche Nachlässigkeit leichter unterläuft.
Doch wenn der Rechnungshof wiederholt darauf hinweist, dass diese und jene Kosten, die nicht einkalkuliert wurden, von Anfang an offensichtlich gewesen wären, lässt sich daraus auch ganz anderes schließen: dass nämlich vorsätzlich mit stark untertriebenen Zahlen gearbeitet wurde. Mit solchen Methoden ließe sich so manches Projekt leichter durchsetzen.
Lukrative Stadtplanung
Für öffentliche Projekte steht eine verwirrende Vielzahl unterschiedlichster Fonds und Stiftungen zur Verfügung, die helfen, das städtische bzw. landeseigene Budget zu entlasten. Und aus denen wird sich eifrig bedient. Projekte zur Förderung der Stadtentwicklung etwa – eingerechnet milliardenschwerer Finanzfonds – existieren auf Landesebene, Bundesebene (z.B. „Soziale Stadt – Förderprogramm für Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf“), auf bilateraler Ebene, multinationaler Ebene, innerhalb der EU und zwischen EU-Staaten und Nichtmitgliedern (Förderung Nordseeraum), Programme der UNO und schließlich ein unüberschaubares Angebot privater und halbprivater Stiftungen, die Gelder bereitstellen, damit Städte und Regionen sich entsprechend zeitgenössischer kapitalistischer Vorstellungen gestalten lassen.
Auch wenn man sich einen längeren Zeitraum fast ausschließlich, ja sogar beruflich mit der Stadtentwicklung in Hamburg beschäftigt hat, gelingt es einem kaum, auch nur im Ansatz einen Überblick über diese Finanzierungsförderung zu erhalten. Man darf sogar bezweifeln, dass es überhaupt jemanden gibt, der das von sich behaupten kann. Sicher jedoch ist: Hier geht es um sehr, sehr viel Geld und ganze Personengruppen und Branchen, die davon profitieren. Und selbst dem Rechnungshof dürfte es schwerfallen, zu ermitteln, wann genau welche Summen wohin geflossen sind.
Unzweifelhaft zu identifizieren sind die Nutznießer öffentlicher Fehlkalkulationen. Neben einigen wenigen größeren Architekturbüros sind es die großen Baukonzerne, allen voran Hochtief, das seit den 1930ern an den meisten öffentlichen Großprojekten in Deutschland beteiligt war und im Falle der Elbphilharmonie sogar die Projektleitung ausübt.
Gentrifizierung 2.0
Die Neubausiedlung Steilshoop war bis in die 1990er hinein als sozialer Brennpunkt in Hamburg berüchtigt. Doch Hamburg wächst, und Steilshoop bietet konzentrierten Wohnraum in zentraler Lage. Martina Stahl, als Mitarbeiterin der Lawaetz-Stiftung im „Quartiersmanagement“ für Steilshoop zuständig, erklärte auf die Frage nach den Zielen der dortigen Stadtteilentwicklung, dass eine „positive Gentrifizierung“ (sic!) durchaus wünschenswert sei, da der Anteil sozial schwacher Quartiersbewohner zu hoch sei und man gut verdienende Familien hier „verstärkt ansiedeln“ wolle. Als ein Projekt von zentraler Bedeutung wurde Steilshoop per Gesetz zum „Innovationsquartier“, was bedeutet, dass private Grundeigentümer und Gewerbetreibende die Stadtteilentwicklung mitfinanzieren – und selbstredend auch mitbestimmen. Zu den größten Vermietern gehört die einst städtische, mittlerweile vollständig privatisierte GAGFAH, die unter den SteilshooperInnen den Ruf genießt, ihre Häuser von außen wie innen verfallen zu lassen.
Unmittelbar nachdem der Senat die Einrichtung des Innovationsquartiers Steilshoop beschloss, bot die GAGFAH ihren ca. 6.000 MieterInnen – überwiegend ALG-II-EmpfängerInnen – die Wohnungen zum Kauf an. Die Offerte, die 2014 endet, wenn auch das Innovationsprogramm abgeschlossen sein soll, wirkt regelrecht zynisch, darf die GAGFAH doch dank der schrittweisen Aufhebung der Sozialwohnungsbindung in Hamburg davon ausgehen, bis dahin weitestgehend mieterfrei zu sein. Bereits jetzt hat Steilshoop etwa 3.000 BewohnerInnen weniger als ursprünglich – ein Leerstand existiert offiziell jedoch nicht.
Bleiben wir in Steilshoop, wo es wirklich etwas zu entdecken gibt. Denn gleichzeitig ist es auch ein „Entwicklungsquartier“, d.h. hier laufen parallel dutzende Fördermaßnahmen – von Jugendbetreuung bis zur Umbenennung von Straßen –, deren Finanzierung durch den oben angesprochenen Flickenteppich aus Förderfonds abgesichert wird. Hinzu kommt die Wiedereinführung der Straßenbahn von 2012–2014, die als emissionsarme ökologische Maßnahme zu zwei Dritteln aus Bundesmitteln gedeckt wird. Damit wäre Steilshoops größtes Manko, die unzureichende Verkehrsanbindung, aufgehoben. Ein Schelm wer da denkt, die Stadt würde bei Maßnahmen unter dem Label „Entwicklungsquartier“ die Wünsche der privaten Investoren aus dem „Innovationsquartier“ vernachlässigen. Für die Umgestaltung der zentralen Fußgängerachse wurden bereits 6,5 Mio. Euro bewilligt. Wie wir gesehen haben, dürfen wir nach „Hamburger Schule“ tatsächlich von 20–25 Mio. Euro ausgehen. „Ganz normal“, würde Ole von Beust urteilen, hätte man doch die zusätzlichen Steuergelder sinnvoll investiert, um aus einem Armeleute-Viertel ein wohlsituiertes Vorzeigeprojekt zu formen.