Der Mob macht mobil

Eigentlich besteht der Anspruch, auf der Letzten Seite nicht nur historische, sondern auch aktuelle Themen zu behandeln. Dies ist aber durchaus nicht einfach, da das Thema ja durch das Lösungswort schon zwei Monate vorher feststehen muss. So auch bei dieser Ausgabe. Vor zwei Monaten tobte mal wieder, angefacht von der Presse, in verschiedenen Städten Deutschlands der rassistische Mob. Den Wenigen, die das linke Verfallsdatum überlebt haben und sich auch noch mit über dreißig mit antirassistischen Themen beschäftigen, werden gleich wieder die Bilder von Hoyerswerda und Rostock Anfang der 90er durch den Kopf geschossen sein.

Nun ist es in Berlin-Hellersdorf zwar etwas ruhiger geworden, die Mobilisierung gegen AsylbewerberInnen im eigenen Kaff hat sich jedoch verstetigt. In Daisendorf ist kein Platz für einen Container zur Unterbringung von AsylbewerberInnen, da der Platz zur logistischen Bewältigung des Kindergartens benötigt wird. In Sachsenheim sind 523 Einwendungen gegen eine geplante AsylbewerberInnen-Unterbringung eingegangen, so viel wie noch zu keinem anderen Thema.

Im brandenburgischen Pätz erfreuen sich die Nazis großer Zustimmung in der BürgerInnenversammlung, und in Schneeberg beteiligen sich über 1000 Menschen an einem von der NPD organisierten „Lichterlauf“, faktisch: einem Fackelmarsch.

Bei den selbsterklärten VollstreckerInnen des Volkswillens ist die Nachricht angekommen: Auch wenn es zu dem großen Vorbild Rostock-Lichtenhagen noch nicht gereicht hat, scheinen die militanten RassistInnen vermehrt zur Tat zu schreiten. In Ludwigslust wird ein Brand im Hausflur eines AsylbewerberInnenheims gelegt, in Premnitz gibt es einen Brandanschlag auf eine künftige Unterkunft für AsylbewerberInnen, in Wehr wird die Holztreppe im Treppenhaus einer AsylbewerberInnenunterkunft mit Benzin in Brand gesetzt, in Gmünden wird die Fassade eines AsylbewerberInnenheims angezündet, in Güstrow wird ein Feuerwerkskörper durch ein geöffnetes Kellerfenster geworfen, der einen Wäschekorb zum Schmelzen bringt, und in Duisburg Hochheide wird in einem von Roma bewohnten Haus ein Brand gelegt. Nur um mal einen groben Überblick zu geben.

Dieser rassistischen Aufführung wird nun eine weitere Szene hinzugefügt: Seit einigen Wochen geht der Hamburger Senat polizeilich gegen die Mitglieder der Gruppe Lampedusa in Hamburg vor. Die rassistischen Kontrollen begannen nur wenige Tage, nachdem öffentlich große Trauer zelebriert worden war, als über 200 Geflüchtete auf ihrem Weg nach Lampedusa ertrunken waren – 200 von Tausenden, die die Durchquerung des Burggrabens der Festung Europa nicht überlebt haben. Aber so sehr die Toten betrauert werden, wenn es zu viele auf einmal sind, um sie zu verdrängen, so wenig will man die Überlebenden der Odyssee in der eigenen Stadt haben. In Hamburg haben sich die Geflüchteten, die es über Lampedusa bis hierher geschafft haben, organisiert; sie wollen nicht aus dem einen Elend entkommen, um dann in einem neuen Elend zu verharren – Obdachlosigkeit im fremden Hamburg ohne jegliche Perspektive. Doch der Senat tut alles Mögliche, um keinen Präzedenzfall zu schaffen: eine Zukunft für Geflüchtete in Deutschland soll es nicht geben. Wer die Außengrenze Europas trotz Frontex & Co überschreitet, soll wenigstens in der europäischen Peripherie bleiben.

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