Kolumne Durruti

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Und wieder mal mach ich mich auf den Weg, raus aus dieser Häuslebauer-CDU-Hochburg-Umlandgemeinde, in der ich eine Bruchbude bewohne, rein in die Stadt, in der ich arbeite und in der ich mir das Wohnen nicht mehr leisten kann. Nach 500 Metern geb‘ ich das Zeitunglesen auf. Seit die Busgesellschaft überwiegend 450-Euro-Jobber einstellt, ist die Busfahrerei eh‘ so ein Abenteuer für sich geworden. Meine MitfahrerInnen beobachtend, fällt mir immer wieder die Parabel von den „Leuten mit den hängenden Schultern“ ein. Sie sitzen in Bussen und Bahnen. Früh morgens, spät abends. Ihre Schultern hängen kraftlos am Körper herunter. Die Beine eingesackt, die Arme baumeln, die Köpfe hängen nach unten. Ihre Augen müde, ohne Glanz; die Mundwinkel nach unten verzogen oder so gerade wie die EKG-Kurve eines soeben Verstorbenen. Sie starren auf belanglose Zeitungen, auf ihr Handy oder ins Nichts. Woher sie kommen, wohin sie gehen? Von und zur Maloche. Lang‘schen Robotniks gleich – die Werksirene bestimmt Tagesanfang und -ende. Die Stechuhr gibt den kirremachenden Takt vor. Ticktackticktack, der Taxi-Driver grüßt. Zu Nummern degradiert, wie die aus dem Zieh-Automaten der ARGE.

Weiter vorbei an diesem etwas anderen Häuslebauerviertel, in dem die absteigende Mittelschicht sich bei Alnatura ihrer sozialen Identität rückversichert; wo mensch „bewusst lebt“ – oder zumindest in der Hoffnung, nicht im Aldi gesehen worden zu sein. Nicht wie dort hinten, auf der anderen Seite der Bahnbrücke, wo es keine Gymnasien gibt, wo jene leben, die keine Bude, die der Bank gehört, ihr Eigenheim nennen. Die ohne dieses „grüne Bewusstsein“. Wie war das noch mit dem Fressen und der Moral? Doch die Gangart des Überlebenskampfes von einem Monatsanfang zum nächsten wird immer härter, fast (aber halt auch nur fast) egal auf welcher Seite welcher Stadt du auch wohnst. Ein bisschen weniger Zuckerbrot hier, etwas mehr Peitsche da, oder umgekehrt. Herrschaftssichernd ziehen sich die Spaltungslinien durch die Stadt und die Köpfe.

Der Bus bahnt sich seinen Weg durch das gähnende Grau, hier und da unterbrochen durch das Bunt irgendeiner Reklame als letzter legaler Farbe.

Auf den ersten Blick gleicht diese urbane Gesellschaft einem chaotischen, humanoiden Ameisenhaufen. Bei näherem Hinsehen wird er zu einem gewaltigen Uhrwerk Orange der Profit- und Machtmaximierung. Das Sozialverhalten der Insassen gleicht zunehmend dem von Legebatteriehühnern, die sich gegenseitig die Federn auspicken. Menschliche Natur oder Produkt der Gefangenschaft? Rate mal mit Rosenthal.

Nächste Station Innenstadt: Unleichen torkeln bewusstlos die Fußgängerzone rauf und runter in dem sinnlosen Versuch sich ein Stück ihres gestohlenen Lebens zurückzukaufen. Big Brother – live dabei. „Wer freitagmorgens in der S-Bahn fährt, weiß warum wir aussterben müssen“, sangen „Razzia“. Aber eine andere Stadt ist möglich. Eine Gesellschaft, in der die Bedürfnisse jeder und jedes Einzelnen befriedigt werden, durch das komplexe Zusammenspiel der Fähigkeiten und Kenntnisse vieler Anderer – ist sie irgendwie jetzt schon. Nur ist das halt so ein Zwangs-„Zusammenspiel“, und das mit den Bedürfnissen ist auch so ‘ne Sache. Leben oder Überleben – am Ende die Frage: Wer entscheidet was und wie. Die Frage nach den Besitzverhältnissen. „Alle oder Keiner“, tönt‘s aus der Kita um die Ecke.

Endlich da. Ich steig‘ aus. An der nächsten Ecke steht „xqp“ an die Wand getaggt. Möglicherweise bedeutet es nicht viel bis nichts, und stellt doch dezent die Frage: “Wem gehört die Stadt?“

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