Nehmen wir uns die Stadt!

So lautete eine Parole der Lotta Continua, einer außerparlamentarischen Gruppe der italienischen radikalen Linken, Anfang der 1970er Jahre. Lotta Continua wollte damit die Kämpfe über die Fabrikmauer hinaus in die Gesellschaft hineintragen, unter anderem durch Kämpfe für besseres Wohnen, bessere Gesundheitsversorgung und Bildung. Die Besetzung eines Wohnblocks bei Mailand durch Familien begründeten sie folgendermaßen:

„Wir haben die Häuser besetzt, um für uns und unsere Kinder eine Wohnung zu haben, weil es unser Recht ist: Die Kapitalisten zwingen uns, für sie zu arbeiten und wie Tiere zu leben. Sie verweigern uns selbst unsere Grundrechte […] All dem entgegnen wir: GENUG! Alles, was es überhaupt gibt, wird von den Proletariern produziert; so wie wir uns in den Betrieben gegen die Ausbeutung organisieren; so müssen wir uns organisieren, um uns als das zu nehmen, was uns zusteht!“

Einige Jahre zuvor forderte bereits der marxistische Philosoph Henri Lefebvre ein Recht auf die Stadt. Das Recht auf Nichtausschluss von den Qualitäten der urbanisierten Gesellschaft bedeutet, nicht in einem Raum abgedrängt zu werden, der bloß zum Zweck der Diskriminierung produziert wurde. Beim Recht auf die Stadt geht es um die Teilhabe am urbanen Leben, um Orte des Zusammentreffens und des Austausches. Es geht um Lebensrhythmen und eine Verwendung der Zeit, die einen vollen und ganzen Gebrauch dieser Orte erlauben.

Quelle: Daniel Lobo (CC BY 2.0)

Dies gilt selbstverständlich auch für die soziale Inklusion von irregulären MigrantInnen. Das Recht auf die Stadt bedeutet für sie, dass beispielsweise auch sie ein Recht auf Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem haben.

In den letzten Jahren bildeten sich unter dem Slogan Recht auf die Stadt weltweit neue städtische Protestbewegungen, die gegen die neoliberale Hegemonie eigene Ansprüche an den städtischen Entwicklungen einfordern, um der Verdrängung und dem Ausschluss durch die Neoliberalisierung und Globalisierung der Stadt entgegenzuwirken. In Hamburg umfasst das Recht auf die Stadt-Bündnis u.a. die Forderung nach angemessenen Räumen für KünstlerInnen, die Kritik an rassistischen Kontrollen in St. Pauli, die Proteste gegen Luxuswohnprojekte im Berhard-Nocht-Viertel, den geplanten IKEA-Neubau in Altona und gegen Mietsteigerungen in Wilhelmsburg sowie Kampagnen gegen die Verdrängung von SexarbeiterInnen aus St. Pauli.

An diesem Beispiel aus Hamburg wird deutlich, dass das Recht auf die Stadt die Möglichkeit zur inhaltlichen und praktischen Verknüpfung sonst getrennt stattfindender Kämpfe bietet.

Gerede in Zeiten eines entgrenzten Kapitalismus, der die Grenzen zwischen Arbeitsplatz und Zuhause, Arbeit und Freizeit, öffentlich und privat einreißt, gibt es keinen privilegiertem Ort der Kämpfe mehr, ebenso wenig wie die verschiedenen Kämpfe gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Ausgrenzung jeglicher Art getrennt voneinander geführt werden können. Es geht ums Ganze und zwar überall!

Schreibe einen Kommentar