Kpf.: Wie würdest Du das Wirken von Erich Mühsam nachzeichnen? In Eurem Verlag, der Edition Nautilus, sind von Erich Mühsam die „Unpolitischen Erinnerungen“ erschienen….
Lutz Schulenburg: „… Ja, wir haben sogar das Buch Von Eisner bis Leviné herausgegeben, eine Schrift von Erich Mühsam über seine Teilnahme an der Münchner Räterepublik, und zwar schon 1976. Insofern gehörte auch Erich Mühsam zum weitläufigen Typus des Aufbruchs der Jugend zur Jahrhundertwende, die sich ja auch aus den engen Grenzen der Geschäftigkeit herauskatapultiert haben. Und die suchende und schöpferische Unruhe dieser Jahre, die Freude am Experiment und an der Neuerung in den Künsten gegen die vorgefertigten Bahnen, haben natürlich nicht nur Erich Mühsam geprägt, sondern auch das europäische Kunstverständnis der Avantgarde zur Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg. Neuerungen in der Literatur und Kunst und Verhaltensweisen haben sich damals in größeren Zusammenhängen offenbart.
Diese Jahre haben aus dem Lübecker Apothekersohn den Literaten gemacht, den Kritiker der Spießigkeit der bürgerlichen Gesellschaft und einen Freund der Künste, einen Freund derjenigen, die auf der Suche nach Alternativen sind. Insofern kann man in Mühsam den Typus des Künstlers sehen, der sich nicht allein mit einer künstlerischen Kleinproduktion zufrieden gibt, sondern sich als revolutionärer Kämpfer sieht, als einer von denjenigen, für die Solidarität gilt, Solidarität mit allen, die mit der Welt, wie sie ist, nicht einverstanden sind. Für ihn galt das als selbstverständlich. Mühsam repräsentierte alles, was laue Köpfe und träge Herzen verdächtigte. Er war, was natürlich Rassisten und Nationalisten hassen: ein mittelloser Dichter, Spötter, Anarchist, Jude, Internationalist, Kämpfer der Räterepublik, Freund von Vagabunden, Herumtreibern, Müßiggängern, Trinkern, Chansonniers, Bohèmeleuten. Kurz, er war ein mutiger Mensch – dieser Typus zwischen Künstler und Gesellschaftsveränderer, der sich nicht damit zufrieden gibt, was ist.
Für die Nazis war Mühsam das Hass-Objekt an sich. Auch wenn sich das pathetisch anhört: Er war mutig bis zum Schluss, in dieser schlimmen und tödlichen Situation. Leute mit spiritueller Ader könnten ihn auch zum Heiligen der Gefängnisse ernennen.“