Während sich die deutschen Gerichte in Berlin weiterhin weigern, die FAU Berlin als Gewerkschaft anzuerkennen, herrschen in anderen EU-Staaten andere Bedingungen, die viel eher die Möglichkeit der Gründung von selbstorganisierten oder minoritären Gewerkschaften erlauben und ihnen viel weitergehende Betätigung erlauben. Anlässlich der Berliner Urteile dokumentieren wir an dieser Stelle die Rahmenbedingungen für den Aufbau von Gewerkschaften in Frankreich, Italien, Polen und Spanien.
Frankreich
In Frankreich können Gewerkschaften einfach gegründet werden – es genügt, die Satzung und die Namen der Vertreter bei der zuständigen Stelle zu hinterlegen. So gibt es eine Vielzahl von Richtungs-, darunter auch Basisgewerkschaften (CNT, SUD, etc.).
Einen Haken aber hat’s: die Repräsentativität. Gewerkschaften können nur auf den Ebenen Kollektivverträge abschließen, wo sie auch „repräsentativ“ sind. Und hier greifen die Bosse neu gegründete Syndikate an; juristisch oft erfolglos, ist ein solches Verfahren dennoch kraftraubend. Aber um legal zu streiken, müssen sich nur zwei KollegInnen zusammentun, das geht auch ohne Gewerkschaft. Ob so auch das nötige Kräfteverhältnis aufgebaut wird, sei dahingestellt.
Einen Sonderfall bildet der Öffentliche Dienst, die Gewerkschaftsbastion schlechthin. Hier gilt u.a., dass nur die „repräsentativen“ das Recht haben, zum Streik aufzurufen – das müssen sie seit 2008 fünf Tage vor Beginn des Streiks tun. Während dieser Karenz sind Verhandlungen zu führen. (AE)
Italien
Derzeit ist es in Italien noch ein grundgesetzlich verankertes Recht, Gewerkschaften zu gründen. Nach Artikel 39 der italienischen Verfassung darf an die Gründung einer Gewerkschaft keine andere Bedingung gestellt werden als die offizielle Registrierung. Dazu genügt es – ähnlich wie im deutschen Vereinsrecht, Gründungsakte und Statut bei einem Notar zu hinterlegen. An die weitere Form einer Gewerkschaft dürfen keine weiteren Anforderungen gestellt werden. Sprich: Eine Gewerkschaft kann im Prinzip jeder gründen, egal wie minoritär und/oder klein diese Gewerkschaft letztlich sein wird.
Bei den unterschiedlichen Tarifverträgen sieht es allerdings schon etwas komplizierter aus: Solche können auf nationaler (für die Branche), lokaler oder Betriebsebene ausgehandelt werden. Die heute wichtigste Form ist dabei der Branchentarif auf nationaler Ebene. Dieser wird – oftmals unter Vermittlung des Staates – zwischen den Arbeitgeberverbänden einer Branche und den entsprechenden Branchengewerkschaften ausgehandelt. Auf betrieblicher Ebene ist auch der einzelne Arbeitgeber tariffähig und kann mit im Betrieb vertretenen Gewerkschaften oder aber nicht gewerkschaftlich organisierten Koalitionen von Arbeitnehmern Haustarifverträge aushandeln.
Ähnlich wie in Deutschland haben Tarifverträge in Italien Gesetzesrang. Auf betrieblicher Ebene wird die Repräsentativität – das heißt die Möglichkeit zu verhandeln – über die so genannten Rappresentanze Sindacali Unitarie (RSU) als Gremium der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften geregelt. Um diese Repräsentativität zu erlangen, gilt derzeit eine Hürde von 5% der Abteilung im Betrieb.
Grundsätzlich ist es in Italien immer möglich gewesen, eigenständige Gewerkschaften aufzubauen, auch wenn der historische Block der Gewerkschaften CGIL, CISL, UIL, die ihrerseits jeweils die großen Parteien (Kommunisten, Sozialisten und Christdemokraten) repräsentieren, nicht viel Platz ließen. In den Siebzigern kam es zu einer langsamen Aufweichung dieses Blockes, z.T. durch korporatistische Gewerkschaftsorganisationen. Diese Tendenz sollte sich erst Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre ändern, als durch die Entstehung der COBAS neben der USI erstmals wirklich kämpferische Basisstrukturen entstanden.
Die Italienische Rechtssprechung verschärft sich derzeit jedoch verstärkt zu Ungunsten der Basisgewerkschaften. Und mit Auslaufen des landesweiten Branchentarifs der MetallarbeiterInnen könnte es das erste mal dazu kommen, dass Regierung , Arbeitgeber und Gewerkschaften (ohne Beteiligung der Metallgewerkschaft CGIL) einen landesweiten Branchentarifvertrag aushandeln, der nur noch eine Minderheit der Beschäftigten repräsentiert. Auch soll in Zukunft das aus dem Faschismus übernommene Prinzip wieder eingeführt werden, nachdem in einem Unternehmen, wenn dies sich in der Krise befindet, geltende Tarifverträge unterlaufen werden können. (LR)
Polen
In Polen ist das Recht auf die Führung von Streiks und anderen Arbeitskämpfen wie in der BRD auf Gewerkschaften beschränkt. Aktuell gibt es in Polen etwa 200 landesweit tätige Gewerkschaften, darunter die beiden anarchosyndikalistischen Gewerkschaften IP und ZSP. Andere sind den drei großen Verbänden Solidarnosc, OPZZ und FZZ angeschlossen, denen etwa drei Viertel aller polnischen Gewerkschaftsmitglieder angehören. Daneben gibt es weitere Organisationen, die teilweise auf einzelne Betriebe beschränkt sind.
Um eine neue Gewerkschaft zu gründen, gründet man entweder eine ganz neue Organisation oder eine Betriebskommission einer bestehenden Gewerkschaft. Im ersten Fall müssen mindestens 10 Leute gemeinsam eine Satzung beschließen, einen Vorstand wählen und die Gewerkschaft bei Gericht registrieren. Im zweiten Fall müssen sich mindestens 10 Leute aus einem Betrieb zusammentun und einer Gewerkschaft beitreten. Seit 2004 können auch 10 Leute aus verschiedenen Betrieben eine überbetriebliche Kommission gründen, die dann in Betrieben, wo mindestens eines ihrer Mitglieder arbeitet, gewerkschaftlich tätig werden darf. Je nach Anzahl ihrer Mitglieder im Betrieb kann eine Gewerkschaft eine Zahl von Mitgliedern benennen, die Kündigungsschutz genießen. Wenn sie nicht »repräsentativ« ist, d.h. wenn ihr nicht mindestens 10% der Belegschaft im Betrieb angehören oder sie in der trilateralen Kommission von Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften sitzt (d.h. einem der drei großen Verbände angehört), ist der Kündigungsschutz allerdings auf ein einziges Mitglied beschränkt. (JP)
Spanien
In Spanien wird die Gewerkschaftsfreiheit von der Verfassung garantiert und untergeordnete Gesetze, vor allem durch das LOLS (Grundgesetz der Gewerkschaftsfreiheit) spezifiziert. Laut dem LOLS bedarf es zur Gründung einer Gewerkschaft lediglich des Einreichens der Statuten, die bestimmte formale Standards erfüllen müssen. Nach Prüfung der Statuten erhält die Gewerkschaft die Anerkennung. Das Gesetz garantiert außerdem, dass weder die Unternehmen noch ihre Betriebsräte die Bildung einer Betriebsgruppe verhindern können. So schützt es die Gewerkschaftsdelegierten vor Sanktionen. Diejenigen Gewerkschaften, die wie die anarchosyndikalistische CNT die Mitarbeit in Betriebsräten ablehnen, berufen sich auf dieses Gesetz. Nichtsdestotrotz nutzen die Unternehmer jeden Vorwand, der sich ihnen bietet, um Gewerkschaftsdelegierte zu feuern. Deshalb sollten alle gewerkschaftlichen Aktionen dokumentiert werden, um im Fall der Kündigung nachweisen zu können, dass die Kündigung eine rein repressive Maßnahme war.
Praktisch alle Gewerkschaften in Spanien gründen ihre Aktivität in Betrieben auf die Betriebsratswahlen. Stellt eine Gewerkschaft bei allen Betriebsratswahlen auf nationaler Ebene über 10% der Delegierten, gilt sie dort als repräsentativ. Mit diesem Status sind beachtliche wirtschaftliche Subventionen durch den Staat und das Recht auf landesweite Kollektivverhandlungen verbunden. Die in diesem Sinne repräsentativen Gewerkschaften sind die kommunistische CCOO und die sozialdemokratische UGT, die als Transmissionsriemen der jeweiligen Parteien fungierten. Diese Gewerkschaften erhalten neben anderen wirtschaftlichen Hilfen hohe Bildungszuschüsse, um Weiterbildungen für Erwerbslose zu organisieren.
In Spanien erhalten, von wenigen Ausnahmen wie der CNT oder der SAT abgesehen, alle Gewerkschaften Subventionen. (HO)