In Zeiten, in denen die gesellschaftlichen Verhältnisse stabil, die Mächtigen unbedroht sind, bleibt Menschen wie Erich Mühsam nur die Rolle des Sonderlings, Spinners, Caféhaus-Literaten. Wenn das Proletariat nicht über gesicherte Arbeitsplätze und gerechten Lohn hinauswill, muss man halt in Nischen seine Sehnsüchte nach Rausch, künstlerischem Experiment, nicht normierter Sexualität, Lebensreform und herrschaftsfreien Momenten ausleben. Der liberale Teil des Bürgertums belächelt diese Spezies, findet sie liebenswürdig-unrealistisch, aber irgendwie auch so interessant wie die Figuren in Puccini’s Oper „La Bohème“. Der autoritäre Teil des Bürgertums bringt diese repressive Toleranz nicht auf, sieht in ihnen schlechte Vorbilder der Jugend, Verderber von Sitte, Moral und Arbeitsethos.
Das wäre die Stellung von Erich Mühsam und – in Frankreich – von Jules Vallès gewesen, wäre ihnen zu Lebzeiten nicht die Möglichkeit der großen Veränderung begegnet: Die Münchner Räterepublik und die Pariser Commune. Nicht, dass sie in diesen kurzen Episoden mit dem Proletariat verschmelzen würden (da bleibt genug Trennendes), aber sie werden wichtige Aktivisten, also richtig bedrohlich. Erlebt zu haben, dass sich die Verhältnisse, nach vergeblichem Anlauf, als ehern darstellen – das hat Erich Mühsam zu einer sehr klugen, jede Realpolitik schmähenden, Bilanz geführt: „Immer, wenn man mich einen Don Quichote nannte, wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“ Das sei, so sehr es ihnen auch materiell dreckig gehen mag, das Selbstbewusstsein aller Réfractaires, all derer also, die Widerstand leisten.
Der Autor war politisch aktiv im KB, bei den Grünen, in der Radikalen Linken und ist heute Publizist und Leiter einer literarischen Reihe.