Opposition in der Sesselgewerkschaft

Im Inneren des DGB formiert sich seit Jahren eine Opposition – gegen den Widerstand der Gewerkschaftsapparate. Die IG Metall etwa reagierte darauf mehrfach mit Ausschlussverfahren oder -drohungen gegen aktive Mitglieder, so 2002 in Mettingen, 2006 in Untertürkheim, 2009 in Marienfelde und 2010 in Sindelfingen. Allesamt Standorte des zweitgrößten deutschen Autobauers Daimler. Die GewerkschafterInnen kritisieren den Kurs der Betriebsratsmehrheit und treten gegen Intransparenz, Co-Management und Verzichtslogik ein: auf Betriebsversammlungen, in eigenen Publikationen, und notfalls mit eigenen Listen zur BR-Wahl. Oft sorgen sie unter dem Label „Alternative“ für Wirbel. Außerdem beteiligen sie sich an dem konzernweiten ArbeiterInnenforum „Daimler-Koordination“. Ohne die Betriebsöffentlichkeit, die die KollegInnen herstellen, wäre die ein’ oder andere Reaktion der Daimler-Belegschaften in den letzten Jahren sicherlich ausgeblieben. Berlin-Marienfelde ist das älteste Werk des Konzerns. Heute arbeiten dort noch knapp 3.000 Menschen. Die DA sprach mit Mustafe Efe von der dortigen „Alternative“.

Das IG-Metall-Ausschlussverfahren gegen Kandidaten der „Alternative“-Liste zu den Betriebsratswahlen bei Daimler Sindelfingen konnte bisher nicht abgewendet werden. Habt ihr in Marienfelde mit ähnlichen Problemen zu kämpfen?

Auf jeden Fall! Wir haben im Oktober 2009 beim Ortsvorstand der IG Metall einen Antrag gestellt auf eine zweite IG-Metall-Liste und haben das auch begründet. Denn es gibt ja innerhalb der Gewerkschaft zwei Linien: Das eine ist die sozialpartnerschaftliche, arbeitgeberfreundliche Linie, und das andere ist die kämpferische. Zum Beispiel zum Thema Krankenrückkehrgespräche: Die jetzige Betriebsratsmehrheit sagt Ja, und wir sagen Nein.

Zwei Wochen später kam der Beschluss: Der Ortsvorstand wird eine zweite Liste nicht als IGM-Liste anerkennen. Gleichzeitig haben sie mit einem Ausschlussverfahren gedroht, aber nichts Konkretes, einfach nur eine Drohung. Davon haben wir bisher nichts mehr gehört.

Das bedeutet aber nicht, dass damit alles erledigt ist. In Sindelfingen hat der Ortsvorstand in Stuttgart nun befürwortet, das Ausschlussverfahren einzuleiten. Ich gehe davon aus, dass sie die Sindelfinger Gruppe als schwächer einschätzen als in Berlin. Aber wenn sie das dort durchkriegen, ist es gut möglich, dass sie das „Problem“ dann auch bei uns angehen werden.

Transparent der Alternative für die Kolleginnen und Kollegen im Daimler Werk Untertürkheim, einer der alternativen IG-Metall-Gruppen bei Daimler, zum 1. Mai 2007 (Quelle: http://www.alternative-info.org)

Die „Alternative“ in Marienfelde ist 2007 aus dem Protest gegen die Einführung des neuen Rahmentarifs ERA hervorgegangen. Wie lief das ab?

Richtig, unsere Gruppe ist ja nicht aus der Luft entstanden. Bei der Umsetzung von ERA haben wir, d.h. die kritischen, linken Betriebsräte und dann auch die Kollegen bemerkt, dass da was schief läuft: Die ganzen Versprechen – dass durch ERA keiner Geld verliert, dass die Angestellten und Arbeiter gleichgestellt werden –, die grundlegende Argumentation der IG Metall hat sich in der Umsetzung nicht bewahrheitet.

Wir haben dann z.B. im November 2006 einen spontanen Streik organisiert, an dem 350 Kollegen des Betriebs teilgenommen haben. Dann ist es öfter zu Auseinandersetzungen mit der jetzigen Betriebsratsmehrheit gekommen, die haben nämlich die Reklamationen und Eingruppierungsklagen abgebügelt – so wie sie auch eine Betriebsversammlung abgebügelt haben, die fast 1.000 KollegInnen gefordert hatten. Da haben wir drei Monate lang jede Woche vor Tor 1 eine Betriebsveranstaltung gemacht, an der sich insgesamt etwa 400 Kollegen beteiligt haben. Das heißt, wir sind rausgegangen und haben diskutiert.

Während dieser Auseinandersetzung ist ein Bewusstsein entstanden. Wir haben dann gesagt, es kann nicht sein, dass wir das zulassen, und so haben wir im Herbst 2007 angefangen, unsere erste „Alternative“-Zeitung zu schreiben. Seitdem sind wir in jeder Betriebsversammlung vertreten.

Gab und gibt es Unzufriedenheit im Betrieb, die sich auch umsetzt in Aktivität, an der Gewerkschaftsbasis?

Mit den Eingruppierungen waren die Kollegen sehr unzufrieden und haben gegenüber dem Betriebsrat ihren Unmut geäußert, dass da nichts gemacht wurde. Das war vor drei Jahren. Seitdem gibt es eine Ausgleichszahlung zwischen dem neuen und dem alten Lohn, die Summe, die die Kollegen normalerweise verloren haben. Der läuft 2011 aus, bis 2016 kriegen sie noch den Nominallohn. Da machen sich die KollegInnen schon Gedanken … ERA ist zwar nicht vergessen, es wird aber nicht so oft angesprochen, zumindest hier in Berlin. Denn unser Standort ist, aus Sicht der Kollegen, längerfristig gefährdet.

Jetzt im Wahlkampf sagen wir, wir müssen in der Gewerkschaft bleiben und für unsere Positionen kämpfen … und somit auch für eine kämpferische Gewerkschaft. Jede Stimme, die wir bekommen, bedeutet, dass die KollegInnen eine andere Gewerkschaft wollen. Zum Beispiel der letzte Tarifabschluss: für 99,9% der Kollegen enttäuschend. Jeder Kollege, der das hört, egal ob Mitglied oder nicht, fasst sich da an den Kopf: Wie kann man so einen Abschluss machen?! Es gibt zwar kein Verständnis, aber es gibt auch keine Bewegung, in der man sagt, wir boykottieren jetzt diesen Abschluss.

Inwieweit habt ihr denn, hat die „Alternative“-Basisbewegung Einfluss auf den Kurs der IG Metall? Schließlich ist das Verhalten einer Gewerkschaft als Organisation sehr oft entscheidend für Erfolg oder Misserfolg einer Bewegung.

Bisher sehr wenig, denk’ ich mal. Wir sind noch nicht so stark. Unser Projekt „Alternative“ ist aber nicht so gedacht, dass wir nur ein paar Sessel mehr besetzen, sondern wir wollen insgesamt diese undemokratische Struktur der Gewerkschaft durchbrechen. Daher sind oppositionelle Betriebsgruppen notwendig, um die KollegInnen einzubeziehen. Ansonsten haben wir gegen die Gewerkschaftsbürokratie keine Chance. Wir sind die Gewerkschaft, und nicht der Vorstand in Frankfurt. Wir, die Arbeiter. Das sollte eigentlich klar sein.

Vielen Dank für das Interview.

Interview und redaktionelle Bearbeitung:
André Eisenstein

Ausschlussverfahren in Sindelfingen

Im Mai 2009 hatten aktive IG-MetallerInnen bei Daimler Sindelfingen eine Arbeitsgruppe gebildet und angefangen, eine Betriebszeitung namens „Alternative“ herauszugeben. Auf Drängen der Betriebsratsmehrheit wurden daraufhin UnterstützerInnen der Gruppe von allen Strukturen der Vertrauenskörperleitung ausgeschlossen. Als die Gruppe schließlich mit elf eigenen KandidatInnen eine eigenständige, oppositionelle Liste zu den Betriebsratswahlen aufstellte, leitete der Ortsvorstand der IG Metall im Februar ein Ausschlussverfahren gegen die KollegInnen ein. Die Gruppe bittet um Solidarität und ruft dazu auf, bei der IG Metall zu protestieren. Weitere Infos auf: www.labournet.de/branchen/auto/dc/sindel/

 

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